Naturschauspiel

Seltenes Naturphänomen: Wie Frostblumen auf dem Meer entstehen

(KI Symbolbild). Auf einer frisch zugefrorenen Wasserfläche in der Arktis wächst ein Teppich aus Frostblumen, jede einzelne nur wenige Zentimeter groß und doch scharf gegen den dunklen Ozean abgezeichnet. Die Sonne steht knapp über dem Horizont und lässt die filigranen Kristalle wie Glasblüten leuchten, während im Hintergrund die polare Winterlandschaft im Dunst verschwindet. Weil die Meereisblumen Felder nur bei extremer Kälte, Windstille und jungem Meereis entstehen, gilt dieses Schauspiel als seltenes Naturphänomen. Schon kleine Temperaturänderungen reichen aus, um die Kristallgärten abschmelzen zu lassen und das Naturschauspiel innerhalb weniger Stunden verschwinden zu lassen. )IKnessiW dnu gnuhcsroF(Foto: © 

In der Dämmerung über dem gefrorenen Meer sieht die Eisfläche plötzlich nicht mehr glatt und weiß aus, sondern wie ein Feld aus Glasblüten. Tausende Frostblumen stehen dicht an dicht auf junges Meereis, ihre Spitzen glitzern im schrägen Pollicht, während die Temperatur weit unter minus 20 Grad Celsius gefallen ist und kein Windhauch die Stille stört. Wer so eine Szene in der Arktis erlebt, sieht eines der seltensten Naturbilder der Erde: Meereisblumen, die nur unter extremen Bedingungen wachsen und meist verschwunden sind, bevor am Horizont die Sonne höher steigt. Genau diese Mischung aus flüchtiger Schönheit und harter Physik macht Frostblumen zu einem der eindrucksvollsten Naturphänomene der polaren Winterlandschaft.

Schon frühe Polarfahrer berichteten von seltsam kristallisierten Eisflächen, die an zerbrechliche Blumenfelder erinnerten, doch erst moderne Messkampagnen auf dem Meereis klären, wie und wo diese Gebilde wirklich entstehen. Heute gelten Frostblumen als Signatur von sehr kalter, ruhiger Luft über jungem Meereis und als sensibler Indikator dafür, wie schnell sich Polarmeere verändern. Während neutrale Hintergrundseiten wie die Themenübersicht zu Eis in der Klimaforschung die großen Linien der Kryosphäre beschreiben, fokussiert sich die Forschung zu Frostblumen auf die seltenen Stunden, in denen all ihre Entstehungsbedingungen gleichzeitig erfüllt sind. Die Geschichte reicht von ersten Expeditionsberichten über Laborversuche zur Kristallbildung bis hin zu aktuellen Studien, die die kurzen Lebensphasen dieser Mikrolebensräume Arktis mit hochauflösenden Instrumenten vermessen.

Wie Frostblumen auf jungem Meereis entstehen

Wer Frostblumen sehen will, braucht vor allem Geduld und Glück, denn die Entstehungsbedingungen sind extrem eng begrenzt. Zunächst muss sich auf offener Wasserfläche oder in einem Riss im Packeis eine wenige Zentimeter dicke Schicht junges Meereis bilden, häufig in einer klaren Nacht, wenn der Ozean seine Wärme direkt an die Atmosphäre abgibt. Über diesem Eis liegt Wasser bei knapp unter null Grad, darüber strömt sehr kalte Polarluft mit Temperaturen, die typischerweise 15 bis 20 Kelvin kälter sind als die Eisoberfläche. Diese Temperaturdifferenz treibt einen starken Fluss von Wasserdampf nach oben; direkt über dem Eis entsteht eine hauchdünne Schicht übersättigter Luft. Sobald kleine Unebenheiten oder erste Eiskeime in diese Schicht hineinragen, beginnen dort Kristalle zu wachsen, ähnlich wie feiner Raureif, aber mit komplexeren Strukturen. Eine Laborstudie zur Kristallbildung auf Eis zeigt, dass Frostblumen nur dann stabil wachsen, wenn die Luft extrem trocken, sehr kalt und nahezu windstill ist; schon mäßiger Wind mischt die Grenzschicht durch und stoppt das Wachstum.

Im Gegensatz zu Eisblumen auf Fenstern spielen beim Wachstum der Meereisblumen auch Salz und die besondere Porenstruktur des Meereises eine Rolle. Wenn Meerwasser gefriert, wird Salz in feinen Kanälen aus dem Eis gedrängt und bildet eine konzentrierte Salzlake an der Oberfläche. Diese Lake benetzt das junge Eis, steigt durch Kapillarkräfte in die wachsenden Kristalle und sorgt dafür, dass viele Frostblumen deutlich salzhaltiger sind als das Meerwasser darunter. Eine detaillierte Auswertung von Feld- und Laborversuchen, etwa im Umfeld der Arbeit zu Frostblumen auf jungem arktischem Meereis, zeigt, dass die Kristalle typischerweise wenige Zentimeter groß sind und in Clustern wachsen, die sich innerhalb weniger Stunden über große Flächen ausbreiten können, solange Wind und Temperatur stabil bleiben. Sobald die Luft etwas feuchter, wärmer oder turbulenter wird, beginnen die zarten Strukturen zu schrumpfen, zu vereisen oder von Neuschnee überdeckt zu werden, sodass die Meereisblumen Felder meist nur für kurze Zeit als eigenständiges Muster erkennbar bleiben.

