Feinstaub

Luftverschmutzung fordert im Nahen Osten mehr Tote als Wüstenstaub

 Dennis L.

(KI Symbolbild). Dichte Smogschleier legen sich über Wüstenstädte und Schifffahrtsrouten, während feine Aerosole den Himmel trüben und Sichtweiten verkürzen. Messkampagnen zeigen, dass Luftverschmutzung im Naher Osten heute weit stärker von Verbrennungsprozessen geprägt ist als von natürlichen Staubquellen. Die Mischung aus Feinstaub, Ozon und Stickoxiden verschärft sowohl die regionale Klimawirkung als auch das Risiko für vorzeitige Todesfälle. )IKnessiW dnu gnuhcsroF(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Feine Feinstaub-Partikel aus Öl und Gas schaden Gesundheit
  • Ozon und Stickoxide bilden gefährliche Smogschichten über Städten
  • Klimawandel und Luftverschmutzung verstärken sich gegenseitig in der Region

Im globalen Vergleich gehört der Naher Osten zu den Regionen mit der schlechtesten Luftqualität, doch lange galt der Blick vor allem dem Saharastaub. Eine neue Auswertung von Messkampagnen und Atmosphärenmodellen zeigt nun, dass feine Verbrennungspartikel die Feinstaubbelastung im Ballungsraum rund um die Arabische Halbinsel dominieren. Besonders die PM2,5 Konzentration liegt vielerorts dauerhaft über den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtwerten. Zugleich wird sichtbar, wie eng Luftverschmutzung, Klimaeffekte und gesundheitliche Risiken in diesem Gebiet verwoben sind. Die Studie liefert damit ein schärferes Bild der tatsächlichen Ursachen und eröffnet konkrete Stellschrauben zur Verringerung der Belastung.

Die Luft in Städten und Industriegebieten enthält heute ein komplexes Gemisch aus Gasen und Partikeln, das weit über sichtbaren Rauch hinausgeht. Unter dem Begriff Luftverschmutzung fassen Atmosphärenchemiker eine Vielzahl von Schadstoffen zusammen, darunter Stickoxide, Ozon, Ruß und Feinstaub in unterschiedlichen Größenklassen. Besonders problematisch sind Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von höchstens 2,5 Mikrometern (PM2,5), weil sie tief in die Lunge eindringen und Entzündungsprozesse im gesamten Organismus auslösen können. Weltweit wird die Feinstaubbelastung als einer der größten vermeidbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen eingestuft; groß angelegte Analysen, wie etwa Feinstaub und Stickoxide auch unterhalb der Grenzwerte schädlich, zeigen, dass schon Konzentrationen unterhalb vieler gesetzlicher Grenzwerte messbare Effekte auf Mortalität und Morbidität haben. In Summe führen diese Belastungen zu vorzeitige Todesfälle in Millionenhöhe pro Jahr und verkürzen die durchschnittliche Lebenserwartung um mehrere Jahre.

Im Naher Osten schien die Lage lange klar: Staubstürme aus den Wüstenregionen dominieren optisch den Himmel, lagern sich auf Gebäuden ab und prägen Satellitenbilder als breite, beige Schleier. Entsprechend verbreitet war die Annahme, dass natürliche Wüstenstaubpartikel auch den Großteil der gesundheitsrelevanten Feinstaubfraktionen stellen. Ein internationales Team von Atmosphärenforschern hat diese Sicht nun mithilfe einer groß angelegten Messkampagne auf See und hochauflösender Modelle grundlegend überprüft. Die Expedition rund um die Arabische Halbinsel, die auf der Seite Menschengemachte Luftverschmutzung bedeutender als Wüstenstaub des Max-Planck-Instituts für Chemie zusammengefasst ist, kombinierte kontinuierliche Messungen von Aerosolen und Spurengasen mit detaillierten Simulationen der Transport- und Mischungsprozesse in der Atmosphäre. Die Region umfasst Küstenmetropolen, Schifffahrtsrouten und ausgedehnte Öl- und Gasfelder, in denen anthropogene Emissionen und natürlicher Staub auf engem Raum zusammentreffen und eine sehr spezielle Form der Luftverschmutzung erzeugen.

