Gender Inequality Index

Hirnscans zeigen soziale Ungleichheit zwischen Geschlechtern

Robert Klatt

Gehirn eines Menschen )kcotS ebodAorPeicS(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Laut Hirnscans mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) von 8.000 Menschen ist eine große soziale Ungleichheit zwischen Geschlechtern auch im Denkorgan sichtbar
  • In Ländern mit einem hohen Gender Inequality Index ist bei Frauen die Dicke der rechten Seite der Großhirnrinde deutlich geringer als bei Männern
  • Diese Hirnregion verliert bei Stress und Depressionen an Dicke

In Ländern mit großer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern unterscheiden sich die Gehirne von Männern und Frauen stark. In Ländern mit weitgehender Gleichstellung wie Deutschland wurden hingegen keine Unterschiede entdeckt.                     

Santiago de Chile (Chile). Hirnscans mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) können viel über den Menschen verraten. Kürzlich zeigte eine Studie etwa, dass die regelmäßige Nutzung sozialer Medien bei Kindern dazu führt, dass ihre Gehirne sich deutlich von Altersgenossen unterscheiden. Wissenschaftler um Nicolas Crossley von Päpstlich Katholischen Universität von Chile (PUC) haben im Fachmagazin PNAS nun eine Studie publiziert, laut der auch die Effekte starker sozialer Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Gehirn sichtbar werden.

Das internationale Forscherteam hat für ihre Studie knapp 8.000 Magnetresonanzbildern menschlicher Gehirne aus 29 Ländern analysiert. In Ländern mit weitgehender Gleichstellung der Geschlechter, die die Wissenschaft über den Gender Inequality Index misst, konnten sie nahezu keine Differenzen zwischen den Gehirnen von Frauen und Männer entdeckten. In Ländern mit einem hohen Gender Inequality Index war bei Frauen die Dicke der rechten Seite der Großhirnrinde jedoch signifikant geringer als bei Männern.

Unsicherheiten bei der Interpretation

Fragt man sich, ob die vorliegenden Daten tatsächlich den Beweis erbringen, dass die soziale Ungleichheit tatsächlich bis ins Gehirn reicht? Die Verfasser der Studie räumen gewisse Zweifel bei der Deutung ihrer Erkenntnisse ein, allerdings präsentieren sie plausible Annahmen zur Klärung ihrer Entdeckungen. Bestimmte Bereiche der Großhirnrinde, bei denen Differenzen entdeckt wurden, werden mit der Fähigkeit zur Bewältigung von Schwierigkeiten in Verbindung gebracht. Die Forscher stellten fest, dass diese Gebiete bei Stress oder Depressionen an Dicke verlieren.

Die Meinungen externer Fachleute, die mit der Studie nicht in Verbindung stehen, tendieren eher zur Vorsicht. Die Hirnforscherin María Ruz von der Universität Granada beispielsweise hat gegenüber der spanischen Zeitung El País geäußert, dass die Beweisführung für eine Korrelation zwischen verminderter Kortexdicke und körperlicher Gewalterfahrung komplex ist.

Obwohl die Wissenschaftler keine direkte kausale Beziehung feststellen können, erhoffen sie sich dennoch, dass ihre Befunde die Debatte über politische Maßnahmen zur Reduzierung der Ungleichheit bereichern.

Indirekte Unterstützung durch ABCD-Studie

Eine jüngst aus den USA veröffentlichte Untersuchung scheint die aktuelle Studie indirekt zu bestärken. Unter der Leitung von David Weissman von der Harvard University wurden Daten der Adolescent Brain Cognitive Development Study (ABCD-Studie) analysiert. Dabei handelte es sich um eine detaillierte Betrachtung von mehr als 10.000 Jugendlichen aus 17 US-Bundesstaaten, die sich in ihren Lebenskosten und ihrer Sozialpolitik deutlich voneinander unterscheiden.

Erste Untersuchungen dieser Daten deuteten darauf hin, dass Kinder aus einkommensschwächeren Familien im Vergleich zu ihren Gegenstücken aus wohlhabenderen Familien einen kleineren Hippocampus aufwiesen, ein Hirnareal, das für Gedächtnis und emotionales Lernen von zentraler Bedeutung ist.

Weitere Analysen, die Anfang Mai in der renommierten Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, legen nahe, dass in den Bundesstaaten mit einem robusteren Sozialsystem und geringeren sozioökonomischen Unterschieden die Diskrepanzen in der Gehirnentwicklung und psychischen Gesundheit von Kindern im Alter von neun bis elf Jahren weniger stark ausgeprägt waren.

PNAS, doi: 10.1073/pnas.2218782120

Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-37778-1

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