Fossilien aus Thüringen

Menschen lebten trotz Kälte deutlich früher in Europa als angenommen

Robert Klatt

LRJ-Klingen (Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician) aus der Region der Ilsenhöhle )sinaR gruB muesuM /trebuhcS enihpesoJ(Foto: © 

Neue Funde aus der Ilsenhöhle in Thüringen zeigen, dass der moderne Menschen (Homo sapiens) bereits vor mindestens 45.000 Jahren in Mittel- und Nordwesteuropa gelebt hat, obwohl es damals bis zu 15 Grad Celsius kälter war als heute. 

Leipzig (Deutschland). In der Wissenschaft ging man bisher davon aus, dass moderne Menschen (Homo sapiens) erst vor etwa 40.000 Jahren in größeren Zahlen in Europa gelebt haben. Ältere Relikte, die in Nordwesteuropa entdeckt wurden, hat man hingegen den Neandertalern (Homo neanderthalensis) zugeordnet, die deutlich vor dem Homo sapiens in Europa gelebt haben sollen und vor rund 40.000 Jahren ausgestorben sind.

Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) um Jean-Jacques Hublin haben laut einer Publikation im Fachmagazin Nature nun entdeckt, dass moderne Menschen und Neandertaler Mittel- und auch Nordwesteuropa möglicherweise über mehr als 10.000 Jahre gemeinsam bevölkert haben.

Homo sapiens in Mittel- und auch Nordwesteuropa

Laut zwei Publikationen im Fachmagazin Nature Ecology und Evolution (1, 2) zeigen Funde aus der Ilsenhöhle in Thüringen, dass moderne Menschen dort bereits vor mindestens 45.000 Jahren gelebt haben, obwohl es 7 bis 15 Grad Celsius kühler war als aktuell. Dies belegt, dass bereits frühe Homo sapiens sich gut an unwirtliche Umweltbedingungen anpassen konnten.

In der Ilsenhöhle haben die Forscher unter anderem LRJ-Klingen (Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician) und Knochenreste mit der DNA des Homo sapiens entdeckt. Andere LRJ-Steinklingen, die etwa in Großbritannien gefunden wurden, wurden ebenfalls dem frühen Homo sapiens zugeordnet.

„Die Fundstelle in Ranis erbrachte den Beweis für die erste Ausbreitung von Homo sapiens in die nördlichen Breiten von Europa. Es ist jetzt sicher, dass Steingeräte, von denen man dachte, dass sie von Neandertalern hergestellt wurden, definitiv von modernen Menschen stammen.“

Erneute Untersuchung der Ilsenhöhle

Laut Geoff Smith wurde die Ilsenhöhle bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren von unterschiedlichen Archäologen untersucht. Die Forscher des MPI EVA sind bei ihren Ausgrabungen aber in zuvor nicht erforschte Schichten vorgedrungen, in denen sie unter anderem tausende zersplitterte Knochenfragmente finden konnten, die teilweise vom Homo sapiens stammen.

„Die archäozoologische Untersuchungen zeigen, dass die Höhle in Ranis abwechselnd von Hyänen, überwinternden Höhlenbären und kleinen Menschengruppen genutzt wurde. Obwohl diese Menschen die Höhle nur über kurze Zeiträume nutzten, verzehrten sie Fleisch einer Reihe von Tieren, darunter Rentiere, Wollnashörner und Pferde.“

Kaltes Kontinentalklima in Thüringen

Laut einer Isotopenanalyse von Pferdezähnen herrschte im heutigen Thüringen vor 45.000 Jahren ein kaltes Kontinentalklima. Die Region ähnelte laut Sarah Pederzani dem heutigen Sibirien. 

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst diese frühen Homo-sapiens-Gruppen, als sie sich über Eurasien ausbreiteten, schon in der Lage waren, sich an solch raue klimatische Bedingungen anzupassen. Bisher ging man davon aus, dass die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen kalte Klimabedingungen erst mehrere Tausend Jahre später entstand.“

Laut den Forschern ist es denkbar, dass die Homo sapiens aus der Ilsenhöhle zum Jagen großer Tiere in die Region gekommen sind. Ob sie dauerhaft in der Region gelebt oder nur saisonal dort gejagt haben, ist bisher nicht geklärt.

Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06923-7

Nature Ecology und Evolution, doi: 10.1038/s41559-023-02303-6

Nature Ecology und Evolution, doi: 10.1038/s41559-023-02318-z

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