Langzeitcheck

Low-Carb wirkt kaum besser als andere Diäten

 Dennis L.

(KI Symbolbild). Kohlenhydrate wegzulassen klingt nach einem klaren Hebel, doch Biologie und Studiendesign machen den Vergleich komplizierter. Entscheidend ist, wie Low-Carb in Studien definiert wird, wie lange Teilnehmer durchhalten und welche Messgrößen am Ende wirklich zählen. Erst dann wird sichtbar, ob ein Konzept mehr liefert als ein kurzfristiger Effekt. )IKnessiW dnu gnuhcsroF(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Kontrollierte Makros treffen auf Energiedefizit im Alltag
  • Blutwerte zeigen LDL und HbA1c unter Beobachtung
  • Adhärenz entscheidet, Kalorien schlagen Kohlenhydrate oft

Low-Carb gilt als Abkürzung zum Abnehmen, doch die belastbare Antwort steckt in Studiendetails. Eine große Auswertung bündelt 61 randomisierte Studien mit mehreren Tausend Teilnehmern und vergleicht Effekte über Monate bis Jahre. Im Zentrum stehen nicht nur Kilogramm auf der Waage, sondern auch Marker wie diastolischer Blutdruck und Blutfette. Entscheidend ist zudem, ob ein Plan als unter 150 g Kohlenhydrate pro Tag umgesetzt wird oder deutlich strenger.

Low-Carb steht im Alltag meist für eine einfache Regel: deutlich weniger Kohlenhydrate, dafür mehr Fett oder mehr Protein, manchmal beides. Biologisch lässt sich damit einiges plausibel begründen, vom schnelleren Verbrauch von Glykogenspeichern über Veränderungen im Insulinsignal bis hin zu Ketonkörpern bei sehr niedriger Kohlenhydratzufuhr. Gleichzeitig ist Low-Carb kein einheitliches Protokoll, sondern eine Sammelkategorie, die von moderater Reduktion bis zu sehr strikten Varianten reicht. In der Praxis verschiebt das nicht nur die Makronährstoffverteilung, sondern oft auch die Lebensmittelauswahl, etwa weniger Getreide und Hülsenfrüchte, dafür mehr tierische Produkte oder fettreiche Milchprodukte. Für die Bewertung zählt deshalb weniger das Etikett als die konkrete Umsetzung, die Energieaufnahme und die Frage, ob Teilnehmer über Wochen und Monate tatsächlich im geplanten Bereich bleiben. Langzeitdebatten werden häufig getrennt von kurzfristigem Gewichtsverlust geführt, etwa bei Low-Carb-Ernährung wo Beobachtungsdaten andere Verzerrungen haben als kontrollierte Interventionen.

Vergleiche scheitern in Ernährungsforschung selten an fehlenden Ideen, sondern an Messproblemen und Verhaltensfaktoren. Eine Diät ist kein Medikament mit fixer Dosis, sondern ein Bündel aus Regeln, Lebensmittellisten, Einkaufsroutinen und sozialem Kontext. Selbst wenn zwei Gruppen formal gleich viel Energie einsparen sollen, kann die tatsächliche Energieaufnahme durch Sättigung, Essensauswahl und Abbruchraten stark auseinanderlaufen. Zudem sind Endpunkte unterschiedlich robust: Körpergewicht in kg lässt sich direkt messen, während Blutmarker von Tagesrhythmus, Medikation und Laborstandardisierung abhängen. Auch die Interpretation ist nicht trivial, weil kurzfristige Wasserverluste, Trainingseffekte oder Änderungen der Natriumzufuhr die Kurven verschieben können, ohne dass Fettmasse in gleichem Maße verändert wird. Entscheidend ist daher, ob Studien randomisiert sind, ob Ausfälle transparent berichtet werden und ob die Auswertung die Unsicherheit sauber abbildet, statt aus kleinen Differenzen große Versprechen abzuleiten.

