Drohender Gehverlust

Multiple Sklerose-Patienten können durch Rauchstopp Behinderung verhindern

Robert Klatt

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Rauchen verstärkt die gesundheitsschädlichen Effekte von Multiple Sklerose. MS-Patienten, die mit dem Rauchen aufhören, können ihr Risiko für Behinderungen stark reduzieren.

Nottingham (England). Laut der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e. V. (DMSG) leben in der Bundesrepublik etwa 280.000 Menschen mit Multiple Sklerose, darunter auch viele Raucher. Wie das Portal MS-Krankheit.de schreibt, liefern zahlreiche Erfahrungsberichte von Multiple Sklerose-Patienten Hinweise darauf, dass Rauchen die Symptome und den Schweregrad der chronisch-entzündlichen neurologischen Autoimmunerkrankung verstärkt. Dies bestätigt auch eine Studie des Nottingham University Hospital (NUH), die kürzlich zu dem Ergebnis kam, dass ein Rauchstopp den Krankheitsverlauf abschwächen kann.

Die Forscher um Cris Constan­tinescu haben laut ihrer Publikation im Fachmagazin Brain Gesundheitsdaten von 895 MS-Patienten analysiert. Neben dem Krankheitsverlauf lagen auch Informationen zum Raucherstatus der Menschen über einen Zeitraum von durchschnittlich 17 Jahren vor.

Expanded Disability Status Scale (EDSS)

Die Gesundheitsdaten aus Nottingham und den angrenzenden Grafschaften zeigen, dass jeder zweite MS-Patient zum Zeitpunkt seiner Diagnose geraucht hat. Im Mittel wiesen die Raucher zudem eine stärkere Behinderung. Auf der sogenannten Expanded Disability Status Scale (EDSS), die den Schweregrad der Behinderung zeigt, lag die Differenz zwischen Rauchern und Nichtrauchern im Durchschnitt bei 0,68 Punkten.

Rauchen erhöht Risiko eines Gehverlusts

Laut den analysierten Gesundheitsdaten haben Raucher mit Multiple Sklerose zudem ein deutlich höheres Risiko auf der EDSS-Skala den Schweregrad 4 zu erreichen (+ 64 %), bei dem ein Mensch nicht mehr vollkommen gehfähig ist. Auch den Schweregrad 6, bei dem ein Mensch ohne Unterstützung nicht mehr als 100 Meter zurücklegen kann, erreichen Raucher deutlich häufiger (+ 49 %). Professor Ralf Gold, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), erklärt, dass die Studie die Risiken des Rauchens bei Personen mit Multiple Sklerose verdeutlicht.

„In der Bevölkerung verbindet man mit den Gesundheitsrisiken des Rauchens meist Lungenkrebs und Gefäßverschlüsse. Rauchen hat aber noch eine dritte Dimension. Der heiße Rauch und die Teerstoffe regen das Immunsystem der Lunge an und können auf diese Weise die Autoimmunität der MS verstärken.“

Wie Gold, der zudem Mitglied im Vorstand des Ärztlichen Beirats der DMSG ist, bestätigt die Studie des NUH zudem Ergebnisse anderer Wissenschaftler.

„Dies ist eine wichtige Arbeit, die zudem schwedische Studien ergänzt, bei denen Forscher des Karolinska-Instituts bei rauchenden Frauen teilweise eine noch größere Erhöhung des Risikos fanden.“

Besserer Krankheitsverlauf durch Rauchstopp

Die Studie der Forscher um Constantinescu liefert überdies erstmals Belege dafür, dass ein Rauchstopp das Fortschreiten von Multiple Sklerose hemmen kann. Laut den Ergebnissen ist der Verzicht auf Zigaretten sowohl für MS-Patienten, die unmittelbar nach ihrer Diagnose mit dem Rauchen aufhören, als auch für MS-Patienten, die erst später mit dem Rauchen aufhören, sinnvoll. Das Risiko für einen EDSS-Wert von 4 oder 6 nimmt bei beiden Gruppen deutlich ab (- 33 %), im Vergleich zu MS-Patienten, die weiterhin rauchen.

Ob der Grad der Behinderung bei Multiple Sklerose durch die schädliche Wirkung des Tabakrauchs (Komorbidität) verursacht wird, oder ob die Schadstoffe der Zigaretten den Krankheitsverlauf direkt beeinflussen, konnte die Studie des NUH aber nicht beantworten.

DNA-Methylierung von MS-Patienten analysiert

Forscher des Karolinska-Institut (KI) haben deshalb eine weitere Studie durchgeführt, die untersucht hat, welche Mechanismen des Rauchens die Krankheit beeinflussen. Laut der Publikation im Fachmagazin Scientific Reports haben an der Studie 50 Frauen mit Multiple Sklerose teilgenommen, die zusätzlich eine genetische Prädisposition für Nervenerkrankungen besaßen. Die Kontrollgruppen bildeten 132 MS-Patienten ohne genetische Prädisposition und 135 gesunde Menschen. Für ihre Studie haben die Wissenschaftler die DNA-Methylierung, die die Aktivität bestimmter Gene beeinflusst, analysiert.

Die Analyse zeigt, dass das Rauchen den Grad der DNA-Methylierung stark beeinflusst. Bei Rauchern ist der Grad der Methylierung deutlich geringer. Die beobachtete Auswirkung des Zigarettenkonsums nimmt fast linear mit dessen Höhe zu. Besonders deutlich unterschieden sich MS-Patienten, die Raucher und Nichtraucher sind, beim AHRR-Gen, das die Kontrolle des Immunsystems unterstützt.

„Wir haben nachgewiesen, dass das Rauchen eine entscheidende Wirkung auf die DNA-Methylierung im Blut der MS-Patienten hat, und zwar im gesamten Genom. Dieser Effekt tritt besonders deutlich bei Rauchern in Erscheinung, aber auch bei Personen, die erst seit weniger als fünf Jahren Nichtraucher sind.“

Die geringere DNA-Methylierung tritt zwar auch bei gesunden Rauchern auf, ist bei Menschen mit Multiple Sklerose aber deutlich stärker. Laut den Forschern zeigt dies, dass Multiple Sklerose die bekannten gesundheitsschädlichen Effekte des Rauchens noch weiter verschlimmert.

„Der Einfluss des Rauchens ist von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis und das Management der Multiple Sklerose.“

Brain, doi: 10.1093/brain/awt139

Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-017-14788-w

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