Robert Klatt
Ein Bluttest erkennt anhand von Antikörpern das Risiko für die Entstehung von Multipler Sklerose (MS) schon Jahre vor den ersten Symptomen. In Zukunft könnte der Test Risikopersonen identifizieren, damit Therapien den Ausbruch der neurodegenerativen Erkrankung verzögern oder womöglich komplett verhindern.
Wien (Österreich). Global leiden aktuell etwa 2,8 Millionen Menschen an der chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS), bei der das Immunsystem Strukturen im Gehirn und Rückenmark attackiert. Es kommt dadurch zu Nervenschäden, die mit der Magnetresonanztomografie (MRT) und anhand von bestimmten Proteinen im Blut diagnostiziert werden können, aber erst im späten Krankheitsverlauf. Eine Früherkennung der Krankheit, die erforderlich wäre, um therapeutische Maßnahmen einzuleiten, die den Ausbruch verhindern oder zumindest verzögern, gab es bisher noch nicht.
Forscher der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien) haben nun einen Bluttest präsentiert, der eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) bei Menschen, die in ihrem späteren Leben an MS erkranken, erkennt. Der EBV ist neben Fehlfunktionen des Immunsystems, Genen, Gerinnungsfaktoren im Blut und Darmbakterien einer der häufigsten Auslöser von MS. Nahezu alle Menschen infizieren sich in ihrem Leben mit dem Virus, der jedoch meist unbemerkt im Körper bleibt und keine Krankheit auslöst. Bei manchen Menschen kommt es durch den EBV jedoch zu MS oder anderen Krankheiten.
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Communications haben die Wissenschaftler der MedUni Wien zunächst Blutproben von 704 Menschen mit MS und 5.400 gesunden Kontrollpersonen analysiert. Im Blut der meisten MS-Patienten (98 %) entdeckten sie typische Antikörper, die sich spezifisch an das EBNA-1-Protein des EVB binden, in hoher Konzentration. Bei den gesunden Kontrollpersonen wurden diese Antikörper seltener entdeckt (78 %) und sie kamen nur in einer geringeren Konzentration vor.
Die Forscher erklären, dass sich der Antikörperwert deshalb als Biomarker für MS eignet. Bei den MS-Patienten kamen die Antikörper, die sich auch an mehrere Proteine im Gehirn binden und dadurch Neuronen zerstören, bereits zwischen drei Jahren und neun Monaten vor der Infektion mit dem EBV vor. Die ersten MS-Symptome wurden im Mittel 5,4 Jahren nachdem Auftreten der Antikörper im Blut entdeckt.
„Unsere Studie zeigt, dass eine sehr frühe Phase der MS-Krankheitsentwicklung lange vor Auftreten von ersten Symptomen bereits immunologisch erkennbar ist.“
Die Blutanalysen offenbaren zudem, dass Menschen mit einem konstant hohen Antikörperspiegel im Blut mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit an MS erkranken und dass bei ihnen der Krankheitsverlauf besonders schnell ist.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Personen, bei denen diese Antikörper an mindestens zwei Messzeitpunkten nachweisbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Folgejahren eine MS entwickeln.“
Laut den Wissenschaftlern könnte der Biomarker in Zukunft im klinischen Alltag dabei helfen, Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren. Die Medizin könnte daraufhin eine entsprechende Therapie vor den ersten Symptome einleiten und damit den Ausbruch der Krankheit verzögern oder womöglich komplett verhindern.
„So wäre es möglich, diese Personen so früh zu untersuchen und zu behandeln, dass der Ausbruch der MS verzögert oder vielleicht sogar verhindert werden kann.“
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-025-61751-9