Werkstoffinnovation

Neuer Durchbruch bei Hochtemperatur-Supraleitern

D. Lenz

Vom Offshore-Windpark in die Haushalte ohne Verluste: eine der Herausforderungen des neuen Stromnetzes, bei dem Hochtemperatur-Supraleiter helfen können. )moc.ailotofecnessenecS(Foto: © 

Die erfolgreiche Energiewende braucht mehr als Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Sie braucht unter anderem eine Antwort auf die Frage, wie sich Strom über weite Distanzen möglichst verlustfrei transportieren lässt. Wissenschaftler untersuchen deshalb Hochtemperatur-Supraleiter.

Karlsruhe (Deutschland). Gleichstrom und Hochtemperatur-Supraleiter leisten hinsichtlich einer nahezu verlustfreien Übertragung von Strom über größere Entfernungen effiziente Arbeit, die notwendigen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen (HGÜ) bedeuten jedoch die nächste Herausforderung: Forscher suchen für ihren Einsatz nach neuen Hochtemperatur-Supraleitern, am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist dabei ein Durchbruch bei der Untersuchung der Funktionsweise supraleitender Materialien gelungen.

Elektronen ordnen sich unter Druck

Der große Vorteil von Supraleitern besteht darin, Strom ohne Verluste transportieren zu können. Unterhalb einer gewissen Temperatur verlieren sie ihren elektrischen Widerstand, der verlustfrei Transport wird dann möglich. Unproblematisch ist das nicht, denn um die starre Ladungsordnung von Supraleitern zu umgehen, werden Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) benötigt. In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung Hochtemperatur-Supraleiter irreführend, denn auch diese funktionieren in der gewünschten Weise erst ab Temperaturen von ungefähr minus 200 Grad Celsius.

Für einen effizienteren Einsatz in der Energieversorgung wären aber deutlich höhere Temperaturen wünschenswert, so dass Supraleitung im Bereich der Raumtemperatur funktioniert. Um dies zu erreichen, untersuchte das Team um Professor Matthieu Le Tacon, Leiter des Instituts für Festkörperphysik (IFP) am KIT, die hierfür wichtigen Zustände und Vorgänge innerhalb von supraleitenden Materialien. In Zusammenarbeit mit Forschern des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart, dem Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, der European Synchotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble sowie der Universidad Nacional de la Plata in Argentinien gelang dabei ein wichtiger Durchbruch: Mit Hilfe von hohem einachsigem Druck können die konkurrierenden Zustände in einem Hochtemperatur-Supraleiter kontrolliert werden.

Untersuchungen am neuen Supraleiter

Ihre Untersuchungen führten die Wissenschaftler am Hochtemperatur-Supraleiter YBa2Cu3O6.67 durch, der zu den Cupraten zählt und aus einer komplexen Verbindung aus Kupfer, Sauerstoff und anderen Elementen besteht. Die enthaltenen Kupfer- und Sauerstoffatome bilden zweidimensionale Strukturen, in denen es zu miteinander konkurrierenden Zuständen kommt, sobald Ladungsträger in diese Ebenen eingeführt werden: Gelingt eine Kopplung der Ladungsträger, wird die Supraleitung möglich.

Bleibt die Ladungsordnung jedoch starr, ist sie nicht möglich. Bei einem solchen Ladungsordnungszustand ordnen sich die Ladungsträger in unbeweglichen, streifenförmigen Nanostrukturen. Sie verhindern die Supraleitung ebenso wie Ladungsdichtewellen (CDW, charge density waves), bei denen es sich um periodische Schwankungen in der Verteilung der elektrischen Ladungen handelt. Die Beimengung bestimmter Chemikalien sowie der Einsatz externer Magnetfelder können zwar ebenfalls den Wechsel zwischen den beiden Zuständen herbeiführen, die Interpretation derartiger Experimente ist allerdings nicht immer eindeutig.

Professor Le Tacon und sein Team griffen bei ihren Forschungen auf einachsigen Druck zurück und konnten so eine präzise Untersuchung des Verhältnisses von Ladungsdichtewellen und Supraleitung vornehmen. Entlang der Kristallachse a des untersuchten Hochtemperatur-Supraleiters konnten sie dadurch ohne die Hilfe von Magnetfeldern einen weitreichenden dreidimensionalen Ladungswelledichte-Zustand herbeiführen: „Unser Ergebnisse ermöglichen neue Einblicke in die Funktion von Hochtemperatur-Supraleitern und anderen korrelierten Materialien“, fasst Professor Matthieu Le Tacon die Resultate der gemeinsamen Forschungsarbeit zusammen.

