Schlafmangel

Studie zeigt: Deutsche schlafen deutlich zu wenig

 Dennis L.

(Symbolbild) Chronischer Schlafmangel macht sich oft zuerst im Berufsalltag bemerkbar: Konzentration, Reaktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit sinken deutlich. Studien zeigen, dass schon wenige zu kurze Nächte das Risiko für Fehler und gesundheitliche Probleme am Arbeitsplatz erhöhen. )kcotS ebodAnaeD toborD(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Viele Deutsche kämpfen mit Schlafmangel und Schlafstörungen
  • Moderne Wearables messen Schlafdauer und Schlafqualität im Alltag
  • Chronischer Schlafmangel erhöht langfristig Krankheitsrisiken und Sterblichkeit

Wie viel Schlaf Erwachsene wirklich bekommen, lässt sich inzwischen millionenfach mit Wearables messen. Eine aktuelle Auswertung von 716 Millionen Nächten zeigt, dass viele Menschen weltweit deutlich unter der empfohlenen Schlafdauer bleiben. Besonders in Deutschland klaffen Zeit im Bett, Schlafqualität und Alltagserleben immer weiter auseinander. Neue Daten verknüpfen diese Muster mit messbaren Risiken für Herz-Kreislauf-System, Stoffwechsel und Sterblichkeit, lassen aber auch Spielraum für Interpretation.

Die meisten Erwachsenen spüren intuitiv, dass eine zu kurze Nacht Folgen hat: Konzentration und Reaktionsfähigkeit sinken, Stimmung und Leistungsfähigkeit schwanken, einfache Aufgaben wirken anstrengender als sonst. In der Schlafmedizin wird Schlaf längst nicht mehr nur als Erholungsphase verstanden, sondern als aktiver biologischer Prozess, in dem neuronale Netzwerke stabilisiert, Stoffwechselprodukte abgebaut und Immunreaktionen feinjustiert werden. Internationale Fachgesellschaften empfehlen für gesunde Erwachsene meist eine Schlafdauer von sieben bis neun Stunden, wobei große Kohortenstudien ein relativ schmales Optimum um etwa sieben Stunden bestätigen. Auch auf forschung-und-wissen.de zeigen Analysen zur optimalen Schlafdauer, dass sowohl dauerhaft verkürzter als auch deutlich verlängerter Schlaf mit gesundheitlichen Nachteilen verknüpft ist. Entscheidend ist allerdings nicht nur, wie viele Stunden im Bett verbracht werden, sondern wie hoch die Schlafqualität ist und wie gut die inneren Rhythmen mit Licht, Arbeit und sozialen Verpflichtungen zusammenpassen.

Lange Zeit stützte sich die Forschung zu Schlafmangel vor allem auf Fragebögen, kleinere Laborstudien und aufwendige Messungen mit Elektroden im Schlaflabor. Inzwischen hinterlassen Millionen Menschen digitale Spuren ihres Schlafs, weil sie nachts Smartwatches, Fitnessarmbänder oder Smartphones tragen, die Bewegungen, Herzfrequenz und Atemrhythmus registrieren. Diese Wearables liefern keine klinischen Diagnosen, erlauben aber eine grobe Rekonstruktion von Schlafdauer, Einschlafzeit, Aufwachphasen und Schlafeffizienz für sehr große Populationen. Eine aktuelle Auswertung solcher Daten legt nun nahe, dass die durchschnittliche Schlafdauer weltweit weiter schrumpft und viele Erwachsene regelmäßig unter den empfohlenen Mindestwert von etwa sieben Stunden rutschen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie stark Deutschland von diesem Trend betroffen ist, welche Rolle Alltagsgewohnheiten und Arbeitszeiten spielen und wie gut sich solche Wearable-Daten mit klassischen epidemiologischen Studien zur Sterblichkeit und zu chronischen Erkrankungen in Einklang bringen lassen.

Wie die Samsung-Daten den globalen Schlaf vermessen

Im Zentrum der neuen Analysen steht ein gigantischer Datensatz aus der Samsung Health App, in dem anonymisierte Schlafprotokolle von 64 Millionen aktiven Nutzerkonten gesammelt wurden. In der als Samsung Schlafstudie 2023 vorgestellten Auswertung flossen 716 Millionen Nächte aus 195 Ländern ein, die zwischen Juni 2021 und Mai 2023 aufgezeichnet wurden. Erfasst wurden vor allem Erwachsenenprofile, bei denen die Schlafaufzeichnung der Galaxy Watch über mindestens mehrere Nächte aktiv war. Aus Bewegungsdaten, Herzfrequenzverläufen und Phasen niedriger Aktivität berechneten Algorithmen eine geschätzte Schlafdauer pro Nacht sowie die Schlafeffizienz, also den Anteil der tatsächlich schlafend verbrachten Zeit an der Zeit im Bett. Zusätzlich wurden Ein- und Aufwachzeiten und die Konstanz der Schlafzeiten berücksichtigt, sodass sich typische Schlaftypen identifizieren ließen, vom relativ gut schlafenden Nutzer mit stabilem Rhythmus bis zum stark unterversorgten Nutzer mit ausgeprägtem Schlafmangel.

