Historische Chronologie

Wann wurde Jesus geboren?

In einem einfachen Stall liegt das Neugeborene Jesus in einer Futterkrippe, eingerahmt von Maria, Josef und einigen Hirten, die aufmerksam und still neben dem Kind stehen. Durch eine Öffnung im Dach fällt ein Bündel warmen Lichts auf die kleine Szene, während im Hintergrund Ochs und Esel sowie wenige einfache Gegenstände des Alltags zu erkennen sind. Über dem Dach der Hütte leuchten Sterne, ein besonders heller Stern markiert symbolisch den Stern von Bethlehem und verweist auf den überlieferten Zeitpunkt der Geburt Jesu. Die klassische Krippenszene verdichtet damit erzählerisch die wichtigsten Motive der Geburtsgeschichten zu einem ruhigen, zeitlosen Bild. )kcotS ebodAávokámdeS atáneR(Foto: © 

Wenn Krippenspiele, Lichterketten und Weihnachtslieder die Geburt Jesu feiern, wirkt der Zeitpunkt selbstverständlich und eindeutig. Historiker sehen dagegen in den knappen Angaben der Evangelien ein kompliziertes Zeitpuzzle aus Herrschern, Volkszählungen und einem rätselhaften Stern von Bethlehem. Anhand antiker Chronologie, römischer Verwaltungsgeschichte und astronomischer Berechnungen lässt sich ein erstaunlich enges Geburtsjahr Jesu rekonstruieren, ohne den Tag genau zu kennen. So entsteht aus verstreuten Spuren ein scharf umrissenes, aber nie ganz fertiges Bild vom Beginn des Lebens Jesu.

Die Szene ist vertraut: In vielen Kirchen und Wohnzimmern steht im Dezember eine Krippe, daneben eine Jahreszahl, die scheinbar alles erklärt – Jesus soll genau vor einer bestimmten Zahl von Jahren geboren worden sein. Zwischen Stroh, Ochsendarstellungen und funkelnden Lichterketten wirkt das so selbstverständlich, als hätte es schon immer eine allgemein akzeptierte Antwort auf die Frage nach dem Geburtsjahr gegeben. Schaut man jedoch von der Krippe weg auf alte Münzen, Inschriften und Chroniken, entsteht ein deutlich komplizierteres Bild: Namen wie Herodes der Große, Kaiser Augustus oder der Statthalter Quirinius tauchen auf, dazu der geheimnisvolle Stern von Bethlehem und unterschiedliche Zeitangaben in den Evangelien. Aus dieser Mischung versucht die historische Forschung, ein konsistentes Geburtsjahr Jesu zu rekonstruieren.

Wer nach dem „Wann“ fragt, betritt damit das Spannungsfeld zwischen Glaube, Überlieferung und Quellenkritik. Im Mittelpunkt steht der Historischer Jesus, also derjenige, den Historiker auf Basis des verfügbaren Quellenmaterials zu rekonstruieren versuchen, nicht die theologische Gestalt der späteren Dogmatik. Die frühesten Texte des Neues Testament sind zunächst weniger an Kalenderdaten interessiert als an Deutung und Botschaft, doch in den Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas finden sich indirekte Zeitangaben. Zusammen mit römischen Verwaltungsakten, antiken Geschichtswerken und astronomischen Modellen entsteht ein Netz von Anhaltspunkten, das erstaunlich eng ist und sich zugleich an mehreren Stellen widerspricht. Parallel dazu untersucht die Forschung, wie sich biblische Texte insgesamt entwickelt haben, etwa in Studien zur Bibel als historischer und literarischer Sammlung.

Was die Evangelien über die Geburt Jesu berichten

Ein erster Blick gilt den Quellen, die die Geburt Jesu überhaupt in erzählerischer Form erwähnen: den Evangelien nach Matthäus und Lukas. Markus und Johannes beginnen ihre Darstellung des Wirkens Jesu sehr viel später und liefern keine Daten zur Geburt Jesu. Matthäus setzt seine Erzählung in Bethlehem an und hebt den Besuch von Sterndeutern hervor, die dem Stern von Bethlehem folgen und bei Herodes der Große nach dem „neugeborenen König der Juden“ fragen. Diese Szene verankert die Geburt Jesu ausdrücklich in der Regierungszeit dieses Königs. Lukas hingegen lässt die Geschichte im galiläischen Nazareth beginnen und führt Josef und Maria durch eine staatlich veranlasste Reise nach Bethlehem, ausgelöst durch eine Volkszählung des Quirinius. Beide Geschichten geben damit unterschiedliche politische Bezugspunkte, aber keine exakte Jahreszahl an.

