Venusfliegenfalle bleibt offen

Narkosemittel wirken auch bei Pflanzen

D. Lenz

Experimente zeigen, dass Narkosemittel aus der Humanmedizin auch bei Pflanzen Wirkung zeigen. )gro.aidepikiwehc(Foto: © 

Erkenntnisse aus der Pflanzenforschung könnten dabei helfen zu klären, was genau bei Menschen unter Narkose geschieht. Verlieren die Patienten ihr Bewusstsein oder werden nur die Sinne betäubt? Diese und weitere Fragen könnte die Pflanzenforschung vielleicht bald beantworten.

Bonn (Deutschland). Mediziner setzten bereits seit mehr als 150 Jahren Narkosemittel bei ihren Patienten ein. Trotzdem ist bis heute nicht genau bekannt, welche Wirkmechanismen die Mittel beim Menschen genau auslösen. Forschern der Universität Bonn konnten nun durch ihre Experimente an fleischfressenden Pflanzen Antworten finden, die auch Rückschlüsse auf die Wirkung beim Menschen erlauben.

In einem Experiment zeigte sich, dass die Mimosa pudica unter Einfluss des Narkosemittels Diethylether keinen Schließreflex mehr besitzt. Eigentlich ist die Pflanze für ihre blitzschnelle Reaktion bekannt, die bei der kleinsten Berührung zu einem Schließen der Blätter führt. Erst mehrere Stunden nachdem das Mittel verabreicht wurde zeigt die Pflanze wieder ihr typisches Verhalten.

Narkotisierte Venusfliegenfalle

Die Studie, die die Wissenschaftler rund um Ken Yokawa im Fachmagazin Annals of Botany veröffentlicht haben, beschreibt ähnliches Verhalten auch bei der Venusfliegenfalle. Die wohl bekannteste fleischfressende Pflanze Dionaea muscipula reagiert narkotisiert ebenfalls nicht auf Reize. Die sonst empfindlichen Fangblätter bleiben komplett geöffnet, auch dann, wenn die Wissenschaftler die Fühlborsten gezielt reizten.

Normalerweise entsteht durch die Reizung ein elektrisches Signal (Aktionspotenzial). Ähnlich wie bei menschlichen Nerven wird dies unter dem Einfluss eines Narkosemittels jedoch nicht weitergeleitet. Die Gründe dafür sind weitestgehend unbekannt. Die Wissenschaft vermutet derzeit, dass das Anästhetikum die Funktionalität der Doppellipidmembran einschränkt. Durch die Veränderung der Struktur der dort befindlichen Proteine wird die Reizweiterleitung verhindert und die Pflanze kann nicht mehr reagieren. Eventuell könnte derselbe Prozess auch dafür verantwortlich sein, dass Erbsenranken die sich eine Stunde unter einer Glasglocke mit diethyletherhaltiger Luft befinden ihre natürlichen Rotationsbewegungen nicht mehr ausführen.

Wirkung bei Samen ebenfalls vorhanden

Im Verlauf der Experimente untersucht das Bonner Forscherteam auch die Wirkung auf Samen. Dazu wurden Samen der Gartenkresse unter optimalen Bedingungen in luftdicht versiegelten Laborschalen mit flüchtigen Narkosemitteln bedampft. Die Samen von Lepidium sativum konnten ihr Dormanz aufgrund der Narkose nicht abschließen. Nachdem die Wissenschaftler die Narkosemittelzufuhr einstellten, kam es zur Keimung, allerdings mit bis zu 24 Stunden Verzögerung. Außerdem zeigten die Keimblätter keine typisch grünen Blätter, sondern gelbliche. Die Narkose sorgte also für einen Chlorophyllmangel, der durch die beeinträchtige Membranaktivität verursacht wurde. Yokawa vermutet, dass die lamellenartigen Thylakoidmembranen betroffen waren, die sonst das grünen Chlorophyll tragen.

Keine wirkliche Überraschung

Dass die untersuchten Pflanzen auf die aus der Humanmedizin stammenden Anästhetika reagierten, wurde so von den Wissenschaftlern vor den Experimenten vorhergesagt. In Stresssituationen produzieren sie sonst selbst Moleküle wie Ethylen, Ethan, Acetaldehyd oder Ethanol, die Tiere und Menschen betäuben können. Tabakpflanzen können über das abgesonderte Ethylen in der Luft andere Pflanzen in der Nähe wahrnehmen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Schattenvermeidungsreaktion von Nicotiana tabacum.

Trotz der anhaltenden Bemühungen der Wissenschaft gibt es auch heute noch Fragen zur Wirkung von Anästhetika die ungelöst sind. Wenn sich herausstellt, dass die Prozesse sich bei Menschen und Pflanzen gleichen, könnte dies auch für die Humanmedizin relevant sein. Forscher könnten neue Narkosemittel anfangs an Pflanzen ausprobieren, ohne die Gesundheit menschlicher Versuchsobjekte zu riskieren. Außerdem könnte eventuell durch Ergebnisse der Pflanzenforschung die Frage geklärt werden, wieso Menschen unter Narkose schwarz vor Augen wird.

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