Außerdem hätten die Untersuchungen aufgezeigt, dass mittels einachsigen Drucks die Ordnung der Elektronen in solchen Materialien kontrolliert werden kann. Die Ergebnisse veröffentlichte die Forschungsgruppe im Science-Magazin.

Weitere Erkenntnisse zu Hochtemperatur-Supraleitern

Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Hochtemperatur-Supraleiter betreibt auch das Team von Professor Artem Oganov vom Moskauer Institut für Physik und Technologie. In ihren Untersuchungen geht es aber vornehmlich darum, neue Materialien mit den gewünschten Eigenschaften zu entdecken. War es bislang vielfach dem Zufall geschuldet, einen neuen Hochtemperatur-Supraleiter zu finden, versuchten Oganov und seine Kollegen, die Suche anhand von chemischen Gemeinsamkeiten durchzuführen.

Ihre These: Die Eigenschaft der Hochtemperatur-Supraleitung hängt zusammen mit einer bestimmten Elektronen-Konfiguration der beteiligten Elemente. Überprüft wurde diese Vermutung an bekannten Supraleitern, mit einem Fokus auf Metallhybriden, also Verbindungen von Metallen mit Wasserstoff. Unter den untersuchten Hybriden, die zur Hochtemperatur-Supraleitung fähig sind, fanden die russischen Forscher auffallend viele mit Metallatomen, deren d-Orbitale mit lediglich einem Elektron besetzt sind. So ist es etwa bei Actinium der Fall sowie bei anderen Elementen, die zur Scandium-Gruppe gehören. Bei verschiedenen Erdalkalimetall-Hybriden scheint diese Elektronenkonfigurationen zudem denselben günstigen Effekt zu haben.

Daraus leiteten die Wissenschaftler die Möglichkeit ab, potenzielle Hochtemperatur-Supraleiter direkt anhand ihrer Position im Periodensystem bestimmen zu können. Die gezielte Überprüfung von Actinium-Hybriden, deren Supraleiter-Eigenschaften bislang nicht untersucht worden waren, bestätigte die Annahme von Oganov und seinem Team: „Wir postulieren daher, dass Metalle mit einer p0 und d1-Elektronenkonfiguration und tiefliegenden leeren Orbitalen dazu neigen, als Polyhybride zu Hochtemperatur-Supraleitern zu werden“, so der Moskauer Professor in der Darlegung der Untersuchungen im Journal of Physical Chemistry Letters.

Das einfache Prinzip, so die Hoffnung von Oganov, bietet in Zukunft einen leichteren Weg für die Suche nach neuen Supraleitern – möglicherweise lassen sich mit der neuentwickelten Methode schneller sogar solche Materialien finden, die tatsächlich bei Raumtemperatur als Supraleiter funktionieren.

Alltagsrelevanz der Hochtemperatur-Supraleiter-Forschung

Beiden Studien gemein ist die dringlicher werdende Alltagsrelevanz. Hochtemperatur-Supraleiter sind in hohem Maß gefragt, da sie ein elementarer Baustein für die Energiewende sind. Der Grund hierfür liegt in der wachsenden Bedeutung von Gleichstrom für die Energieversorgung.

Seit Tesla um die Wende zum 20. Jahrhundert mit der Erfindung seines Wechselstrommotors den amerikanischen Stromkrieg zu Gunsten des Wechselstroms entschied, war das unter den damaligen Voraussetzungen eine nachvollziehbare Entwicklung: Zwar hatte Thomas Edison zeitgleich bereits aufgezeigt, dass eine dezentrale Energieversorgung mit Gleichstrom möglich ist, allerdings nur mit erheblichem Aufwand. Wechselstrom wurde durch Teslas Beitrag zu einer kostengünstigeren und einfacheren Lösung, da er sich mit Hilfe von Transformatoren vergleichsweise leicht auf unterschiedliche Spannungsebenen heben oder senken lässt, ist er in Energienetzen weltweit gebräuchlich und häufiger im Einsatz als Gleichstrom.