Frühe Beobachtungen und erste Beschreibungen

Die Geschichte der Frostblumen beginnt lange vor systematischen Messungen. In Logbüchern früher arktischer und antarktischer Expeditionen des 18. und 19. Jahrhunderts finden sich Beschreibungen „blumenartiger“ Eisstrukturen auf dem Meer, oft verbunden mit Vermerken über ungewöhnlich tiefe Temperaturen und spiegelglatte Luft. Explorationsberichte aus der Zeit von Hudson, Cook, Weddell oder Ross erwähnen gelegentlich feine, blütenähnliche Kristalle auf neuer Eisdecke, ohne dass die physikalische Ursache klar war. Erst im 20. Jahrhundert, als Polarforscher regelmäßig mit Kameras, Thermometern und später mit automatischen Datenloggern unterwegs waren, taucht der Begriff Frostblumen in einem klaren wissenschaftlichen Kontext auf. Ein populärwissenschaftlicher Überblick der Universität Washington zeigt, dass frühe Beobachter die zarten Strukturen zwar staunend beschrieben, aber weder die Rolle von Salzlake noch die besondere Kopplung zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre erkennen konnten, die moderne Studien heute nachweisen.

Mit der Entstehung der Meereisphysik als eigenständigem Forschungsfeld wuchs das Interesse an diesen auffälligen, aber schwer zugänglichen Kristallgärten. In den 1990er- und 2000er-Jahren wurden erstmals systematische Feldkampagnen organisiert, bei denen Teams gezielt auf frisch gefrorene Leads hinausfuhren, um die kurzen Phasen zu nutzen, in denen Frostblumen entstehen. Parallel dazu untersuchten Laborgruppen, wie sich die Kristalle unter kontrollierten Bedingungen entwickeln, wenn Lufttemperatur, Luftfeuchte und Salzgehalt der Oberflächenlake genau eingestellt werden. Eine experimentelle Arbeit zur Frostblumenbildung auf Eisoberflächen zeigt, dass ähnliche Strukturen auch auf reinem Süßwassereis entstehen können, wenn die Luft extrem kalt und trocken ist, während die spektakulärsten Formen typischerweise über salzhaltigem Meereis beobachtet werden. Aus der anfänglichen Verwunderung über ein seltsames Blütenmuster im Eis wurde damit schrittweise ein klar umrissenes Forschungsfeld, das physikalische, chemische und biologische Aspekte der Kryosphäre zusammenführt.

Moderne Forschung: vom Kristall zum Mikrolebensraum

Heute betrachten Forscher Frostblumen nicht mehr nur als optische Kuriosität, sondern als eigenständige Mikrolebensräume Arktis. In den feuchten Hohlräumen zwischen den Kristallen konzentrieren sich Salze, Spurenelemente und organische Verbindungen, die aus dem Ozean stammen oder aus der Atmosphäre deponiert werden. Eine aktuelle Studie zum Mikrobiom arktischer Frostblumen zeigt, dass sich in diesen Strukturen eine erstaunlich vielfältige Gemeinschaft von Bakterien, Algen, Pilzen und Viren findet, die sich von den Organismen im darunterliegenden Meerwasser deutlich unterscheiden kann. Solche Ergebnisse legen nahe, dass Frostblumen eine Art schwebende Übergangszone bilden, in der Stoffe und Mikroorganismen zwischen Ozean, Eis und Luft ausgetauscht werden. Diese Mikrolebensräume Arktis sind dabei extrem dynamisch: sie wachsen, verändern ihre Form und verschwinden innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden.

Parallel zur biologischen Forschung werden Frostblumen auch mit Blick auf ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften untersucht. Messungen in der Arktis und Antarktis, kombiniert mit Modellen, zeigen, dass die Kristalle aufgrund ihrer großen Oberfläche und ihres hohen Salzgehalts potenziell als Quelle salzhaltiger Aerosole dienen, die in die Atmosphäre eingetragen werden. Für Satellitenmissionen sind Frostblumen zudem ein Störfaktor, weil sie die elektromagnetische Signatur der Eisoberfläche verändern und so Messungen von Meereisdicke und -bedeckung verfälschen können, wie frühe Fernerkundungsstudien betonen. Dass ein scheinbar zartes Naturbild gleich mehrere Forschungsdisziplinen verbindet, ist einer der Gründe, warum Frostblumen immer wieder in Fachzeitschriften auftauchen, obwohl sie im Gelände so schwer zu fassen sind.

