Genmutation

Warum haben manche Familien nur Töchter oder nur Söhne?

Robert Klatt

Genmutation beeinflusst Geschlechterverteilung )kcotS ebodAoiduts-kcotsorP(Foto: © 

Manchen Familien bekommen nur Töchter oder nur Söhne, obwohl die Geschlechterverteilung bei Babys nahezu ausgeglichen ist. Neue Analysen zeigen den Grund dafür und bestätigen das Fisher's Principle, eine Theorie der Evolutionsbiologie.

Ann Arbor (U.S.A.). Die Geschlechterverteilung bei Babys ist nahezu ausgeglichen. Es werden also gleich viele Jungen und Mädchen geboren. Manchen Familien haben aber nur Töchter oder nur Söhne. In der Forschung existierte deshalb seit Langem die These, dass die Geschlechterverteilung durch die Gene der Eltern beeinflusst werden könnte. Bisher wurde aber noch keine Belege dafür entdeckt, dass die Geschlechterverhältnisse tatsächlich durch genetische Mutationen beeinflusst werden.

Forscher um den Evolutionsgenetiker Jianzhi Zhang von der University of Michigan (UMich) haben nun eine Genvariante entdeckt, die beim Menschen das Geschlechterverhältnis der Nachkommen beeinflusst. Laut ihnen könnte es zudem noch weitere bislang unentdeckte genetische Varianten geben, die das Geschlechterverhältnis ebenfalls beeinflussen.

„Wissenschaftler erforschen seit Jahrzehnten die genetische Grundlage des Geschlechterverhältnisses, aber bislang fehlten eindeutige Beweise für eine genetische Variation, die das menschliche Geschlechterverhältnis von einem etwa 50:50-Verhältnis abweicht. Dieses Szenario erscheint jedoch unwahrscheinlich, da nahezu alle menschlichen Eigenschaften mutieren und genetische Variationen zeigen.“

Wie die Forscher erklären, lassen sich genetische Variation des Geschlechterverhältnisses nur schwer erkennen, weil das Geschlechterverhältnis nicht genau gemessen wird. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences liegt dies vor allem daran, dass Menschen meistens nur wenige Kinder haben, was dazu führt, dass bei der Schätzung des Geschlechterverhältnisses große Ungenauigkeiten entstehen. Eine Person, die nur ein Kind hat, hat etwa ein geschätztes Geschlechterverhältnis von null oder eins, obwohl das Verhältnis tatsächlich bei 0,5 liegt.

Umfassende Stichprobe nötig

Um den Einfluss von Genmutationen auf das Geschlechterverhältnis ermitteln zu können, ist deshalb eine sehr große Stichprobe mit vielen Probanden nötig. Die Forscher haben deshalb Daten aus der UK Biobank analysiert, die Informationen zu rund 500.000 Menschen enthält. Sie konnten so ermitteln, dass die Nukleotidveränderung rs144724107 die Wahrscheinlichkeit ein Mädchen, statt einen Jungen zu bekommen um zehn Prozent erhöht. In der UK Biobank wurde diese Nukleotidveränderung lediglich bei 0,5 Prozent der Probanden entdeckt.

Daten bestätigen Fisher's Principle

Die Ergebnisse bestätigen somit das sogenannte „Fisher's Principle“, eine Theorie der Evolutionsbiologie, laut dem die natürliche Selektion des Menschen genetische Varianten bevorzugt, durch die das seltenere Geschlecht bei Neugeburten überwiegt. Das bedeutet, wenn in einer Population weniger männliche als weibliche Individuen geboren werden, bevorzugt die natürliche Selektion genetische Varianten, die die Anzahl der männlichen Geburten erhöhen – und umgekehrt. Dadurch resultiert eine in etwa ausgeglichene Geschlechterverteilung.

„Damit das Prinzip von Fisher funktioniert, müssen Mutationen existieren, die das Geschlechterverhältnis beeinflussen. Die Tatsache, dass bislang keine genetische Variation des menschlichen Geschlechterverhältnisses identifiziert wurde, führte einige Wissenschaftler dazu, die Anwendbarkeit von Fishers Prinzip auf den Menschen infrage zu stellen.“

Laut den Forschern können die neuen Erkenntnisse, obwohl sie mit Menschen gewonnen wurden, auch in der industriellen Tierzucht helfen.

„In der Landwirtschaft ist ein Geschlecht – meist das weibliche – oft von wesentlich höherem wirtschaftlichem Wert. Zum Beispiel werden Hennen für die Eierproduktion und weibliche Kühe für die Milchproduktion geschätzt. Individuen mit geringem ökonomischem Wert, meist männliche Tiere, werden oft kurz nach der Geburt getötet. Das Auffinden genetischer Varianten bei Nutztieren mit ebenso großem Effekt wie der menschliche rs144724107 könnte beträchtliche Profite und auch Verbesserungen im Tierschutz bringen.“

In noch kommenden Studien möchten die Wissenschaftler untersuchen, ob ihre Erkenntnisse auch mit anderen Stichproben bestötigt werden können. Dies ist in der Praxis aber problematisch, weil aufgrund der Seltenheit der genetischen Variante eine sehr große Stichprobengröße erforderlich ist.

Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, doi: 10.1098/rspb.2024.1876

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