Robert Klatt
Blut kann bisher noch nicht im großen Maßstab künstlich produziert werden. Nun wurde der letzte Schritt der Blutbildung, bei dem sich die Vorläuferzelle asymmetrisch teilt und das kernlose rote Blutkörperchen (Erythrozyt) produziert, entschlüsselt. Dank des neuen Wissens könnte bald menschliches Blut effizient produziert werden, um Engpässe beim Blutspenden auszugleichen.
Konstanz (Deutschland). In Deutschland werden etwa 15.000 Blutkonserven täglich gebraucht. Weil es durch die kurze Haltbarkeit und die manchmal unzureichenden Blutspenden zu Engpässen kommen kann, arbeitet die Forschung seit Langem an künstliches Blut aus dem Labor. Dieser komplexe Prozess kann aber nur im großen Maßstab stattfinden, wenn alle Schritte der natürlichen Blutbildung entschlüsselt werden.
Es ist bereits gelungen, gespendete Stammzellen fast komplett zu Erythroblasten, den Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), heranwachsen zu lassen. Laut Julia Gutjahr von der Universität Konstanz fehlt aber noch der finale Schritt.
„Im letzten Schritt der Entwicklung eines Erythroblasten zum Erythrozyten wirft der Erythroblast seinen Zellkern aus. Das passiert nur bei Säugetieren. Wahrscheinlich, um Platz für den Sauerstofftransport zu schaffen.“
Wie die Wissenschaftlerin erklärt, kommt es durch die asymmetrische Zellteilung zum Verlust des Zellkerns, weil nur eine der beiden Tochterzellen bei diesem Prozess einen Zellkern erhält. Die Tochterzelle mit dem Zellkern wird daraufhin von Fresszellen beseitigt und es verbleiben nur Erythrozyten ohne Zellkern.
Die Medizin konnte diesen letzten Schritt der Blutbildung bisher nicht effizient nachbilden und die Erfolgsrate bei künstlichem Blut ist noch immer relativ gering (80 %). Forscher der Universität Konstanz haben deshalb den Zellkernverlust der Erythrozyten erneut mithilfe von Mäusen untersucht.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Signaling haben die Forscher entdeckt, dass der Zellkernverlust auf das Chemokin CXCL12 und seinen Rezeptor CXCR4 zurückgeht. Wenn dieser Botenstoff sich an die unreifen Blutkörperchen bindet, löst er die asymmetrische Zellteilung aus und eine der beiden Tochterzellen verliert ihren Zellkern.
„Dieses Signalmolekül wird in Erythroblasten bis in den Zellkern transportiert. Dort beschleunigt es die Zellreifung und hilft der Zelle, ihren Zellkern auszustoßen.“
Die Studie zeigt, dass das Signal des Botenstoffs unter anderem dazu führt, dass die ehemals kugelförmigen Vorläuferzellen länglicher werden und ihren zuvor zentralen Zellkern einseitig positionieren.
„Wir haben herausgefunden, dass das Chemokin CXCL12 diesen Zellkernausstoß triggern kann. Es kommt hauptsächlich im Knochenmark vor, benötigt jedoch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, damit der Ausstoß des Zellkerns stattfindet. Durch die Zugabe von CXCL12 im richtigen Moment konnten wir dann die Ausstoßung des Zellkerns künstlich auslösen.“
Laut den Wissenschaftlern kann ihre neue Entdeckung dabei helfen, rote Blutkörperchen im großen Maßstab künstlich herzustellen. Bevor es zu einer industriellen Produktion kommen kann, sind aber noch weitere Studien nötig.
„Wir untersuchen derzeit, wie das CXCL12 exakt eingesetzt werden muss, um die künstliche Produktion humaner Erythrozyten möglichst effizient zu gestalten.“
Wenn die künstliche Blutproduktion tatsächlich mit einer hohen Erfolgsquote im industriellen Maßstab funktioniert, wäre dies ein großer Erfolg für die Medizin und könnte tausenden Menschen das Leben retten.
„Der Herstellungsprozess im Labor wird zwar aufwendig bleiben. Aber er wird die Möglichkeit bieten, beispielsweise gezielt seltene Blutgruppen herzustellen, Engpässe zu überbrücken oder das eigene Blut zu reproduzieren, um spezielle Behandlungsmöglichkeiten zu ermöglichen.“
Science Signaling, doi: 10.1126/scisignal.adt2678