Robert Klatt
Menschen, die im Alltag permanent Stress empfinden, entwickeln eine reizbare und verschlossene Persönlichkeit. Personen mit einer guten Stressbewältigung werden hingegen mit der Zeit zunehmend extrovertierter.
East Lansing (U.S.A.). Es ist seit Langem bekannt, dass der Persönlichkeitstyp eines Menschen stark mit seinem individuellen Stressempfinden zusammenhängt. Eine Studie der Northwestern University (NU) kam etwa zu dem Ergebnis, dass emotional labile Menschen mit einer Neigung zu negativen emotionalen Reaktionen ein hohes subjektives Stresserleben haben und das aktive, gesellige und selbstbewusste Menschen ein deutlich geringeres subjektives Stresserleben besitzen und leichter mit körperlichen Stressreaktionen umgehen können.
Wissenschaftler der Michigan State University (MSU) haben nun eine neue Studie veröffentlicht, die untersucht hat, wie der Charakter eines Menschen mit seiner Stressbewältigung zusammenhängt. Laut der Publikation im Fachmagazin Psychology and Aging haben an der Studie über 2.000 Probanden teilgenommen, die innerhalb von 18 Jahren dreimal über ihr Stresslevel und über ihre Persönlichkeit berichtet haben. Es handelt sich dabei um die bisher größte und längste Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen der Stressbewältigung und der Persönlichkeitsentwicklung.
In den Tagebüchern, die die Probanden für jeweils acht Tage geführt haben, haben sie über ihre täglichen Stressfaktoren und über ihre emotionalen Reaktionen berichtet. Anschließend haben die Forscher mit komplexen statistischen Methoden ermittelt, wie der Umgang mit Alltagsstress langfristig ihre Persönlichkeit beeinflusst hat.
Laut den Ergebnissen werden Menschen, die ihren alltäglichen Stress gut bewältigen können, im Laufe von fast zwei Jahrzehnten offener, extrovertierter und umgänglicher. Menschen, die mit ihrem Stress nur schlecht umgehen können, ziehen sich hingegen zunehmend zurück, sind weniger offen gegenüber neuer Erfahrungen und handeln weniger freundlich.
„Frühere Forschung hat bereits gezeigt, dass die Persönlichkeit vorhersagen kann, wie gut jemand mit alltäglichem Stress umgeht. Das Spannende an dieser Studie ist, dass sich auch der umgekehrte Weg zeigt: Wer im Alltag besser mit Stresssituationen zurechtkommt, entwickelt sich über die Zeit zu einer extrovertierteren, angenehmeren und offeneren Persönlichkeit. Das bedeutet aber auch: Wer zunehmend schlechter mit den täglichen Herausforderungen umgeht, wird tendenziell introvertierter, weniger freundlich und verschließt sich neuen Erfahrungen.“
Die Forscher erklären, dass die neuen Erkenntnisse Menschen mit einer unzureichenden Stressbewältigung dabei helfen können, besser mit Stress umzugehen.
„Diese Studie kann Menschen Hoffnung geben – denn wenn es gelingt, die eigenen Emotionen im Alltag besser zu regulieren, kann das langfristig sogar die Persönlichkeit beeinflussen. Und Eigenschaften wie Offenheit, Geselligkeit und Umgänglichkeit hängen stark mit einem höheren Maß an Lebenszufriedenheit zusammen. Ich wünsche mir, dass Menschen erkennen: Die Art und Weise, wie sie täglich auf Stress reagieren und wie sie bestimmte Situationen bewerten, kann nicht nur ihr Wohlbefinden verbessern, sondern langfristig sogar ihre Persönlichkeit positiv beeinflussen“
Psychology and Aging, doi: 10.1037/pag0000912