Robert Klatt
Physiker haben bereits in den 1970er-Jahren die Existenz von Quanten-Spinflüssigkeiten postuliert, in denen Spins bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt zwar ungeordnet, aber dennoch quantenphysikalisch verschränkt sind. Nun wurde der exotische Materiezustand erstmals in einem dreidimensionalen Feststoff nachgewiesen.
Wien (Österreich). Renommierte Physiker haben bereits vor rund 50 Jahren die Existenz von Quanten-Spinflüssigkeiten (QSL) postuliert, also Materialien, deren magnetische Spins eine spezielle Unordnung zeigen. Im exotischen Materiezustand der Quanten-Spinflüssigkeit sind die Spins auch bei extrem niedrigen Temperaturen ungeordnet, anstatt wie bei anderen Materialien einheitlich und regelmäßig ausgerichtet. Die Spins sind trotz ihrer ungeordneten Form quantenphysikalisch verschränkt, beeinflussen also den Zustand eines gekoppelten Spins, wenn man sie verändert.
„Sie verhalten sich dabei wie eine flüssige Form von Magnetismus – ohne starre Ordnung.“
In der Physik hat man bisher lediglich Hinweise auf Quanten-Spinflüssigkeiten in zweidimensionalen Materialien entdeckt. Belege dafür, dass Quanten-Spinflüssigkeiten auch in dreidimensionalen Materialien bei extrem niedrigen Temperaturen real existieren können, wurden hingegen bisher nicht erbracht.
Forscher der Technischen Universität Wien (TU Wien) haben nun erstmals einen klaren Beleg für eine Quanten-Spinflüssigkeit in einem 3D-Kristall erbracht. Laut der Publikation im Fachmagazin Nature Physics haben die Wissenschaftler für ihr Experiment das Verhalten der Seltenerdverbindung Cer-Zirkon-Oxid analysiert. Im Kristall dieser zu den Pyrochlor-Mineralen gehörenden Verbindung bilden die Cer-Ionen die Ecken von tetraederförmigen Einheiten, die theoretisch eine Konfiguration bilden können, die günstig für die Entstehung einer Quanten-Spinflüssigkeit sind.
Die Struktur der Spins in der Seltenerdverbindung haben die Physiker mithilfe der polarisierten Neutronenstreuung bei Temperaturen bei 20 bis 59 Millikelvin ermittelt, also Temperaturen, die nahe dem absoluten Nullpunkt liegen. Sie haben zudem Messungen der spezifischen Wärmekapazität erstellt, um die energetischen Zustände in der Verbindung untersuchen zu können.
„Wir konnten erstmals Signale beobachten, die einen überzeugenden Hinweis auf eine dreidimensionale Quanten-Spin-Flüssigkeit liefern, insbesondere die sogenannten emergenten Photonen.“
Es handelt sich hierbei um magnetische Effekte, die sich analog zu Photonen in Lichtwellen verhalten. Bei einer Anregung der Spins in einer Quanten-Spinflüssigkeit entsteht aufgrund ihrer quantenmechanischen Verschränkung eine wellenartige kollektive Bewegung. Diese Spinwellen konnten Physiker nun erstmals in ultrakaltem Cer-Zirkon-Oxid nachweisen.
„Die Entdeckung dieser emergenten Photonen in Cer-Zirkon-Oxid ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass wir tatsächlich eine Quanten-Spinflüssigkeit gefunden haben.“
Die experimentell gewonnenen Messdaten zeigten in Bezug auf Energie, Impuls und Polarisation eine nahezu exakte Übereinstimmung mit den theoretisch vorhergesagten Werten. In Kombination mit der beobachteten Unordnung der magnetischen Spins liefert dies einen überzeugenden Hinweis darauf, dass Cer-Zirkon-Oxid in der Lage ist, eine Quanten-Spinflüssigkeit auszubilden.
Die Physiker haben somit erstmals die vorher nur theoretisch postulierte Existenz einer Quanten-Spinflüssigkeit in einem dreidimensionalen Material nachgewiesen. Laut ihnen ist der Nachweis nicht für die Grundlagenforschung bedeutend, sondern kann auch bei der Entwicklung von Supraleitern, Quantencomputern und weiteren Quantentechnologien helfen.
„Wir haben damit eine bedeutende offene Frage beantwortet.“
Nature Physics, doi: 10.1038/s41567-025-02922-9