Expedition um die Arabische Halbinsel: Messungen auf See

Im Sommer 2017 umrundete ein Forschungsschiff die Arabische Halbinsel und nahm entlang seiner Route Luftproben in verschiedenen Höhen und Entfernungen zu Küsten, Industrieanlagen und Schifffahrtsrouten. An Bord arbeiteten Atmosphärenchemiker mit einem ganzen Arsenal an Messgeräten, darunter optische Partikelzähler, Massenspektrometer zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung sowie Instrumente, die die Lichtstreuung und -absorption von Aerosolen bei unterschiedlichen Wellenlängen erfassen. Parallel dazu wurden Spurengase wie Ozon, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid in hoher zeitlicher Auflösung registriert. Die Messdaten flossen in ein gekoppeltes Chemie-Transport-Modell ein, das Windfelder, Turbulenz, Emissionsinventare und chemische Reaktionsmechanismen integriert. Eine darauf basierende Auswertung des Datensatzes wurde als Fachartikel Severe atmospheric pollution in the Middle East is attributable to anthropogenic sources in Communications Earth & Environment veröffentlicht und quantifiziert erstmals systematisch, wie stark natürliche und menschliche Quellen im Naher Osten jeweils zur Gesamtausprägung der Luftverschmutzung beitragen.

Die Messkampagne nutzte nicht nur lokale Beobachtungen, sondern verband diese über Trajektorienanalysen mit den großskaligen Strömungsmustern der Region. So ließ sich nachvollziehen, ob Luftpakete zuerst über Wüstengebiete strichen, lange über dem Meer verweilten oder aus dicht besiedelten Industrieregionen stammten. Spektrale Kenngrößen wie der Ångström-Exponenten, der empfindlich auf die Partikelgröße reagiert, halfen zusätzlich, zwischen feinen Verbrennungspartikeln und gröberen Wüstenstaubpartikel zu unterscheiden. Auf diese Weise entstand ein räumlich und zeitlich hochaufgelöstes Bild des Aerosolfeldes, das weit über die rein optische Trübung hinausgeht und die Grundlage für die Gesundheits- und Klimaabschätzung bildet.

Feinstaubbelastung im Nahen Osten: anthropogene Emissionen dominieren

Ein zentrales Ergebnis der Auswertung ist, dass die wirklich gesundheitlich relevante Feinstaubfraktion im Naher Osten weit überwiegend aus Verbrennungsprodukten besteht. Die Feinstaubbelastung in vielen Metropolen des Naher Osten liegt deutlich über den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation, die für die PM2,5 Konzentration einen Jahresgrenzwert von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter und einen 24-Stunden-Wert von 15 Mikrogramm pro Kubikmeter empfiehlt. Modellkarten zeigen, dass diese Schwellen in weiten Teilen der Region ganzjährig überschritten werden und in einzelnen Zonen Jahresmittelwerte von 30 bis 80 Mikrogramm pro Kubikmeter erreicht werden. Während die gröberen Wüstenstaubpartikel vor allem die optische Trübung und die Gesamtmasse bestimmen, dominiert in der feinen Fraktion das Gemisch aus Sulfat, Nitrat, organischen Aerosolen und Ruß aus Industrie, Energieerzeugung, Verkehr und Schifffahrt. Besonders entlang stark befahrener Seewege über dem Suezkanal, dem nördlichen Roten Meer und dem Arabischen Golf tragen anthropogene Aerosole in einigen Episoden bis zu 80 bis 95 Prozent zur beobachteten Trübung der Luftsäule bei und verstärken das regionale Smogproblem deutlich.

  • Die Auswertung zeigt, dass in vielen Teilgebieten über 90 Prozent der feinen, lungengängigen Partikel aus anthropogene Emissionen stammen
  • Die PM2,5 Konzentration überschreitet die WHO-Richtwerte regional dauerhaft und erreicht teils mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter
  • Im Mittel erklären anthropogene Aerosole rund die Hälfte der optischen Dichte der Luftsäule, in stark verschmutzten Zonen sogar deutlich mehr
  • Gröbere Wüstenstaubpartikel dominieren zwar die Massenbilanz, tragen aber weniger zur Zahl der besonders gesundheitsrelevanten Feinstaubpartikel bei

Die gefährlichste Feinstaubfraktion geht auf anthropogene Emissionen zurück, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Kraftwerken, Raffinerien, Industrieanlagen, Verkehr und Fackelverbrennung in Ölfeldern entstehen. In den Modellkarten lassen sich ausgeprägte Ozon Hotspots über dem Suezkanal, dem nördlichen Roten Meer und dem Arabischen Golf erkennen, wo Abgase von Schiffen, petrochemische Anlagen und urbane Emissionen zusammenkommen. Dort liegen nicht nur die PM2,5 Konzentration, sondern auch die bodennahen Ozonwerte permanent oberhalb der von der WHO empfohlenen Schwellen. Die Feinstaubbelastung betrifft somit nicht nur dicht bebaute Städte, sondern erstreckt sich entlang von Korridoren über See, in denen sich Schiffsabgase mit Luftmassen aus flussaufwärts gelegenen Industriegebieten mischen.