Wo dieses seltene Naturphänomen zu sehen ist

Trotz aller Aufmerksamkeit bleiben Frostblumen ein seltenes Naturphänomen. Am häufigsten werden sie in der Arktis und Antarktis auf frisch gefrorenen Flächen jungen Meereises beobachtet, vor allem im Spätherbst und Frühling, wenn große Bereiche des Ozeans neu zufrieren und die Lufttemperaturen noch besonders stark schwanken. Expeditionen berichten von Szenen, in denen ganze Meereisblumen Felder auf Leads und Rinnen zwischen den Schollen wachsen, während wenige Kilometer weiter bereits älteres, raues Packeis dominiert. Ein kurzer Temperaturanstieg oder aufkommender Wind reicht meist aus, um das Bild vollständig zu verändern; die kristallinen Felder verwandeln sich dann innerhalb kürzester Zeit wieder in eine vergleichsweise strukturlose Eisfläche. Erfahrungsberichte aus Japan, etwa vom Lake Akan auf Hokkaidō, sowie aus nördlichen Binnengewässern Nordamerikas zeigen, dass ähnliche Strukturen auch auf dünnem Süßwassereis entstehen können, allerdings deutlich seltener und meist nur an wenigen Tagen pro Jahr.

Weil Frostblumen auf jungem Meereis wachsen, sind sie indirekt an die großskaligen Veränderungen des Polareises gekoppelt. Studien zum Rückgang von Meereis deuten darauf hin, dass die Ränder des Packeises dynamischer werden, mit mehr offenen Rissen, die neu zufrieren und damit kurzfristig mehr Wachstumsflächen für Frostblumen schaffen könnten. Zugleich schrumpft die Gesamtfläche des winterlichen Meereises, wie auch Analysen zum beschleunigten Abschmelzen in der Arktis zeigen, über die beispielsweise in Beiträgen wie „Das Eis in der Arktis schmilzt immer schneller“ auf forschung-und-wissen.de berichtet wird. Zusammen mit neuen Befunden zu Meereisveränderungen in der Antarktis, wie sie etwa in Analysen zu schwindendem Meereis der Südhalbkugel beschrieben werden, entsteht ein Bild, in dem Frostblumen als feine Indikatoren für die physikalischen Zustände der polaren Ozeanoberfläche dienen. Für Beobachter bleiben sie aber das, was sie seit den ersten Expeditionsberichten waren: ein flüchtiger, fast schon märchenhafter Anblick in einer ansonsten kargen polaren Winterlandschaft.

Warum das Schauspiel so schwer zu erforschen ist

Aus Sicht der Wissenschaft ist eine der größten Herausforderungen, dass Frostblumen gleich in mehrfacher Hinsicht schwer zugänglich sind. Sie entstehen nur bei sehr niedrigen Temperaturen und fast völliger Windstille, meist weit entfernt von festen Stationen, auf dünnem Eis, das nur mit großem Risiko betreten werden kann. Forscher müssen daher kurze Zeitfenster nutzen, in denen Hubschrauber, Eisbrecher oder Schneefahrzeuge die entsprechenden Zonen erreichen, und ihre Messungen buchstäblich in Minuten planen. Gleichzeitig sind viele der relevanten Prozesse – vom Feuchtetransport in der Grenzschicht über die Kristallwachstumsraten bis hin zur mikrobiellen Aktivität – so kleinskalig, dass sie mit herkömmlichen Klimamodellen kaum erfasst werden. Projekte, die die Rolle von Meereis und Frostblumen für die Entstehung salzhaltiger Aerosole und deren atmosphärische Wirkung analysieren, versuchen deshalb, punktuelle Feldmessungen mit Laborstudien und Modellierung zu verknüpfen.

Hinzu kommt, dass das gesamte Umfeld, in dem Frostblumen auftreten, sich derzeit rasch ändert. Der Klimawandel verändert die Dauer der Meereisbedeckung, die Häufigkeit extremer Kältephasen und die Struktur der Packeisgebiete, wie eine Reihe aktueller Studien zeigt, über die Beiträge zu arktischen Klimaeffekten auf Kältewellen in Europa oder zur Rolle der Ozeanströmungen im Arktisraum berichten. Dadurch verschieben sich nicht nur die geographischen Zonen, in denen Frostblumen auftreten können, sondern möglicherweise auch die Häufigkeit, mit der sich die notwendigen Bedingungen einstellen. Für die Forschung bedeutet dies, dass sie ein Phänomen kartieren muss, das sich selbst im Wandel befindet. Für Beobachter bleibt der Kern unverändert: Wer Frostblumen in der Arktis einmal im direkten Morgenlicht gesehen hat, erlebt ein Naturbild, das selbst in der Vielfalt polarer Winterlandschaften zu den seltensten und vergänglichsten Erscheinungen zählt.

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