Robert Klatt
Long-Covid konnte bisher kaum behandelt werden. Nun wurden die molekularen Prozesse im Gehirn erstmals entschlüsselt. Das Wissen über die biologischen Grundlagen des Gehirnnebels kann dabei helfen, neue Therapien zu entwickeln.
Yokohama (Japan). Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickeln mindestens zehn Prozent der Covid-19-Infizierten anschließend Long-Covid-Symptome, darunter Erschöpfung (Fatigue), Atembeschwerden, Muskelschmerzen und Herz-Kreislauf-Beschwerden. Bei bis zu einem Drittel der Menschen mit Long-Covid kommt es zu kognitiven Beeinträchtigungen, darunter Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme und verlangsamtes Denken, also Symptome, die einem dauerhaften „mentalen Nebel“ (Brain Fog) gleichen.
Die Medizin konnte bisher nicht die Ursachen des sogenannten „Gehirnnebels“ entdecken und die Symptome deshalb nur schlecht behandeln. Nun haben Forscher der Yokohama City University (YCU) die biologischen Mechanismen mit einer modernen Bildgebungsmethode, die zentrale Gedächtnismoleküle in lebenden Gehirnen (AMPA-Rezeptoren) zeigen, untersucht.
Die bildgebenden Untersuchungen zeigen, dass bei Menschen mit Long-Covid die Dichte dieser Rezeptoren deutlich erhöht ist. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Symptome und der Dichte der AMPA-Rezeptoren. Diese eignen sich deshalb sowohl als diagnostische Biomarker als auch als potenzielle Zielstrukturen für neue Therapien.
Wie die Wissenschaftler der YUC erklären, haben bildgebende Untersuchungen zuvor bereits gezeigt, dass Long-Covid-Patienten strukturelle Veränderungen im Gehirn haben. Sie konnten aber keine Erklärung auf molekularer Ebene liefern, weil die molekularen Prozesse, die die Kommunikation zwischen den Neuronen kontrollieren, nur schwer beobachtet werden konnten.
Das Team um Prof. Takuya Takahashi hat vermutet, dass die Expression der AMPA-Rezeptoren (AMPARs) bei Menschen mit dem Gehirnnebel geändert ist. Diese Moleküle sind entscheidend für die Lern- und Gedächtnisprozesse des Menschen und sind laut früheren Studien bei Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie und Demenz oft verändert.
Um ihre These zu überprüfen, haben die Forscher das neue bildgebende Verfahren [11C]K-2 AMPAR-PET-Bildgebung verwendet. Diese Technik kann die Dichte von AMPA-Rezeptoren im lebenden Gehirn zeigen.
Bilddaten von 30 Menschen mit Long-Covid und gesunden Menschen zeigen, dass die Dichte an AMPARs bei Long-Covid stark zunimmt. Die Bildgebungsdaten ermöglichen es, Menschen mit Long-Covid mit einer Genauigkeit von 100 Prozent zu erkennen.
„Mit unserer neu entwickelten AMPA-Rezeptor-PET-Bildgebung wollen wir eine neue Perspektive und innovative Lösungen für die medizinische Herausforderung Long-Covid bieten.“
Zudem waren verschiedene Entzündungswerte, die mit den AMPAR-Konzentrationen verknüpft sind, bei ihnen erhöht, was daraufhin deutet, dass es eine potenzielle Wechselwirkung zwischen Entzündungen und der Rezeptorexpression gibt.
Laut den Forschern liefert die Studie erstmals eine direkte biologische Erklärung für die Symptome von Long-Covid. Das neue Wissen soll dabei helfen, gezielter Therapien zu entwickeln, etwa neue Medikamente, die die Aktivität dieser Rezeptoren hemmen. Um eine endgültige Behandlung zu finden, sind aber noch weitere Studien nötig.
„Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass der Long-Covid-Gehirnnebel als eigenständige klinische Erkrankung anerkannt werden sollte. Dies könnte das Gesundheitswesen dazu motivieren, Diagnose- und Therapieverfahren schneller zu entwickeln.“
Quellen:
Pressemitteilung der Yokohama City University (YCU)
Studie im Fachmagazin Brain Communications, doi: 10.1093/braincomms/fcaf337