Auffällig ist auch, was fehlt: Es gibt keinen datierten Eintrag nach dem Muster „im soundsovielten Jahr der Herrschaft des Kaisers“, wie man ihn sonst aus antiken Inschriften kennt. Stattdessen arbeiten beide Evangelisten mit typischen Elementen antiker Biografien: wunderbare Geburtszeichen, theologisch gedeutete Namen, Anspielungen auf frühere Schriften. Die Geburt Jesu wird damit vor allem als theologisch bedeutsamer Anfang markiert. Gleichzeitig liefern die Namen der Herrscher eine Art Rahmen: Herodes der Große starb nach antiken Quellen um 4 v. Chr., die Volkszählung des Quirinius ist um 6 oder 7 n. Chr. datierbar. Alle weiteren Überlegungen zum Geburtsjahr Jesu bewegen sich daher in dem Spannungsfeld, das diese beiden Eckdaten aufspannen und das im Neuen Testament nur indirekt sichtbar wird.

Politischer Rahmen: Herodes, Augustus und die Volkszählung

Historische Datierung beginnt bei der Frage, welche Angaben aus den Evangelien mit unabhängigen Quellen verknüpft werden können. Der Name Herodes der Große ist dabei zentral: Der jüdische König, den Rom als Klientelherrscher eingesetzt hatte, starb nach übereinstimmenden antiken Berichten im Frühjahr 4 v. Chr. Wer der Darstellung des Matthäusevangeliums folgt, muss die Geburt Jesu also vor diesem Zeitpunkt ansetzen. Typischerweise wird der Zeitraum zwischen 7 und 4 v. Chr. diskutiert, weil sich hier auch einige astronomisch auffällige Jahre finden, auf die spätere Deutungen des Stern von Bethlehem Bezug nehmen. In Überblicksdarstellungen zur Chronologie der Geburt Jesu, etwa im Projekt Geburt Jesu, wird daher meist von einer Geburt einige Jahre vor unserer Zeitrechnung ausgegangen.

Ganz anders wirkt die Angabe bei Lukas, der die Geburt Jesu mit der Volkszählung des Quirinius verbindet. Diese Steueraufnahme ist aus römischen Quellen als Verwaltungsmaßnahme im Jahr 6 oder 7 n. Chr. in Judäa belegt und war politisch brisant, weil sie die direkte Eingliederung des Gebietes in die römische Provinzverwaltung markierte. Damit verschiebt sich die Szene im Lukasevangelium theoretisch um rund ein Jahrzehnt nach vorn und lässt sich kaum mit der Herodes-Erzählung bei Matthäus vereinbaren. Fachbeiträge zur historischen Einordnung dieser Passage, etwa die Analyse der Universität Iowa zur Volkszählung des Quirinius, kommen daher zu dem Schluss, dass diese Angabe historisch mindestens stark vereinfacht ist. Ob Lukas eine andere, heute unbekannte Steueraktion im Blick hatte oder die Volkszählung bewusst als literarisches Mittel verwendet, bleibt umstritten; für die Datierung des Geburtsjahr Jesu ist diese Diskrepanz jedoch zentral.

Historische Rekonstruktionen des Geburtsjahr Jesu

Um aus den verstreuten Angaben ein schlüssiges Bild zu gewinnen, kombinieren Historiker mehrere unabhängige Zeitmarken. Ein wichtiger Baustein ist die Notiz im Lukasevangelium, Jesus sei „etwa 30 Jahre alt“ gewesen, als er öffentlich auftrat, und dieser Beginn seines Wirkens werde „im fünfzehnten Jahr des Kaisers Tiberius“ datiert. Rechnet man in der damals üblichen inklusiven Weise, entspricht das etwa den Jahren 28 oder 29 n. Chr. Passt man die Angabe „etwa 30 Jahre“ an diese Daten an, ergibt sich als plausibles Geburtsjahr ein Zeitpunkt einige Jahre vor unserer heutigen Jahr-1-Marke. Hinzu kommt die klare Verankerung der Geburt Jesu in der Zeit des Herodes der Große, dessen Tod um 4 v. Chr. nahezu sicher ist. Kombiniert man beides, landen viele Forscher bei einem Geburtsjahr im Spektrum von etwa 7 bis 4 v. Chr., wobei 5 oder 4 v. Chr. häufig als besonders wahrscheinlich genannt werden.

Parallel dazu richtet sich der Blick auf astronomische Ereignisse, die in der Antike als bedeutungsvolle Zeichen gedeutet wurden. Der Stern von Bethlehem wird von einigen Forschern mit Planetenkonjunktionen oder auffälligen Kometen in Verbindung gebracht, die in den Jahren kurz vor 4 v. Chr. dokumentiert sind. Eine vielzitierte astronomische Studie argumentiert etwa für einen Kometen im Jahr 5 v. Chr. als möglichen Kandidaten und verbindet ihn mit historischen Angaben zu einem auffälligen Himmelsereignis in chinesischen Quellen, um daraus eine Datierung der Geburt Christi abzuleiten; detailliert dargelegt wird dies in einer astronomischen Studie zum Stern von Bethlehem. Solche Modelle liefern kein exaktes Geburtsdatum, aber sie stützen die Annahme, dass das Geburtsjahr Jesu eher in den Jahren unmittelbar vor 4 v. Chr. zu suchen ist als in der Zeit nach der Volkszählung des Quirinius.

