Robert Klatt
Neue Regeln, etwa Tempolimits, Anschnallpflichten und Rauchverbote, werden zunächst von vielen Menschen abgelehnt, nach ihrem Inkrafttreten aber akzeptiert. Nun wurde untersucht, welche psychologischen Mechanismen dafür verantwortlich sind. Das Wissen kann dabei helfen, neue Gesetze, die etwa für den Gesundheits- und Klimaschutz nötig sind, besser zu kommunizieren.
München (Deutschland). Neue Gesetze und Regeln, die laut Kritikern die Freiheit einschränken, sorgen bei vielen Menschen zunächst für Ablehnung, obwohl sie eigentlich nötig sind, um bestimmte Ziele, etwa beim Gesundheits- und Klimaschutz, zu erreichen. In der Wissenschaft bezeichnet man diesen Widerstand als psychologische Reaktanz. Ein Beispiel dafür sind Kampagnen, die den Fleischkonsum reduzieren sollen und stattdessen eine Trotzreaktion auslösen, die dazu führt, dass Menschen stattdessen mehr Fleisch essen.
Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Reaktanz schnell abnimmt, wenn die zuvor kritisierte Änderung umgesetzt wurde. Weil das Phänomen bisher kaum systematisch untersucht wurde, haben Forscher der Technischen Universität München (TU München) nun analysiert, ob diese Beobachtungen tatsächlich stimmen und welche psychologischen Mechanismen dem zugrunde liegen.
Laut der Publikation im Fachmagazin PNAS haben die Forscher zunächst Umfragen zur Anschnallpflicht in den U.S.A., zur Verschärfung des Tempolimits in den Niederlanden und zu Rauchverboten an Arbeitsplätzen in mehreren Ländern analysiert. Zudem haben sie Experimente mit Probanden aus Deutschland und Großbritannien durchgeführt, die die psychologische Reaktanz in Bezug auf eine Impfpflicht, ein Tempolimit und neue Steuern auf Alkohol und Fleisch untersucht haben. Die Probanden sollten dabei beurteilen, wie sie die Regeln finden, wenn diese bald eingeführt werden oder wenn diese bereits seit einem Jahr bestehen würden.
Sowohl die Umfragen als auch die Experimente belegen, dass neue, einschränkende Maßnahmen vor allen vor der Einführung abgelehnt werden und die Ablehnung nach ihrer Einführung abnimmt, unabhängig davon, welche Meinung Menschen zu dem jeweiligen Thema haben.
„Die Reaktanz ist oft nur vorübergehend und nimmt kurz nach der Einführung einschränkender Maßnahmen beträchtlich ab. Der Widerstand ist also weniger stabil, als viele Politikerinnen und Politiker befürchten.“
Wie die Wissenschaftler erklären, dass der Effekt durch einen bekannten Wahrnehmungsmechanismus des Menschen entsteht. Wenn Menschen mit einer Veränderung konfrontiert werden, konzentrieren sie sich stärker auf den Prozess der Umstellung selbst als auf die Ausgangs- und Endzustände. Erst wenn die Umstellung abgeschlossen ist, rückt der neue Zustand klarer und unvoreingenommener in ihr Bewusstsein.
„Wenn eine neue Regel angekündigt wird, denken die Menschen zuerst an das, was sie verlieren: Freiheit, Gewohnheit, Komfort. Nach der Einführung treten diese persönlichen Verluste in den Hintergrund. Dann achten wir viel stärker auf das, was die Maßnahme für die Gesellschaft bringt, etwa beim Gesundheits- oder Klimaschutz.“
Die Experimente deuten ebenfalls daraufhin, dass die psychologische Reaktanz durch diesen Mechanismus entsteht. Menschen, die beurteilen sollten, ob eine neue Regel eingeführt wird, haben sich eher darauf fokussiert, wie diese ihre persönliche Freiheit einschränkt, und nicht darauf, welche gesellschaftlichen Folgen die Regel hat. In der Probandengruppe, bei denen die Regeln bereits galten, stand hingegen das Gemeinwohl im Fokus und die Auswirkungen der Regel auf das individuelle Leben wurden weniger stark betrachtet.
Die Wissenschaftler erklären, dass die Ergebnisse der Politik dabei helfen können, die Einführung neuer Gesetze besser zu kommuneren. Die Politiker sollten sich dabei vor allem auf die Vorteile für die Gesamtgesellschaft konzentrieren, um eine Mehrheit für die geplanten Maßnahmen zu erhalten und das Verständnis in der Bevölkerung zu erhöhen.
„In einem Experiment haben wir schon vor der Einführung einer systemischen Maßnahme betont, welche gesellschaftlichen Vorteile diese hat. Die Studienteilnehmenden, die sich gleich mit den Vorteilen beschäftigten, lehnten die Maßnahme dann auch schon vor Einführung deutlich weniger ab.“
„Regulatorische Maßnahmen sind nicht der einzige, aber ein bedeutender Baustein für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. Wer sich der psychologischen Mechanismen bewusst ist, kann die Reaktionen vieler Menschen, den Verlauf der Debatten und die Erfolgsaussichten von Gesetzen besser beurteilen und danach handeln.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2409907122