Robert Klatt
Ab 35 Grad Celsius nehmen negative Äußerungen in sozialen Netzwerken deutlich zu. Deutschland und andere wohlhabende Länder sind davon weniger stark betroffen als ärmere Regionen. Der Klimawandel und die höheren Temperaturen belasten den Menschen somit nicht nur physisch, sondern auch psychisch.
Cambridge (U.S.A.). Der Klimawandel wirkt sich stark auf die Umwelt, die Gesundheit und die Wirtschaft aus, etwa indem er die Ernten der Landwirtschaft stark reduziert und mehr Superzellen-Gewitter auslöst. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben nun eine Studie publiziert, laut der die höheren Temperaturen sich auch auf das seelische Wohlbefinden auswirken und zu mehr negativen Gefühlen führen.
Laut der Publikation im Fachmagazin One Earth basiert die Studie auf einer Analyse von 1,2 Milliarden Beiträgen aus sozialen Netzwerken aus 157 Ländern. Diese zeigen, dass negative Äußerungen im Internet ab einer Temperatur von 35 Grad Celsius sowohl in ärmeren Ländern (+ 25 %) als auch in wohlhabenderen Ländern wie Deutschland (+ 8 %) zunehmen.
„Unsere Studie zeigt, dass steigende Temperaturen nicht nur die körperliche Gesundheit oder die wirtschaftliche Produktivität bedrohen, sie beeinflussen auch, wie Menschen sich jeden Tag fühlen, überall auf der Welt. Diese Arbeit eröffnet eine neue Dimension des Verständnisses, wie Klimastress das menschliche Wohlbefinden im globalen Maßstab prägt.“
Die analysierten Beiträge stammen von Twitter und Weibo und wurden alle 2019 verfasst. Um die umfassenden Daten zu untersuchen, haben die Forscher eine Künstliche Intelligenz (KI) verwendet, die den Beiträgen einen Stimmungswert zwischen 0,0 (sehr negativ) und 1,0 (sehr positiv) zugeordnet hat. Diese Werte wurden für 2988 Regionen erfasst und mit den lokalen Wetterdaten verknüpft, um zu untersuchen, ob sich die Temperatur auf die Stimmung der dort lebenden Menschen auswirkt.
„Soziale Mediendaten bieten uns ein bisher unerreichtes Fenster in die Emotionen von Menschen über Kulturen und Kontinente hinweg. Dieser Ansatz ermöglicht es uns, die emotionalen Folgen des Klimawandels in einer Größenordnung zu messen, die traditionelle Befragungen niemals erreichen könnten. Er liefert Echtzeit-Einblicke, wie Temperaturen weltweit die Stimmung beeinflussen.“
Um zu erfassen, ob das Einkommen bei dem beobachteten Zusammenhang ebenfalls ein Faktor ist, haben die Forscher die Einkommensgrenze der Weltbank von 13.845 US-Dollar Bruttonationaleinkommen pro Kopf verwendet. Sie konnten so ermitteln, dass die Auswirkungen der hohen Temperaturen in ärmeren Regionen rund dreimal höher sind als in wohlhabenderen Regionen .
„Dank der weltweiten Datenabdeckung sehen wir, dass Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen dreimal stärkere Stimmungseinbrüche durch extreme Hitze erleben als Menschen in wohlhabenden Ländern. Das unterstreicht, wie wichtig Anpassungsstrategien in künftigen Projektionen der Klimafolgen sind.“
Anschließend haben die Forscher mit komplexen Klimamodellen die potenziellen Auswirkungen bis 2100 simuliert. Das emotionale Wohlbefinden der Weltbevölkerung könnte demnach durch die hohen Temperaturen bis 2100 um 2,3 Prozent sinken.
„Es ist inzwischen klar, und unsere Studie fügt den bisherigen Erkenntnissen weitere Belege hinzu, dass Wetter das menschliche Empfinden im globalen Maßstab verändert. Und während sich Wetter und Klima wandeln, wird es entscheidend sein, Menschen dabei zu unterstützen, widerstandsfähiger gegenüber emotionalen Belastungen zu werden.“
Die Wissenschaftler erklären zudem, dass die Ergebnisse der Studie nicht die gesamte Weltbevölkerung gleichermaßen repräsentieren, unter anderem, weil Kinder und ältere Menschen in den sozialen Netzwerken weniger aktiv sind. Studien zeigen jedoch, dass besonders diese Gruppen unter den Hitzewellen leiden. Es ist somit wahrscheinlich, dass die realen Auswirkungen der hohen Temperaturen noch größer sind, als in der Studie erfasst wurde.
One Earth, doi: 10.1016/j.oneear.2025.101422