Hilfe bei Übergewicht

Neuer Ansatz gegen Hungerattacken entdeckt

Robert Klatt

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Auf den Punkt gebracht
  • Bei Diäten produziert die Leber einen Botenstoff, der Hungerattacken auslöst
  • Ein Hemmstoff konnte bei Mäusen diesen Prozess unterdrücken und dadurch den Tieren beim Abnehmen helfen
  • Wenn durch den Hemmstoff keine Nebenwirkungen ausgelöst werden, können dieser bald Menschen mit Übergewicht helfen

Ein Botenstoff der Leber sorgt bei Diäten für Hungerattacken. Mit einem Hemmstoff kann dieser Prozess unterdrückt werden und das Abnehmen fällt leichter.

Köln (Deutschland). Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in Europa das Übergewicht epidemische Ausmaße erreicht. In Deutschland leidet mehr als die Hälfte der Menschen unter Übergewicht, knapp ein Viertel sogar unter Adipositas (Fettleibigkeit). Das Abnehmen fällt jedoch besonders stark übergewichtige Menschen meist sehr schwer, weil bei ihnen Sport kaum wirkt und der Jojo-Effekt dafür sorgt, dass das Gewicht nach einer Diät schnell wieder zunimmt.

Die Forschung arbeitet deshalb seit Längerem an daran, das Essverhalten eines Menschen durch einen Eingriff in die körpereigene Appetitregulation zu beeinflussen. Die sowohl über Botenstoffe als auch neuronal kontrollierte Signalwege gesteuerte Regulation ist aber sehr komplex und konnte bisher nur teilweise entschlüsselt werden.

Signalweg von der Leber zum Gehirn

Ein Team um Heiko Endle von der Universität Köln hat nun einen neuen Ansatzpunkt zur Appetitregulation entdeckt. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Metabolism untersuchten die Wissenschaftler einen Signalweg, mit dem ausgehend von der Leber dem Gehirn ein Nährstoffmangel signalisiert wird. Der Signalweg ist damit dafür verantwortlich, dass Menschen während einer Diät und in Fastenzeiten ein starkes Hungergefühl spüren, das dann häufig mit einer übermäßigen Nahrungsaufnahme kompensiert wird.

Botenstoff der Leber verursacht Hunger

Anhand von Tierversuchen mit Mäusen konnten die Forscher den Signalweg im Detail untersuchen und so entschlüsseln, wie die Appetitregulierung beeinflusst werden kann. Sie fanden heraus, dass die Leber den Botenstoff (LPC) produziert, wenn der Energiestoffwechsel abnimmt. Dieser Botenstoff wandert über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn, wo LPC mit dem Enzym Autaxin in den Botenstoff LPA umgewandelt wird.

Der anregende Botenstoff LPA stimuliert daraufhin die Hirnrinde und das Appetitzentrum und es entsteht Hunger. Mäusen, denen die Forscher den Botenstoff LPA zuführten, zeigten ein verstärktes Futtersuchverhalten. Die Tiere aßen dadurch mehr und entwickelten Übergewicht.

Ähnlicher Prozess auch beim Menschen

Laut der Studie läuft beim Menschen ein ähnlicher Prozess ab. Wenn im Gehirn der Botenstoff LPA verstärkt gebildet wird, nimmt die allgemeine Erregbarkeit der Hirnrinde zu und es entsteht ein Hungergefühl. „Tatsächlich zeigen Daten, dass Menschen mit einem gestörten synaptischen LPA-Signalweg vermehrt übergewichtig sind und unter Diabetes Typ II leiden“, erklärt Robert Nitsch von der Universität Münster. Die Wissenschaftler vermuten zudem, dass ein veränderter LPA/LPC-Stoffwechselweg auch bei anderen Essstörungen wie Magersucht eine Rolle spielen könnte.

„Unsere grundlegenden Befunde zur LPA-gesteuerten Erregbarkeit des Gehirns spielen demnach auch für das Essverhalten eine zentrale Rolle“, so Johannes Vogt. Die Autoren erklären jedoch, dass neben diesem Signalweg der Hunger noch durch andere Prozesse kontrolliert wird. Sie halten es aber für wahrscheinlich, dass der nun entschlüsselte Signalweg dabei helfen kann, Mittel zu entwickeln, die nach einer Diät das starke Hungergefühl reduzieren.

Hemmstoff reduziert Hungergefühl

In Versuchen mit Mäusen konnten die Forscher bereits einen Hemmstoff gegen das Enzym Autaxin erproben. Diesen verabreichten sie sowohl Wildtypmäusen als auch Mäusen, bei denen der LPA/LPC-Signalweg genetisch hochreguliert war. Die Tiere fraßen anschließend weniger und konnte ihr Gewicht trotz des fettreichen Futters stark reduzieren. „Die Gewichtsreduktion bei den Mäusen mit der Genmutation war dabei signifikant größer als bei den Wildtypmäusen“, erklären die Forscher

„Das ist ein starker Hinweis auf einen möglichen Therapieerfolg durch Autaxin-Inhibitoren, die wir derzeit gemeinsam mit dem Hans-Knöll-Institut in Jena zur Anwendung am Menschen entwickeln“, so Nitsch. Die Wissenschaftler erforschen nun die Wirkung des Hemmstoffs genauer. Wenn dieser keine problematischen Nebenwirkungen auslöst, könnte er schon bald auch Menschen mit Übergewicht beim Abnehmen helfen.

Nature Metabolism, doi: 10.1038/s42255-022-00589-7

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