Die Auswertung zeigt, dass die mittlere Schlafdauer im globalen Mittel knapp unter sieben Stunden liegt und im Vergleich zum Vorjahr um einige Minuten gesunken ist. Gleichzeitig verlängert sich die Zeit, in der Menschen zwar im Bett liegen, aber wach sind, was die Schlafeffizienz verschlechtert. Besonders auffällig ist, dass Menschen, die tagsüber sehr aktiv sind, zwar etwas kürzer schlafen, dafür aber weniger nächtliche Aufwachphasen und damit eine bessere Schlafqualität zeigen. Die Studie macht damit sichtbar, wie stark sich Schlafdauer und Schlafqualität zwischen Ländern, Altersgruppen und Geschlechtern unterscheiden, ohne auf Selbstauskünfte angewiesen zu sein. Methodisch bleibt aber wichtig, dass die Daten nur Personen abbilden, die überhaupt eine Smartwatch tragen und das Schlaftracking bewusst aktivieren. Menschen mit sehr niedrigem Einkommen, schweren chronischen Krankheiten oder ohne Interesse an digitaler Selbstvermessung tauchen in diesen Wearable-Daten deutlich seltener auf, sodass trotz der enormen Stichprobengröße keine vollständig repräsentative Bevölkerungsstudie entsteht.

Deutschland im internationalen Vergleich: lange im Bett, trotzdem Schlafmangel

Für Europa, und damit auch für Deutschland, zeichnen die Wearable-Daten ein widersprüchliches Bild. In vielen europäischen Ländern verbringen Erwachsene im Durchschnitt zwar länger Zeit im Bett als Nutzer in anderen Weltregionen, schlafen aber trotzdem nicht durch. In den Samsung-Daten zeigt sich, dass die Schlafeffizienz in Europa zwar leicht besser ist als im globalen Durchschnitt, gleichzeitig aber auch hier die Schlafdauer leicht abnimmt und die nächtlichen Wachphasen zunehmen. Nordeuropäische Länder schneiden bei der reinen Schlafdauer im Mittel etwas besser ab als Südeuropa, was mit den längeren Tageslichtphasen und einem anderen Arbeitsrhythmus zusammenhängen könnte. Auch in Deutschland verschiebt sich die typische Einschlafzeit zunehmend nach hinten, während der Wecker am Morgen durch Arbeit, Schule und Pendelzeiten relativ konstant bleibt. Diese Kombination aus spätem Zubettgehen und frühem Aufstehen führt dazu, dass viele Menschen an Arbeitstagen nur sechs Stunden oder weniger Schlaf erreichen und damit in einen Bereich geraten, der in vielen Studien mit erhöhtem Krankheitsrisiko verknüpft ist.

Parallel zu den Wearable-Daten dokumentieren Krankenkassen seit Jahren eine Zunahme formaler Diagnosen von Schlafstörungen. Eine Analyse der Barmer-Krankenkasse zeigt, dass der Anteil der Versicherten mit entsprechender Diagnose in Deutschland zwischen 2012 und 2022 von fünf auf rund sieben Prozent gestiegen ist, was etwa sechs Millionen Fällen entspricht. Besonders starke Zuwächse finden sich bei jüngeren Erwachsenen und bei Menschen über 60 Jahren. Daten von Krankenkassen und frühere Auswertungen auf forschung-und-wissen.de über Schlafstörungen in Deutschland legen nahe, dass beruflicher und privater Stress, Schichtarbeit, ständige Erreichbarkeit und der intensive Gebrauch digitaler Medien am späten Abend zentrale Treiber sind. Während Wearables eher die zeitlichen Muster von Schlafdauer und Schlafeffizienz sichtbar machen, spiegeln die Diagnosedaten der Krankenversicherung wider, wie viele Menschen bereits unter Beschwerden leiden, die stark genug sind, um eine ärztliche Abklärung zu veranlassen.

Biologische Folgen von chronischem Schlafmangel

Dass chronischer Schlafmangel mehr ist als ein subjektiv unangenehmes Phänomen, belegen zahlreiche epidemiologische und experimentelle Studien. Schon nach wenigen Nächten mit verkürzter Schlafdauer steigen Blutdruck und Puls im Mittel an, Stresshormone bleiben länger erhöht und die Regulation des Blutzuckers gerät aus dem Gleichgewicht. Bildgebende Untersuchungen zeigen, dass bestimmte Hirnregionen empfindlich reagieren, wenn die Tiefschlafphasen verkürzt werden, was sich in schlechterer Gedächtnisleistung und verminderter Aufmerksamkeit niederschlägt. Eine Panelstudie, die in PLOS One unter dem Titel Better sleep, better life? testing the role of sleep on quality of life veröffentlicht wurde, zeigt, dass Menschen mit konsistent schlechter Schlafqualität im Verlauf mehrerer Jahre eine deutlich geringere Lebenszufriedenheit berichten als Personen mit stabilem, ausreichend langem Schlaf. Gleichzeitig deuten neurobiologische Arbeiten darauf hin, dass bestimmte Entgiftungsprozesse im Gehirn, bei denen Stoffwechselprodukte aus dem Nervengewebe entfernt werden, vor allem im Tiefschlaf effizient ablaufen und bei wiederholter Verkürzung nur unvollständig stattfinden.

