Robert Klatt
Es ist umstritten, ob die politische Einstellung durch biologische Faktoren oder die Umgebung und Erfahrungen eines Menschen geprägt wird. Eine neue Studie hat nun untersucht, welchen Einfluss das Gehirn hat.
Athen (Griechenland). In der Psychologie und den Neurowissenschaften wird seit langem diskutiert, ob die politische Einstellung des Menschen von biologischen Faktoren oder von seiner Umgebung und seinen Erfahrungen geprägt wird. Die Basis der Diskussion ist die Beobachtung, dass konservative Werte, darunter Stabilität und Sicherheit, auch mit Ängsten verknüpft sind, also mit Gefühlen, die von der Persönlichkeit und neurobiologischen Merkmalen des Menschen beeinflusst werden.
Eine 2011 publizierte Studie, die auf Hirnscans von 90 Probanden basiert, zeigt, dass Wähler von konservativen Parteien einen kleineren anterioren cingulären Cortex (ACC) und einen größeren Mandelkern (Amygdala) besitzen als Wähler anderer Parteien. Die Amygdala verarbeitet negative Emotionen wie Trauer und Angst, während der ACC die Affektkontrolle und die Fähigkeit Glaubenssätze zu überdenken und zu ändern steuert. Es scheint also korrekt zu sein, dass die Neurobiologie die politische Einstellung beeinflusst.
In der Wissenschaft gelten die Ergebnisse aber noch nicht als besonders aussagekräftig, weil an der Studie und an ähnlichen Studien nur wenige Probanden teilgenommen haben. Zudem wurde nur eine vereinfachte Definition der politischen Einstellung untersucht, etwa, welche Partei die Probanden von nur zwei Parteien wählen würden. Forscher des American College of Greece (ACG) und der Universiteit van Amsterdam (UvA) um Diamantis Petropoulos haben deshalb eine weitere Studie mit mehr Probanden und einer feinen Abstufung der politischen Einstellung durchgeführt.
„Aber die politische Einstellung ist eine komplexe, multidimensionale Größe. Sie umfasst die Ansichten zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen, aber auch die Identifikation mit progressiven oder konservativen Werten – es geht dabei nicht einfach nur um rechts oder links.“
Laut der Publikation im Fachmagazin iScience basiert die neue Studie auf Hirnscans von 928 Probanden aus unterschiedlichen niederländischen Bevölkerungsgruppen. Die Probanden wurden zu konservativen und progressiven Werten befragt und zu ihrer Ansicht zu ökonomischen und sozialen Maßnahmen. Es war so möglich, ihre politische Einstellung deutlich differenzierter zu bestimmen als in den vorherigen Studien.
Auch die neue Studie hat eine Korrelation zwischen der Anatomie des Gehirns und der politischen Position entdeckt. Menschen, die eher konservativ sind, haben demnach einen leicht größeren Mandelkern als der Durchschnitt.
„Das war wirklich eine Überraschung, denn wir hatten nicht erwartet, eines der Resultate der früheren Studien replizieren zu können. Aber wir finden eine sehr schöne Korrelation zwischen den politischen Ideologien der Partei, die diese Personen bevorzugen, und der Größe ihrer Amygdala.“
Die festgestellten Unterschiede zwischen konservativen und progressiven Menschen waren jedoch gering und nur etwa ein Drittel so groß wie in den älteren Studien.
„Er umfasst rund zehn Kubikmillimeter, das ist etwa so groß wie ein Sesamkorn. Allerdings entspricht dies immerhin tausenden Neuronen und Millionen Synapsen.“
Die Erkenntnisse deuten laut den Autoren darauf hin, dass die Amygdala die Persönlichkeit und die daraus resultierende politische Einstellungen beeinflussen kann.
„Die Amygdala kontrolliert unsere Wahrnehmung und Bewertung von Bedrohungen und Risiken. Daher macht es durchaus Sinn, dass Menschen, die dafür sensibler sind, auch ein höheres Bedürfnis nach Sicherheit haben. Und das ist etwas, das typischerweise eher von der konservativen Politik repräsentiert wird.“
Die Hirnscans zeigen zudem, dass der fusiforme Gyrus bei konservativen Menschen ebenfalls größer ist. Die Forscher erklären, dass auch dies zu erwarten war, weil es sich dabei um eine Hirnregion handelt, die unter anderem vorurteilsbasierte Reaktionen steuert. Einen Zusammenhang zwischen der Größe des ACC und der politischen Einstellungen hat die Studie hingegen nicht entdeckt.
„Das Volumen im rechten Teil des fusiformen Gyrus zeigt eine positive Korrelation mit konservativen Haltungen in Bezug auf regulierende Eingriffe der Regierung sowie gegenüber Diversität und Gleichberechtigung.“
Die Ergebnisse belegen laut den Wissenschaftler, dass die politische Haltung tatsächlich durch neurologische Faktoren beeinflusst wird. Die Forschung in diesem Bereich befindet sich jedoch noch in einem Anfangsstadium.
„Ich denke, dass wir in Zukunft stärker auf die funktionelle Konnektivität und Synchronisierung schauen müssen – auf die Frage, wie unsere Gehirnnetzwerke reagieren, wenn Menschen mit verschiedenen politischen Ansichten bestimmte Informationen verarbeiten.“
iScience, doi: 10.1016/j.isci.2024.110532