Kognitive Verzerrung

Verschwörungsgläubige sind nicht so viele, wie sie selbst denken

 Robert Klatt

Verschwörungsgläubige überschätzen ihre Zahl )kcotS ebodAnriF(Foto: © 

Die meisten Verschwörungstheoretiker überschätzen ihre eigenen kognitiven Fähigkeiten stark und gehen davon aus, dass ein Großteil der Menschen ihrer Meinung ist.

Ithaca (U.S.A.). In den letzten Jahren haben unterschiedliche Studien gezeigt, dass Verschwörungstheoretiker sich oft selbst überschätzen. Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, überschätzen demnach ihre Leistungen bei Aufgaben zu Zahlenverständnis und Wahrnehmung deutlich öfter als die Allgemeinbevölkerung, was darauf hindeutet, dass sie eine weniger analytische Denkweise besitzen.

Forscher der Cornell University haben nun eine Studie publiziert, die zeigt, dass Verschwörungstheoretiker nicht nur eine übertriebene Selbstsicherheit haben, sondern dass ein Großteil von ihnen zudem überzeugt ist, dass sie zur Mehrheit gehören.

„Diese Gruppe ist wirklich von der Realität entkoppelt. In vielen Fällen glauben sie etwas, dem kaum jemand sonst zustimmt. Es handelt sich nicht nur um Vorstellungen, die wenig Sinn ergeben – gemessen an unserem Wissen über die Welt –, sie haben auch keinerlei Gespür dafür, wie sehr sie sich am Rand des Meinungsspektrums bewegen. Sie glauben fast immer, zur Mehrheit zu gehören, selbst wenn sie objektiv eine winzige Minderheit darstellen.“

Selbstüberschätzung und Verschwörungsglaube

In der Psychologie ging man bisher davon aus, dass Verschwörungstheorien vor allem entstehen, weil Menschen einzigartig sein wollen oder unter Narzissmus leiden. Die aktuelle Publikation der Wissenschaftler der Cornell University im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin zeigt hingegen, dass Verschwörungstheoretiker ein auffallend hohes Vertrauen in ihre eigenen kognitiven Fähigkeiten haben und dadurch Verschwörungstheorien entstehen.

„Das ist paradox, denn frühere Studien haben gezeigt, dass solche Menschen eher intuitiv als analytisch denken.“

An der Studie haben rund 4.200 Erwachsenen teilgenommen, deren Selbstüberschätzung mit Tests zur Wahrnehmung, zum Zahlenverständnis und zur kognitiven Reflexion ermittelt wurde. Weil die Wissenschaft die Selbstüberschätzung nur schwer messen kann, unter anderem, weil besonders inkompetente Personen meistens ihre eigene Inkompetenz nicht erkennen können, haben die Forscher eine neue Methode entwickelt. Die Methode nutzt keine Aufgaben mit klar messbaren Ergebnissen, sondern Aufgaben, deren tatsächliche und wahrgenommene Leistung voneinander unabhängig sind, etwa das Erkennen von extrem verzerrten Bildern, also eine Aufgabe, die eher einem Ratespiel ähnelt. 

„Die Teilnehmer hatten wenig Grund zu glauben, dass sie gut abgeschnitten hatten – was es erlaubt, hohe Selbsteinschätzung als Ausdruck von übermäßiger Selbstsicherheit zu interpretieren, ohne durch tatsächliche Leistung verfälscht zu werden.“

Anschließend haben sie untersucht, ob die Probanden an bekannte Verschwörungstheorien glauben, indem sie ihre Zustimmung zu Behauptungen wie „Der Tod von Prinzessin Diana war kein Unfall“ oder „Dinosaurier haben nie existiert“ abgefragt haben. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Menschen, die ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen, eher an Verschwörungstheorien glauben.

„Wenn Selbstüberschätzung ein wesentlicher Bestandteil von Verschwörungsglauben ist, dann ist es wahrscheinlich, dass diese Personen nicht wissen, dass sie zur Minderheit gehören. Wenn Verschwörungsglauben hingegen mehr durch das Bedürfnis nach Einzigartigkeit motiviert wäre, dann wüssten die Gläubigen um ihre Außenseiterposition – und könnten sich sogar daran erfreuen.“

Verschwörungstheoretiker zählen sich zur Mehrheit

Anschließend haben die Forscher untersucht, wie Verschwörungstheoretiker die Meinung anderer Menschen einschätzen. Die Experimente zeigen, dass ein Großteil von ihnen (93 %) der Ansicht ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihre Meinung teilt, obwohl tatsächlich nur eine Minderheit an die untersuchten Verschwörungen glaubt.  Der Glaube, dass andere Menschen ebenfalls an die Verschwörungstheorien glauben, war umso stärker, je größer die Selbstüberschätzung der kognitiven Leistung war.

„Die Menschen, die am dringendsten Hilfe dabei brauchen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, sind am wenigsten in der Lage zu erkennen, dass sie diese Hilfe überhaupt benötigen.“

Personality and Social Psychology Bulletin, doi: 10.1177/01461672251338358

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