Robert Klatt
Die Chemie hat Hexastickstoff (N₆), das energiereichste Molekül der Welt, schon vor langem theoretisch vorhergesagt. Nun wurde das Molekül erstmals hergestellt. In Zukunft könnte es als Energiespeicher und Raketentreibstoff dienen.
Gießen (Deutschland). Hexastickstoff (N₆) ist eine Form von reinem Stickstoff, deren Existenz die Chemie bislang nur theoretisch vorhergesagt hat. Nun haben Forscher der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) erstmals Hexastickstoff (N₆) produziert und damit das energiereichste Molekül der Welt erschaffen. Das Molekül besteht aus sechs Stickstoffatomen und kann einen Großteil seiner Energie wieder freisetzen, wenn es rückstandslos zu normalem Stickstoff (N₂) zerfällt. Laut den Chemikern eignet es sich deshalb unter anderem als Energiespeicher und Raketentreibstoff.
Wie die Forscher im Fachmagazin Nature erklären, haben sie den Hexastickstoff durch eine Reaktion von Chlorgas (Cl₂) oder Brom (Br₂) mit Silberazid (AgN₃) hergestellt. Das Reaktionsprodukt wurde bei – 263 Grad Celsius in einer Argon-Eismatrix stabilisiert. Zudem haben die Chemiker aus dem Hexastickstoff bei – 196 Grad Celsius, also der Temperatur von flüssigem Stickstoff, einen dünnen Film gewonnen. Sie gehen davon aus, dass der Hexastickstoff in dieser Form für mehr als 100 Jahre stabil bleiben kann.
Um den produzierten Hexastickstoff nachzuweisen, haben die Chemiker Messungen zur Lichtabsorption mit einer Kombination der Infrarot- und UV/Vis-Spektroskopie durchgeführt. Außerdem konnten sie über zusätzlich eingebaute schwere Stickstoffatome (15N-Isotope) und komplexe Computersimulationen belegen, dass das produzierte Molekül tatsächlich N₆ ist. N₆ hat bei Raumtemperatur lediglich eine Lebensdauer von rund 35 Millisekunden.
„Das reicht aus, um es einzufangen und es zu untersuchen – ein riesiger Fortschritt in der Stickstoffchemie.“
Laut den Chemikern wird bei der Zerlegung von N₆ in normalen Luftstickstoff rund doppelt so viel Energie freigesetzt wie beim Trinitrotoluol (TNT). Dabei entstehen jedoch keine problematischen Nebenprodukte, sondern lediglich Luftstickstoff, der ohnehin einen Großteil der Luft ausmacht (78 %).
„In der Tat wäre Hexastickstoff damit der effizienteste Energiespeicher. Es ist das erste Mal, dass ein isolierbares, neutrales Stickstoffmolekül mit mehr als zwei Atomen im Labor hergestellt wurde. Das öffnet die Tür für die gezielte Entwicklung neuer und sauberer Hochenergiematerialien.“
Die Wissenschaftler möchten nun untersuchen, wie das energiereiche Molekül besser genutzt werden kann.
„Die Handhabung sehr energiereicher Verbindungen ist immer mit Risiken verbunden, wenn deren Zersetzung unkontrolliert passiert und alle Energie auf einmal freigesetzt wird.“
Nature, doi: 10.1038/s41586-025-09032-9