Viele große Kohortenstudien verknüpfen dauerhaft verkürzte Schlafdauer robust mit dem Risiko für chronische Krankheiten und erhöhte Sterblichkeit. Analysen auf forschung-und-wissen.de zu unter fünf Stunden Schlaf verdeutlichen, dass Erwachsene mit so kurzer Nachtruhe häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Demenz und bestimmten Krebsarten erkranken. Eine im Journal of the American College of Cardiology unter dem Titel Low-risk sleep patterns, mortality, and life expectancy at age 30 years publizierte Auswertung von 172.321 Erwachsenen zeigt, dass Personen mit einer Kombination aus sieben bis acht Stunden Schlafdauer, seltenen Ein- und Durchschlafproblemen, ohne regelmäßige Schlafmedikation und mit erholtem Aufwachen im Mittel mehrere Jahre länger leben als Menschen mit ungünstigen Schlafmustern. Je nach Geschlecht ergeben sich Unterschiede von rund zwei bis fünf Jahren zusätzlicher Lebenserwartung, was unterstreicht, dass die Summe verschiedener Aspekte des Schlafverhaltens für die Sterblichkeit relevanter ist als die reine Stundenzahl.

  • Chronischer Schlafmangel erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Hypertonie
  • Verkürzte Schlafdauer verschlechtert Glukosestoffwechsel und Gewichtskontrolle und begünstigt Übergewicht
  • Gestörte Schlafqualität fördert depressive Symptome, Angststörungen und anhaltende kognitive Beeinträchtigungen
  • Nächtliche Erholungsdefizite beeinflussen Immunsystem und Entzündungsprozesse und erhöhen Infektanfälligkeit
  • Unregelmäßige Schlafzeiten stören die innere Uhr und verstärken die negativen Effekte von Schlafmangel

Diese Zusammenhänge bedeuten nicht, dass einzelne kurze Nächte automatisch krank machen, sondern dass ein anhaltendes Muster aus zu wenig Schlafdauer und schlechter Schlafqualität über Jahre hinweg das Risiko für chronische Erkrankungen und frühzeitige Sterblichkeit erhöht. In der Schlafmedizin gilt die Kombination aus Schlafmangel, Tagesmüdigkeit und Leistungsabfall als Warnsignal, insbesondere wenn sich die Beschwerden über Wochen und Monate hinweg stabilisieren. Wearables können hier Hinweise liefern, ersetzen aber keine Diagnostik, weil sie weder zwischen verschiedenen Schlafstörungen unterscheiden noch psychische Belastungen oder Medikamenteneffekte verlässlich erfassen. Für Ärztinnen und Ärzte sind objektive Daten zum Schlafverhalten dennoch hilfreich, um mit Patienten über Routinen, Belastungen und potenzielle Therapiemöglichkeiten zu sprechen und zu entscheiden, ob weitere Untersuchungen, etwa im Schlaflabor, sinnvoll sind.

Grenzen und Chancen der Wearable-Daten für die Schlafmedizin

So eindrucksvoll die schiere Menge an Nächten in der Samsung Schlafstudie ist, so klar sind auch die Grenzen der Aussagekraft. Die Nutzerbasis von Wearables unterscheidet sich in Einkommen, Technikaffinität, Gesundheitsbewusstsein und oft auch im Alter von der Gesamtbevölkerung. Menschen, die bereits unter ausgeprägten Schlafstörungen leiden, schalten das Tracking manchmal bewusst ab, während andere bei ersten Anzeichen von Schlafmangel erst durch die Anzeige eines niedrigen Schlafscores aufhorchen. Zudem beruhen die Berechnungen der Schlafdauer auf Algorithmen, die Bewegungen und Herzfrequenz interpretieren und je nach Gerät, Software-Version und Tragegewohnheiten unterschiedlich genau sein können. Für die Forschung bieten diese Daten dennoch einen seltenen Blick darauf, wie sich Schlafmuster im Alltag und über Ländergrenzen hinweg verändern, welche Altersgruppen besonders häufig von Schlafmangel betroffen sind und wie stark sich Abendgewohnheiten, Bildschirmzeiten und berufliche Anforderungen in den Kurven der Schlafqualität niederschlagen. In Kombination mit klinischen Studien und Themenübersichten zu Schlaf entsteht so ein immer dichteres Bild davon, wie stark moderne Lebensweisen in Deutschland und weltweit den Schlaf unter Druck setzen und wo präventive Maßnahmen am meisten bewirken könnten.

PLoS One, Better sleep, better life? testing the role of sleep on quality of life; doi:10.1371/journal.pone.0282085
Journal of the American College of Cardiology, Low-risk sleep patterns, mortality, and life expectancy at age 30 years; doi:10.1016/S0735-1097(23)02119-8

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