Low-Carb im Studiensetting, Definitionen und Vergleich

In kontrollierten Vergleichen wird Low-Carb häufig über Gramm pro Tag oder über den Anteil an der täglichen Energiezufuhr definiert. Eine breit genutzte Einteilung setzt Low-Carb über 50 g bis 150 g Kohlenhydrate pro Tag oder unter 45 Prozent der gesamten Energie an, während sehr strikte Varianten bei höchstens 50 g pro Tag oder unter 10 Prozent der Energie liegen. Als Gegenstück dienen kohlenhydratbalancierte Diäten, die sich typischerweise im Bereich von 45 bis 65 Prozent der Energie aus Kohlenhydraten bewegen und die übrigen Makros moderat verteilen. Methodisch entscheidend ist, ob beide Gruppen eine ähnliche Energieaufnahme anstreben, denn dann wird vor allem die Makronährstoffverteilung getestet, nicht die Frage, ob weniger Energie zu Gewichtsverlust führt. Ebenso wichtig ist die Studiendauer: Nach wenigen Wochen dominieren häufig schnelle, nicht nur fettbasierte Gewichtsänderungen, während über ein Jahr vor allem Adhärenz, Alltagstauglichkeit und Ausfallraten bestimmen, wie stabil Effekte bleiben.

61 randomisierte Studien im Überblick

Eine aktuelle Evidenzsynthese hat genau diesen Vergleich in großer Breite zusammengezogen: In einem Cochrane Review 2022 Volltext wurden 61 parallel angelegte randomisierte Studien mit insgesamt 6.925 Teilnehmern ausgewertet, die über mindestens drei Monate angelegte Gewichtsreduktionsphasen testeten. Die Spannweite der Studiendauern reichte meist bis maximal sechs Monate, einzelne Versuche liefen bis zu zwei Jahre, und die mittlere Ausgangsmasse lag über Studien hinweg bei etwa 95 kg. Der Review trennte systematisch zwischen Teilnehmern mit und ohne Typ-2-Diabetes und betrachtete kurzzeitige Verläufe ab drei Monaten sowie Langzeitdaten ab mindestens zwölf Monaten. Zusätzlich bewertete die Auswertung die Evidenzsicherheit, wobei die Zuverlässigkeit durch methodische Schwächen wie fehlende Ergebnisberichte und Ausfälle in mehreren Studien gedrückt wurde. Damit liefert die Meta-Analyse keine Momentaufnahme einzelner Diättrends, sondern eine strukturierte Zusammenführung dessen, was unter kontrollierten Bedingungen tatsächlich messbar war.

Für die Interpretation ist zentral, dass die Unterschiede nicht nur als Mittelwerte berichtet werden, sondern als Effektschätzungen mit Unsicherheitsbereichen. Für Teilnehmer ohne Typ-2-Diabetes lag der mittlere Vorteil von Low-Carb in der Größenordnung von 1,07 kg über etwa drei bis 8,5 Monate, mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,55 kg bis 0,59 kg und einer Heterogenität von I² 51 Prozent. Über ein bis zwei Jahre schrumpfte die Schätzung auf 0,93 kg, wobei das 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,81 kg bis 0,04 kg reichte und damit nahe an der Nulllinie lag. Bei Typ-2-Diabetes zeigte sich kurzfristig ein ähnlicher Bereich um 1,26 kg, langfristig jedoch eine deutlich unsichere und kleine Differenz um 0,33 kg, weil die Streuung und die Breite der Konfidenzintervalle stark zunahmen. Das Muster ist damit weniger ein klarer Sieg einer Makrostrategie, sondern ein Hinweis auf begrenzte, teils kurzlebige Unterschiede im Mittel.

Welche Endpunkte die Daten entscheiden

Gewicht ist in Diätstudien der prominenteste Endpunkt, aber nicht der einzige, der für Gesundheit und Risikoabschätzungen relevant ist. In vielen Programmen werden deshalb zusätzlich Blutdruck und Laborwerte erfasst, die kardiometabolische Risiken abbilden. In den zusammengefassten Daten wurde unter anderem der diastolischer Blutdruck als Risikomarker ausgewertet, ebenso LDL-Cholesterin als zentraler Lipidparameter und glykosyliertes Hämoglobin als Integrator der mittleren Glukosebelastung über Wochen. Gerade hier zeigt sich, warum der Unterschied zwischen Konzept und messbarem Effekt wichtig ist: Selbst wenn Low-Carb theoretisch über Insulin und Triglyzeridstoffwechsel wirken kann, muss sich das im Vergleich zu kohlenhydratbalancierte Diäten auch gegen reale Ernährungsmuster, Medikation und individuelle Baselineprofile durchsetzen. In den Langzeitvergleichen ergaben sich für mehrere dieser Marker Schätzungen, die nahe an Null lagen, was für viele Interpretationen wichtiger ist als ein kleiner Mittelwertunterschied beim Gewicht.