Gesundheitliche Folgen und vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub

Für die Bevölkerung des Nahen Osten lassen sich aus den Modellrechnungen direkte Gesundheitseffekte ableiten. Die Forscher kombinierten die berechneten Jahresmittel der PM2,5 Konzentration mit Dosis-Wirkungs-Beziehungen aus großen Kohortenstudien, wie sie in globalen Krankheitslastanalysen verwendet werden. Das Ergebnis: Luftschadstoffe sind in der Region für einen zweistelligen Prozentsatz aller Todesfälle verantwortlich. Hochgerechnet entspricht dies einer jährlichen Übersterblichkeit von etwa 745 Menschen pro 100000 Einwohner, wobei Unsicherheitsbereiche den Bereich von gut 500 bis knapp 1100 Fällen abdecken. Diese Größenordnung liegt auf ähnlichem Niveau wie die Risiken durch hohe LDL-Cholesterinspiegel oder Tabakkonsum. Die Studie schätzt, dass die Mischung aus Feinstaub und bodennahem Ozon jedes Jahr zehntausende vorzeitige Todesfälle im Naher Osten verursacht, deren Ursachen überwiegend bei vermeidbaren Emissionsquellen liegen. Vergleichbare Untersuchungen, etwa Feinstaub tötet 240.000 Menschen in der EU pro Jahr, unterstreichen, dass die gesundheitlichen Effekte von Luftschadstoffen nicht auf einzelne Weltregionen begrenzt sind, sondern ein globales Problem darstellen.

Die Analyse trennt zudem die Beiträge unterschiedlicher Partikelgrößen und chemischer Zusammensetzungen. Während grobe Wüstenstaubpartikel insbesondere die oberen Atemwege reizen und bei bestimmten Wetterlagen die Sicht stark einschränken, stehen feine Verbrennungspartikel in enger Verbindung mit Herzinfarkten, Schlaganfällen, chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, Lungenkrebs und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Ein großer Teil der gesundheitsrelevanten Feinstaubfraktion besteht aus Sulfat, Nitrat, organischem Material und Schwarzkohlenstoff, die bei hohen Konzentrationen oxidativen Stress, Entzündungsreaktionen und Veränderungen der Gefäßfunktion auslösen. In der Summe ergeben sich dadurch nicht nur akute Spitzenbelastungen während Smogepisoden, sondern eine dauerhafte Grundbelastung, die das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen über Jahre hinweg erhöht und die Zahl der vorzeitige Todesfälle kontinuierlich ansteigen lässt.

Luftverschmutzung, Klima und politische Handlungsoptionen

Anthropogene Aerosole wirken nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf das regionale und globale Klima. Aufgrund ihrer Größe und Zusammensetzung streuen und absorbieren sie Sonnenlicht und verändern die Bildung und Eigenschaften von Wolken. Die Auswertung der Mess- und Modelldaten zeigt, dass die anthropogenen Feinstaubpartikel im Nahen Osten im Mittel mehr als die Hälfte der beobachteten optischen Dichte der Luftsäule ausmachen und damit eine Strahlungswirkung entfalten, die in etwa derjenigen des natürlichen Staubs entspricht. Gleichzeitig hängen diese Partikel eng mit Emissionen aus dem Energiesektor und dem Verkehr zusammen, die neben Aerosolen auch große Mengen an Kohlendioxid freisetzen. Studien zu anderen Regionen, etwa zur Luftreinhaltung in China, verdeutlichen, dass der Rückgang kühlender Aerosole kurzfristig zu einem rascheren Temperaturanstieg führen kann, wenn Treibhausgasemissionen nicht gleichzeitig deutlich reduziert werden.

Für die Politik ergibt sich damit eine doppelte Herausforderung. Einerseits ist es aus Sicht der öffentlichen Gesundheit zwingend, die Luftverschmutzung durch Feinstaub und bodennahes Ozon so schnell wie möglich zu senken, etwa durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, die Reduktion der Fackelverbrennung in Ölfeldern, strengere Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke, Industrieanlagen und Schiffe sowie den Ausbau sauberer Verkehrssysteme. Andererseits müssen Klimaschutzstrategien berücksichtigen, dass der Wegfall reflektierender Partikel einen Teil der bisher maskierten Erwärmung sichtbar macht. Die Ergebnisse der Studie untermauern, dass nur eine schnelle und umfassende Dekarbonisierung in Kombination mit Luftreinhaltemaßnahmen sowohl die Belastung durch Luftverschmutzung verringern als auch die langfristigen Risiken des Klimawandels begrenzen kann. Für die etwa 400 Millionen Menschen in der Region ist eine konsequente Reduktion der Emissionen damit zugleich Gesundheits- und Klimapolitik im besten Sinne.

Communications Earth & Environment, Severe atmospheric pollution in the Middle East is attributable to anthropogenic sources; doi:10.1038/s43247-022-00514-6

Spannend & Interessant
VGWortpixel