Die Energiewende mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien, die vielfach erst über größere Entfernungen transportiert werden müssen und neue Technologien haben jedoch die Verwendung von Gleichstrom interessant gemacht. Da Wechselstrom beispielsweise beim Anschluss von Offshore-Windparks wegen des Blindleistungsbedarfs sowohl unter technischen als auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr sinnvoll ist, wird die Übertragung mit Hochspannungs-Gleichstrom vorgenommen.

Hochtemperatur-Supraleitern kommt dabei die Aufgabe zu, bei den besagten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen (HGÜ) Verluste zu reduzieren. Der Verein Deutscher Ingenieure hat bereits 2014 in einer umfassenden Studie zu Werkstoffinnovationen für nachhaltige Mobilität und Energieversorgung auf das Potenzial von Hochtemperatur-Supraleitern auf Basis von YBa2Cu3O7- oder Bi2Sr2Ca2Cu3O10-Bandleitern hingewiesen.

Mit diesen ließe sich bei der Stromleitung gegenüber herkömmlichen Kupferkabeln die drei- bis fünffache Leistungsübertragung erreichen. Durch den nahezu fehlenden elektrischen Widerstand kann der Strom außerdem bei vergleichsweise niedriger Spannung verteilt werden, auf höhere Spannungsebenen kann damit verzichtet werden. Daneben sprechen vor allem die Leichtigkeit und der geringe Platzbedarf für die supraleitenden Materialien, die sich zudem nach außen thermisch neutral verhalten.

Hochtemperatur-Supraleiter für ein neues Stromnetz

Im Rahmen der Energiewende könnte ihre Rolle durch die Veränderungen des Stromnetzes noch prominenter werden. Sie helfen dabei, die zunehmend dezentralen Erzeugungsstrukturen auf Basis regenerativer Energiequellen besser in das Netz zu integrieren. Mittels Hochtemperatur-Supraleitern können beispielsweise genau solche Erzeuger im Mittel- und Niederspannungsnetz angeschlossen und Überschüsse aus diesen Verteilungsnetzen in andere Netzregionen abgeleitet werden.

Der fehlende Spannungsabfall bei derartigen Strukturen mit linearem Übertragungsverhalten könnte sich dank der Hochtemperatur-Supraleiter als nahezu unerheblich erweisen, denn zum einen entfällt die Transformation in eine höhere Spannungsebene, zum anderen verfügen die Supraleiter über eine intrinsische Kurzschlussstrombegrenzung. Das heißt, sobald der Stromfluss bei Kurzschluss die für ein entsprechendes Kabel kritische Größe erreicht, ist die Supraleitung nicht mehr gegeben, stattdessen bildet das Kabel in einem solchen Fall einen starken Widerstand. Besonders in laststarken Gebieten reichten unter diesen Voraussetzungen einfachere Konstruktionen für die notwendigen Schaltanlagen bereits aus.

Der VDI geht in seiner Einschätzung mit anderen Experten konform, dass der Einsatz von Hochtemperatur-Supraleitern eine deutliche Energieeinsparung als auch eine geringere Emissionsbelastung (vor allem mit CO2) ermöglichen kann. Das in der VDI-Studie angeführte AmpaCity-Projekt (vom englischen Begriff für die Strombelastbarkeit oder den Nennstrom) in Essen kann jedenfalls nach etwas mehr als viereinhalb Jahren Laufzeit belegen, dass die eingesetzten keramikbasierten Supraleiter technisch funktionieren. Der ehemalige Testbetrieb gehört daher inzwischen fest zum Essener Verteilnetz.

In Zukunft könnte es daher also einfachere Lösungen geben, um im Alltag den Gleichstrombedarf von Rechnern, Servern, Smart Phones, Tablets usw. zu decken und gleichzeitig bessere Einbindungsmöglichkeiten für das große Thema Elektromobilität. Hier kann mit Gleichstrom für deutlich kürzere Ladezeiten der Akkus von Elektroautos gesorgt werden und so die Zeit überbrücken bis innovative Speichertechnologien, wie sie etwa derzeit an der Universität Glasgow erforscht werden, marktreif sind.

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