Der 25. Dezember und die liturgische Geburt Jesu

Die wohl bekannteste „Antwort“ auf die Frage nach dem Geburtstag Jesu ist ein festes Kalenderdatum: der 25. Dezember. Dieses Datum ist jedoch keine direkte historische Angabe, sondern ein liturgischer Festtag, der sich erst mehrere Jahrhunderte nach der Kreuzigung eingebürgert hat. Frühchristliche Gemeinden konzentrierten sich zunächst stärker auf Tod und Auferstehung Jesu, Geburtstage spielten in der antiken Welt generell eine geringere Rolle. Erst in der Spätantike, als das Christentum zunehmend zur prägenden Religion des Römischen Reiches wurde, taucht der 25. Dezember als Feier der Geburt Jesu in kirchlichen Kalendern auf, vermutlich im Zusammenhang mit Debatten um Sonnensymbolik und Wintersonnenwende. In dieser Phase wird Jesus bewusst als Lichtfigur in eine bereits bestehende Festlandschaft aus heidnischen und römischen Bräuchen hineingedeutet.

Die Geschichte dieses Festes folgt dabei eigenen Regeln und setzt nicht zwingend ein bestimmtes Geburtsjahr Jesu voraus. Die Frage „Wann wurde Jesus geboren?“ ist hier zweifach zu verstehen: als historische Datierung eines Ereignisses und als Geschichte eines Festtages. Analysen der kulturellen Entwicklung von Weihnachten zeigen, dass das Weihnachtsfest als liturgischer Termin mit dem 25. Dezember deutlich jünger ist als die Erzähltradition der Evangelien und über Jahrhunderte hinweg Formen und Bedeutungen gewechselt hat; dies lässt sich etwa an der Entwicklung des Weihnachtsfest nachzeichnen. Der Festtag sagt daher nichts darüber aus, ob die Geburt Jesu tatsächlich im Winter stattgefunden hat. Beobachtungen wie draußen weidende Schafherden in der lukanischen Erzählung haben sogar einige Forscher zu der Annahme veranlasst, dass eher eine milde Jahreszeit – etwa Frühling oder Herbst – im Hintergrund steht, ohne dass sich darüber ein eindeutiger Konsens gebildet hätte.

Historischer Jesus, Quellenkritik und verbleibende Unsicherheiten

Die heutige Datierungsdiskussion bewegt sich bewusst im Rahmen historischer Methodik und vermeidet es, theologische Aussagen zu bestätigen oder zu widerlegen. Unter dem Ausdruck Historischer Jesus versteht man den Versuch, aus literarisch gestalteten Texten, archäologischen Funden und Kontextwissen eine möglichst nüchterne Rekonstruktion der Lebensdaten und des Wirkens Jesu zu gewinnen. Für die Geburt Jesu heißt das: Evangelien werden wie andere antike Biografien analysiert, ihre theologischen Akzente werden von möglichen historischen Kernen unterschieden. Dabei fällt ins Gewicht, dass viele Details – etwa der genaue Ablauf der Volkszählung des Quirinius oder der Charakter des Stern von Bethlehem – auch außerhalb der Bibel nur indirekt oder mit Unsicherheiten belegt sind. Je genauer man hinschaut, desto klarer wird, dass eine perfekte Übereinstimmung aller Quellen kaum erreichbar ist.

Gleichzeitig entwickelt sich die Quellenbasis weiter. Neue Manuskriptfunde, textkritische Rekonstruktionen und naturwissenschaftliche Datierungen ergänzen das Bild kontinuierlich. Studien, die die Bibel als möglichen astronomischen Code deuten, wie Diskussionen über einen astronomischen Kalender, zeigen, wie weit der Interpretationsspielraum reichen kann, auch wenn viele Fachleute solche Modelle vorsichtig beurteilen. Trotz aller Unsicherheiten bleibt ein robuster Kern: Die Kombination aus römischer Verwaltungschronik, Herrschaftsdaten von Herodes der Große und innerbiblischen Altersangaben führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Geburtsjahr Jesu wenige Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung. Das genaue Datum entzieht sich der historischen Kontrolle, doch das enge Zeitfenster macht die Frage nach dem Geburtsjahr Jesu zu einem exemplarischen Fall dafür, wie sorgfältig historische Forschung mit fragmentarischen Quellen arbeitet.

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