Lebewesen oder Software?

Nervensystem eines Fadenwurms in Programmcode übertragen

D. Lenz

Die Grenze verschwimmt: Handelt es sich um ein Lebewesen oder lediglich um Programmcode? )gro.aidepikiwSOLP(Foto: © 

Die Grenze zwischen Lebewesen und Maschine wird immer fließender. So konnten Wissenschaftler kürzlich das komplette Nervensystem eines Fadenwurms eins zu eins in einen Programmcode übertragen.

Wien (Österreich). Wissenschaftlern der Technischen Universität Wien ist es gelungen, das Nervensystem eines Fadenwurms in ein neuronales Netz zu übertragen. Das Team aus Informatikern rund um Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr.rer.nat. Grosu Radu hat dazu das Nervensystem des Wurms vollständig analysiert. Der verhältnismäßig sehr einfach gebaute und nur einen Millimeter große Fadenwurm C.elegans wurde ausgewählt, da er das einzige Lebewesen ist, dessen Nervensystem mit rund 300 Nervenzellen so einfach ist, dass es „wie ein Schaltplan aufgezeichnet oder in einem Computerprogramm nachgebildet werden kann“. Laut der Pressemitteilung der TU Wien kann die „Nervenaktivität des Fadenwurms eins zu eins auf den Computer übertragen werden.“

Wurm bekommt neue Fähigkeiten

Den Wissenschaftlern ist gelungen, dem künstlichen in den Computer übertragenen Wurm, eine neue Fähigkeit beizubringen. Wie im Forschungspaper berichtet, lernte der Wurm wie er einen Stab balancieren kann.

Der natürliche Fadenwurm kann mit seinen nur 300 Nervenzellen in seiner Umwelt überleben. Er kann auf Impulse reagieren und so beispielsweise Hindernisse bemerken, die Richtung ändern oder Bakterien, die als Nahrung dienen ausfindig machen. Fadenwürmer die während ihrer Bewegung ein Hindernis erreichen, schlängen sich reflexartig in die entgegengesetzte Richtung.

Die Wissenschaftler der TU Wien antworten auf die Frage, warum der Wurm das tut damit, dass “sein Verhalten durch seine Nervenzellen und die Stärke der Verbindungen zwischen ihnen festgelegt wird. Wenn man dieses einfache Reflex-Netzwerk des Wurms am Computer nachbildet, dann reagiert der computersimulierte Wurm genauso auf den Zusammenstoß mit einem virtuellen Hindernis. Nicht, weil man es ihm einprogrammiert hätte, sondern weil dieses Verhalten von vornherein fest in sein neuronales Netz eingebaut ist.”

Das neuronale Netz, dass das Nervensystem des Fadenwurms vollständig im Computer nachbildet reagiert genau wie der natürliche Wurm. Es ändert also auch bei einem digitalen Impuls die Richtung.

Um zu überprüfen, ob das neuronale Netz neue Aufgaben lernen kann, die der Wurm so in der Realität nicht bewältigen muss, setzten die Forscher ein klassisches Problem der Technik ein. Das neuronale Netz sollte einen Stab balancieren. Hasani erklärte, dass “es sich dabei um eine ganz typische Aufgabe handelt, die ein computergesteuerter Controller normalerweise gut bewältigen kann. Ein Stab wird am unteren Ende festgehalten, und je nachdem, in welche Richtung er zu kippen droht, führt man eine Gegenbewegung aus um den Stab zu stabilisieren. Genau wie sich der Wurm beim Zusammenstoß mit einer Wand reflexartig in die Gegenrichtung bewegt, muss auch der Aufhängepunkt des Stabes beim drohenden Kippen rasch bewegt werden.”

Es sollte nun erforscht werden, “ob auch das auf einen Computer übertragene Nervensystem von C. elegans diese Aufgabe lösen kann – und zwar ohne zusätzliche Nervenzellen hinzuzufügen, nur durch das Modifizieren der Synapsenverbindungen zwischen den Nervenzellen. Genau dieses Verändern der Synapsenstärken charakterisiert auch natürliche Lernprozesse.”

Dazu trainierten die Wissenschaftler des künstliche Reflex-Netzwerk mit der Methode des sogenannten “bestärkendem Lernen”, die häufig im Bereich des maschinellen Lernens Anwendung findet. Dem virtuellen Nervensystem gelang es tatsächlich die Aufgabe zu meistern. Lechner erklärte, dass “das Ergebnis ein Controller ist, der ein reales technisches Problem lösen kann – nämlich das Stabilisieren eines balancierten Stabs. Doch kein Mensch hat je eine Zeile Code dieses Controllers programmiert, er entstand einfach durch Trainieren eines biologisch entstandenen Nervensystems.”

Das Team möchte in Zukunft noch erforschen, ob noch andere Fähigkeiten in dem künstlichen Nervensystem versteckt sind. “Jedenfalls werfen solche Projekte die Frage auf, ob zwischen Computercode und lebendigen Nervensystemen überhaupt ein fundamentaler Unterschied besteht. Ist maschinelles Lernen und das, was in unserem Gehirn passiert, auf fundamentaler Ebene dasselbe?”

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