Robert Klatt
Eine Analyse der Gehirnaktivität von komatösen Patienten zeigt, was während des Sterbeprozesses im Kopf geschieht, und liefert Hinweise auf Nahtoderfahrungen des Menschen.
Ann Arbor (U.S.A.). Menschen, die kurz vor ihrem Ableben gerettet werden, berichten oft von Nahtoderfahrungen wie einem weißen Licht, einem Wiedersehen mit verstorbenen Freunden und Familienmitgliedern und Stimmen. Weil sich ihre Berichte oft stark ähneln, untersucht auch die Wissenschaft, ob der Mensch ein Bewusstsein hat, das noch aktiv ist, wenn das Herz bereits nicht mehr schlägt. Wissenschaftler der University of Louisville haben etwa 2022 erstmals die Gehirnaktivität Sekunden vor und nach dem Tod aufgezeichnet und Forscher der NYU Grossman School of Medicine entdeckten, dass es bei Nahtoderfahrungen zu einer erhöhten Aktivität des Gehirns kommt.
Nun haben Wissenschaftler der University of Michigan School of Medicine um Jimo Borjigin, Professor in der Abteilung für molekulare und integrative Physiologie, erneut Hinweise auf Nahtoderfahrungen des Menschen entdeckt.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin PNAS konzentrierten sie sich auf die Erfassung der elektrischen Gehirnaktivität von vier komatösen Patienten in einem Krankenhaus. Ärztlicherseits wurde festgestellt, dass den betroffenen Personen keine weitere Hilfe zuteilwerden konnte, woraufhin in Absprache mit den Familienangehörigen die Beatmungsmaschinen abgestellt wurden.
Infolgedessen berichten die Forscher, dass bei zwei der Patienten eine Zunahme der Herzfrequenz sowie der Gamma-Wellen-Aktivität im Gehirn beobachtet wurde. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, weil Gamma-Wellen im Kontext des Bewusstseins stehen und unter anderem bei Ängsten sowie körperlichen und geistigen Höchstleistungen auftreten.
Des Weiteren wiesen die Forscher eine gesteigerte Aktivität in einer bestimmten Hirnregion nach, welche in früheren Studien mit Träumen, visuellen Halluzinationen bei Epilepsie und veränderten Bewusstseinszuständen assoziiert wurde. Obwohl die beiden betroffenen Patienten zuvor bereits ähnliche Anfälle erlitten hatten, traten diese jedoch nicht in der Stunde vor ihrem Ableben auf, erklärt Nusha Mihaylova, außerordentliche Professorin für Neurologie an der Universität Michigan.
Es ist jedoch anzumerken, dass die verbleibenden zwei Patienten keine der genannten Reaktionen zeigten, nachdem die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt wurden.
Die Autoren der Studie betonen aufgrund der begrenzten Stichprobengröße die Notwendigkeit, vorsichtig mit generellen Schlussfolgerungen umzugehen. Die befragten Patienten konnten nach den Untersuchungen nicht zu ihren Erlebnissen interviewt werden.
„Wir sind nicht in der Lage, Korrelationen zwischen den beobachteten neuronalen Signaturen des Bewusstseins und einer entsprechenden Erfahrung bei denselben Patienten in dieser Studie herzustellen. Die beobachteten Befunde sind aber auf jeden Fall spannend und bieten einen neuen Rahmen für unser Verständnis des verborgenen Bewusstseins beim sterbenden Menschen.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2216268120