Retortenhirne

Menschliche Gehirnaktivität in künstlichen Mini-Gehirnen beobachtet

Robert Klatt

Mini-Gehirn aus dem Labor )VTCUbaL irtouM(Foto: © 

Wissenschaftlern ist es gelungen künstliche Gehirne zu erzeugen, deren neuronales Netz ähnlich komplex ist wie dies eines Frühchens. Bewusst denken können die Organoiden aber noch nicht. In Zukunft soll das Modell bei der Erforschung des Gehirns und der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Krankheiten wie Autismus helfen.

San Diego (U.S.A.). Der Wissenschaft ist es bis heute nicht gelungen die Entwicklung des Gehirns und die dort ablaufenden Prozesse vollumfänglich zu verstehen. Da Tiermodelle und Hirnscans von Menschen nicht die gewünschten Fortschritte bringen, versuchen Neurologen weltweit aus menschlichen Stammzellen künstliche Gehirne im Labor zu züchten, die dann für Experimente genutzt werden könnten, die aus ethischen Gründen an Menschen nicht durchführbar sind.

Erste Erfolge konnte die Universität Wien laut der im Fachmagazin Nature veröffentlichten Forschungsarbeit in diesem Bereich bereits im Jahr 2013 verzeichnen. Inzwischen ist es möglich künstliche Gehirne zu züchten, deren Zellen miteinander Informationen austauschen und deren Struktur große Ähnlichkeiten zum Organ des Menschen aufweist. Funktionierende neuronale Netzwerke gab es bisher aber noch bei keinem dieser sogenannten Organoiden.

Mini-Gehirne bilden komplexes Netzwerk

Wissenschaftler der University of California San Diego haben nun erstmals ein künstliches Mini-Hirn gezüchtet, das funktionierende neuronale Netzwerke besitzt, die auf dem Niveau eines frühen Entwicklungsstadiums des Menschen liegen. Im wissenschaftlichen Journal Cell Press berichten die Forscher, dass dafür wie bei vorherigen Versuchen induzierte pluripotente Stammzellen verwendet wurden.

Die in der Medizin auch als Alleskönner bezeichneten Zellen können sich zu verschiedenen Zelltypen des Körpers entwickeln und so Gewebe und Zellen ersetzen. Nach der Reprogrammierung kann so in einer speziellen Nährlösung aus den Stammzellen beispielsweise eine Struktur wachsen, die hirntypische Eigenschaften aufweist. Im Verlauf der Studie gelang es den Wissenschaftlern durch eine Veränderung des Nährlösung sowie der übrigen Einflussfaktoren, dass die von ihnen gezüchteten Organoiden einem höheren Reifegrad erreichten als künstliche Gehirne vorherigen Studien.

Wachstum und Überwachung für zehn Monate

Um zu untersuchen welchen Einfluss die besseren Zuchtbedingungen auf die Hirnaktivitäten haben, haben die Wissenschaftler rund um Cleber Trujillo anschließend hunderte der künstlichen Gehirne für zehn Monate wachsen lassen und dabei permanent die Hirnströme der Organoiden überwacht. Die ersten Hirnwellen konnten bereits nach etwa zwei Monaten gemessen werden. Sie verliefen jedoch nicht regelmäßig, sondern wurden von Pausen unterbrochen, in denen keinerlei Aktivität feststellbar war. Die Entwicklung der künstlichen Gehirne ist damit ähnlich zu der frühen Gehirnentwicklung des Menschen,  deren Anfangsstadien auch durch regelmäßige Pausen in der Aktivität auffallen.

Gehirnentwicklung verläuft wie beim Menschen

Wie beim menschlichen Gehirn, bei dessen Entwicklung die Pausen immer kürzer werden, bis schließlich eine permanente Aktivität des Gehirns erfolgt, entwickelten sich auch die Organoiden im Labor. Dies zeigte sich anhand von elektrischen Signalen, die die Wissenschaftler per Elektroenzephalogramm (EEG) aufzeichneten und aus denen ersichtlich wurde, dass die Aktivität der künstliche Gehirne stetig anstieg, was ein sicheres Anzeichen für ein Wachstum derfunktionellen Verknüpfungen ist.

EGG-Daten zeigen Ähnlichkeiten zu Frühchen

Ein anschließender Vergleich der EEG-Daten von unterschiedlich weit entwickelten Gehirnen von Frühchen und Gehirnen aus dem Labor, den die Wissenschaftler mithilfe einer Künstlichen Intelligenz erstellt haben, zeigt, dass sich die Mini-Gehirne in der Nachlösung ähnlich entwickeln wie Gehirne von Babys. Anhand der Gehirnströme konnte die künstliche Intelligenz sogar vorhersagen, wie lange sich die Organoiden in der Nährlösung entwickelt haben.

Wie Alysson Muotri, Co-Autor der Studie erklärt gab es „das Maß an neuronaler Aktivität, das in den Organoiden sichtbar war, in vitro bisher noch nicht.“ In Zukunft könnten komplexe künstliche Gehirne laut den Wissenschaftlern dazu genutzt werden, um Krankheiten wie Autismus, Schizophrenie und Epilepsie besser zu erforschen, da sie durch Fehlfunktionen des Gehirns ausgelöst werden. Gleichzeitig betonen die Wissenschaftler aber auch, dass die künstlichen Gehirne noch nicht bewusst denken können und nur ein stark vereinfachtes Modell eines menschlichen Gehirns abbilden.

Cell Press, doi: 10.1016/j.stem.2019.08.002

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