Robert Klatt
Die Fleischproduktion ist für große Umwelt- und Klimaschäden verantwortlich. Nudge+, ein neues Interventionsmodell, bringt Verbraucher dazu, selbstständig deutlich nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. In Zukunft könnte die Methode unter anderem in Bestellterminals von Fast-Food-Ketten integriert werden und in Kombination mit einer Fleischsteuer den Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren.
London (England). Fleisch ist eines der CO₂-intensivsten Lebensmittel und verursacht große Umwelt- und Klimaschäden. Laut einer Studie der Vereinten Nationen (UN) ist die Produktion von tierischen Lebensmitteln für rund 14,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Die Politik und andere Entscheidungsträger versuchen deshalb zunehmend mit dem sogenannten „Nudging“ das Konsumverhalten der Menschen zu ändern, ohne dazu Verbote auszusprechen oder die Preise durch die Einführung von neuen Steuern zu erhöhen.
Kritiker sehen im Nudging aber eine Form der Manipulation. In der Psychologie ist zudem die Wirksamkeit umstritten, weil Nudges bei den meisten Menschen keine langfristigen Verhaltensänderungen auslösen. Wenn die Nudges nicht mehr vorhanden sind, kehren sie also zu ihrem alten Verhalten zurück.
Forscher der London School of Economics and Political Science (LSE) arbeiten deshalb an einer neuen Methode, die Menschen dabei helfen soll, ihre Entscheidungen bewusster zu reflektieren, um ihr Verhalten nachhaltig zu ändern.
„Um den Klimawandel zu bewältigen, können wir uns nicht allein auf kosmetische Anpassungen verlassen, und ein Nudge ist letztlich nur ein oberflächlicher Impuls.“
Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Sustainability soll das neue Interventionsmodell „Nudge+“ Menschen weiterhin in Richtung vorteilhafter Entscheidungen lenken, aber erst, nachdem diese aktiv über ihre Entscheidung nachgedacht haben. Die Idee dahinter ist, dass Menschen durch das aktive Nachdenken selbstständig Ziele definieren, etwa das Reduzieren ihrer individuellen CO₂-Emissionen, und Nudge+ sie lediglich beim letzten Schritt unterstützt.
Um das Interventionsmodell zu erproben, haben die Forscher ein Experiment durchgeführt, bei dem die Probanden Speisen über ein Onlinemenü bestellen konnten. Eine Gruppe erhielt ein herkömmliches Nudge, das sie automatisch in ein Menü mit ausschließlich nachhaltigen Optionen geleitet hat, aus dem sie manuell herauswechseln konnten. Die zweite Gruppe wurde vorab gefragt, ob sie sich zu einer nachhaltigen Ernährung verpflichten wolle. Wer zustimmte, landete im nachhaltigen Menü, wer ablehnte, erhielt die Standardauswahl.
Das Nudging hat in beiden Gruppen zu mehr nachhaltigen Bestellungen als in der Kontrollgruppe geführt. In der Gruppe mit Nudge+, die zuerst aktiv über ihre Wahl nachdenken musste, war die Nudge+ Wirksamkeit jedoch deutlich höher (+ 40 %).
„Das menschliche Gehirn arbeitet mit zwei Systemen. Eines trifft schnelle Entscheidungen und bestimmt alltägliche Handlungen wie den Kauf eines Kaffees. Das andere verarbeitet komplexe Entscheidungen, die mehr Zeit benötigen. Nudges nutzen die schnelle Denkweise, die jedoch fehleranfällig ist, da wir auf Abkürzungen vertrauen. Nudge+ aktiviert zusätzlich die langsame Denkmethode und kombiniert beide Prozesse. Man hält kurz inne, reflektiert und trifft so bewusstere Entscheidungen.“
Laut den Forschern hat das Interventionsmodell großes Potenzial für den Praxiseinsatz, etwa bei den Bestellterminals von Fast-Food-Ketten. Die Autoren erklären jedoch, dass Nudging allein gegen den Klimawandel nicht ausreicht. Das Interventionsmodell sollte daher laut ihnen in Kombination mit weiteren Maßnahmen, etwa einer Fleischsteuer, verwendet werden.
„Um den Klimawandel zu lösen, dürfen wir uns nicht nur auf oberflächliche Veränderungen verlassen. Nudges sind ein Schritt, aber letztlich oberflächlich. Deshalb kombiniere ich in meiner Forschung Verhaltensinterventionen wie Nudge und Nudge+ mit fiskalischen Maßnahmen wie Fleischsteuern oder Subventionen.“
Nature Sustainability, doi: 10.1038/s41893-023-01235-0