Robert Klatt
In den Neurowissenschaften wurde die Gehirnaktivität des Menschen bisher anhand des Blutflusses, der mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) ermittelt wurde, bestimmt. Nun wurde entdeckt, dass es keine allgemeingültige Korrelation zwischen dem Blutfluss und der neuronalen Aktivität gibt. Es ist somit denkbar, dass tausende Studien auf missinterpretierten Daten beruhen.
München (Deutschland). Die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) kann die Gehirnaktivität anhand des Blutdurchflusses ermitteln. In der Forschung ging man bislang davon aus, dass ein stärkeres Signal mit einer höheren Aktivität der Neuronen korreliert. Die Neurowissenschaften nutzen diesen Zusammenhang seit rund 30 Jahren, um die Gehirnaktivität zu untersuchen.
Forscher der Technischen Universität München (TUM) und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben nun eine Studie publiziert, laut der die bisher gängige Interpretation der fMRT-Aufnahmen falsch sein könnte. Die Wissenschaftler haben dazu Experimente mit 40 gesunden Probanden durchgeführt. Diese haben verschiedene Aufgabentypen absolviert, darunter Kopfrechnen und Gedächtnisaufgaben, während die Aktivität ihres Gehirns per fMRT überwacht wurde. Parallel dazu wurde mit einem neuen MRT-Verfahren erstmals der Sauerstoffverbrauch in den unterschiedlichen Hirnarealen erfasst.
Die Daten zeigen, dass ein erhöhtes fMRT-Blutfluss-Signal oft mit einem geringeren Sauerstoffverbrauch zusammenhängt, also mit einer geringeren und nicht wie zuvor angenommenen höheren Aktivität des Organs. Außerdem wurden verminderte fMRT-Blutfluss-Signale in Bereichen entdeckt, deren neuronale Aktivität laut des Sauerstoffverbrauchs erhöht war. Die Muster der physiologischen Messwerte unterscheiden sich je nach Hirnregion und Aufgabentyp deutlich und in rund 40 Prozent der Szenarien waren der Blutfluss und der Sauerstoffgehalt nicht miteinander verknüpft oder sogar gegenläufig.
Als Beispiel nennen die Forscher Rechenaufgaben, bei denen der Sauerstoffverbrauch in Hirnbereichen stieg, die dabei aktiv sind. Die quantitativen MRT-Daten zeigen jedoch, dass der Blutfluss in den Hirnbereichen dadurch nicht zugenommen hat. Die Hirnregionen können somit aktiv sein und ihren erhöhten Bedarf decken, ohne dass es dadurch zu einem stärkeren Blutfluss kommt, der in den fMRT-Aufnahmen sichtbar wäre.
Laut den Wissenschaftlern bedeuten die neuen Erkenntnisse, dass zehntausende Studien überprüft werden müssen. Sie gehen aber davon aus, dass die Ergebnisse der meisten Studien korrekt sind. Angesichts der enormen Anzahl an Studien, die auf Ergebnissen der fMRT basieren, ist es jedoch wahrscheinlich, dass auch zahlreiche Studien falsch sind oder zumindest neu interpretiert werden müssen.
„Das widerspricht der bislang geltenden Annahme, dass erhöhte Hirnaktivität immer mit erhöhtem Blutfluss zur Deckung des gestiegenen Sauerstoffbedarfs einhergeht. Da weltweit zehntausende fMRT-Studien auf dieser Annahme beruhen, könnten unsere Ergebnisse bei vielen davon zu entgegengesetzten Interpretationen führen.“
„Viele fMRT‑Studien zu psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen – von Depression bis Alzheimer – interpretieren Änderungen im Blutfluss als verlässliches Signal neuronaler Unter‑ oder Überaktivierung. Dies muss nun wegen der beschränkten Aussagekraft dieser Ergebnisse neu bewertet werden.“
In Anbetracht der Ergebnisse sprechen sich die Forscher dafür aus, dass herkömmliche fMRT-Methoden mit Messungen zum Sauerstofffluss ergänzt werden sollten. Die Kombination aus Blut- und Sauerstofffluss ermöglicht es, die Gehirnaktivität deutlich präziser zu ermitteln. In Zukunft könnten dadurch neue Gehirnmodelle entwickelt werden, die vor allem bei der Erforschung von psychiatrischen und neurodegenerativen Krankheiten und von Alterungsprozessen helfen.
Quellen:
Pressemitteilung der Technischen Universität München (TUM)
Pressemitteilung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)
Studie im Fachmagazin Nature Neuroscience, doi: 10.1038/s41593-025-02132-9