  • Veränderung der Körpermasse in kg nach drei bis zwölf Monaten
  • Anteil der Teilnehmer mit mindestens 5 Prozent Gewichtsverlust
  • Veränderung des diastolischer Blutdruck in mmHg über ein bis zwei Jahre
  • Veränderung von LDL-Cholesterin in mmol pro Liter über ein bis zwei Jahre
  • Veränderung von glykosyliertes Hämoglobin in Prozentpunkten bei Typ-2-Diabetes
  • Abbruchraten als indirektes Maß für Adhärenz und Alltagstauglichkeit
  • Meldungen unerwünschter Effekte, sofern Studien sie systematisch erfassten

In den Langzeitdaten der zusammengeführten Studien zeigte sich für Teilnehmer ohne Typ-2-Diabetes beim diastolischer Blutdruck ein mittlerer Unterschied von minus 0,09 mmHg mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von minus 1,29 mmHg bis plus 1,12 mmHg, also praktisch kein konsistenter Vorteil. Für LDL-Cholesterin lag die mittlere Differenz um plus 0,04 mmol pro Liter mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von minus 0,05 bis plus 0,12 mmol pro Liter, ebenfalls nahe Null. Bei Typ-2-Diabetes ergab sich für glykosyliertes Hämoglobin in der Langzeitbetrachtung eine Schätzung von minus 0,14 Prozentpunkten, mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von minus 0,38 bis plus 0,10 Prozentpunkten. Solche Bereiche bedeuten nicht, dass nichts passiert, sondern dass im Vergleich der beiden Diätklassen kein stabiler, klinisch klarer Abstand sichtbar wird, während die Streuung zwischen Studien und die Unsicherheit der Daten eine große Rolle spielen.

Was die Effekte bedeuten: Mechanismen und Grenzen

Wenn Unterschiede klein bleiben, rückt die Frage nach dem Mechanismus in ein anderes Licht: Nicht jede plausible Stoffwechselhypothese übersetzt sich in einen robusten Vorteil im Alltag, vor allem wenn beide Gruppen ihre Energieaufnahme senken. Viele Low-Carb-Protokolle führen indirekt zu einer niedrigeren Energieaufnahme durch reduzierte Auswahl stark energiedichter Lebensmittel, andere setzen explizite Energievorgaben, die sich kaum vom Vergleichsarm unterscheiden. Dann ist der getestete Hebel nicht Energie, sondern Makroverteilung, und dort sind Effekte oft kleiner als die Varianz zwischen Menschen. Hinzu kommt, dass Ernährungsstudien besonders anfällig für Verzerrungen sind, wenn Teilnehmer aussteigen oder wenn Ergebnisse selektiv berichtet werden. Die Evidenzbewertung des Reviews stuft mehrere Endpunkte deshalb nur als moderat oder niedriger ein, was signalisiert, dass spätere, besser durchgeführte Studien Schätzungen verschieben können. Historisch wurden ähnliche Fragen bereits früher mit anderen Einschlusskriterien geprüft, etwa in der PLOS ONE Meta-Analyse 2014 wobei auch dort die Trennlinie zwischen kurzfristiger Differenz und langfristiger Angleichung ein zentrales Thema war.

Für die praktische Deutung bedeutet das: Ein geringer mittlerer Unterschied von unter 1 kg über ein bis zwei Jahre ist im Vergleich zur Bandbreite, die einzelne Studien berichten, klein. In den zusammengeführten Daten reichte der durchschnittliche Gewichtsverlust je nach Studie von unter 1 kg bis etwa 12 kg, was zeigt, wie stark Setting, Betreuung, Ausgangsgewicht, Energieaufnahme und Adhärenz die Resultate treiben. Gleichzeitig sind Blutmarker wie LDL-Cholesterin oder glykosyliertes Hämoglobin keine reinen Diätstempel, sondern reagieren auf viele Faktoren, darunter Gewichtsänderung, Medikamentenanpassungen, Schlaf, Bewegung und die konkrete Lebensmittelauswahl innerhalb einer Makroquote. Eine Low-Carb-Ernährung, die hauptsächlich auf unverarbeiteten Lebensmitteln basiert, kann deshalb sehr anders wirken als ein Ansatz, der nur Kohlenhydrate ersetzt, aber ansonsten ultraverarbeitete Produkte nutzt. Genau hier liegt die Grenze reiner Makroetiketten: Zwei Diäten können formal gleich heißen und biologisch sehr unterschiedlich sein, was in Meta-Analysen als Streuung und Unsicherheit sichtbar wird.

Cochrane Database of Systematic Reviews, Low-carbohydrate versus balanced-carbohydrate diets for reducing weight and cardiovascular risk; doi:10.1002/14651858.CD013334.pub2

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