Biofilme

Mittelalter-Medikament gegen Bakterien wirksamer als Antibiotika

Robert Klatt

Bald’s Leechbook )kciwraW fo ytisrevinU(Foto: © 

Eine tausend Jahre alte Salbe aus Ochsengalle, Wein, Knoblauch und Zwiebeln tötet viele Bakterien, die gegen herkömmliche Antibiotika bereits immun sind.

Coventry (England). Viele Bakterien, darunter Erregerstämme des Krankenhauskeims Staphylococcus aureus (MRSA) und des Wundbakteriums Acinetobacter baumanii, haben gegen fast alle Antibiotika eine Immunität entwickelt. Noch schwieriger lassen sich die krankmachenden Keime bekämpfen, wenn sie wie zum Beispiel die Karies-Bakterien Streptococcus mutans einen schützenden Biofilm bilden, der sie vor antibakteriellen Wirkstoffen schützt. Wie eine Studie, die die Fleischproduktion untersucht hat, zeigt, können diese Biofilme selbst von Desinfektionsmitteln oft nicht beseitigt werden.

Wissenschaftler der University of Warwick haben nun im Bald’s Leechbook, einem Rezeptbuch aus dem Mittelalter, eine Salbe entdeckt, mit der sich gängige Wundbakterien behandeln lassen sollen. Laut der im Fachmagazin Scientific Reports publizierten Forschungsarbeit besteht die Augensalbe zu gleichen Teilen aus Ochsengalle, Wein, Knoblauch und Zwiebeln.

Augensalbe aus dem Mittelalter

Um zu untersuchen, wie gut das tausend Jahre alte Medikament gegen Wundbakterien wirkt, hat das Team um Jessica Furner-Pardoe die Salbe nach ihrem Originalrezept zubereitet. Erprobt wurde die Salbe mit den Erregern Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis, Acinetobacter baumanii, Streptococcus pyogenes und Stenotrophomonas maltophilia, die die Wissenschaftler einmal als Lösung und einmal als wundähnlichen Biofilm züchteten. Anschließend wurden diese mit der Salbe bedeckt und die Wissenschaftler beobachteten 24 Stunden, wie sich die Bakterien entwickeln.

Wirksam auch gegen Biofilme

Laut Furner-Pardoe „löschte die Zubereitung fast alle in Wasser gelösten Bakterienkulturen komplett aus.“ Lediglich bei Staphylococcus aureus und S. maltophilia verblieben noch lebende Bakterien in der Lösung, die Zahl reduzierte sich aber um den Faktor 1.000 bis 10.000.

Auch bei Bakterien mit schützendem Biofilm wirkt die mittelalterliche Augensalbe und tötet die Bakterienansiedlungen vollständig ab. Lediglich Biofilme aus multiresistenten MRSA-Erregern konnten nicht vollständig getötet werden, wurden durch das Medikament aber stark dezimiert. Die Wissenschaftler konstatieren daher, dass „Balds Augensalbe sich damit als vielversprechender Kandidat für eine antimikrobielles Mittel erweist.“ Außerdem zeigt die Studie, dass die Medizin bereits im Mittelalter wirksame Medikament gegen gefährliche Krankheitserreger entwickeln konnte.

Wirkung nur in Kombination

Dabei ist überraschend, dass die hohe Wirksamkeit der Bestandteile nur durch deren Kombination ausgelöst wird. Es ist zwar schon lange bekannt, dass der Knoblauch-Inhaltsstoff Allicin gegen eine Reihe von Bakterien wirkt, allein kann er Biofilme aber nicht beseitigen  und auch freischwimmende Bakterien nur zum Teil abtöten. Auch das Weglassen anderer Zutaten in der Salbe reduzierte deren Wirksamkeit deutlich. Furner-Pardoe erklärt,  dass „das bestätigt, dass die Wirkung von Balds Augensalbe auf der Präsenz aller vier Zutaten beruht.“

Wie Furner-Pardoe erklärt, „ist die Erforschung natürlicher Substanzen bislang meist auf die Isolierung einzelner Wirkstoffe und Verbindungen fokussiert. Aber die Resultate belegen, dass die Wissenschaft dadurch potente, gegen Biofilme wirksame Mittel übersehen könnten, weil die Wirkung solcher Naturrezepte oft erst durch den Cocktail verschiedener Substanzen zustande kommt.“ In Zukunft könnte die Augensalbe auch direkt zum Beispiel bei schwer heilenden Wunden von Diabetikern eingesetzt werden.

Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-020-69273-8

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