Dennis L.
Bei schweren Hirnverletzungen gilt fehlende Reaktion oft als Zeichen tiefer Bewusstlosigkeit. Neue Protokolle kombinieren fMRT und EEG, um die Verarbeitung einfacher Sprachkommandos messbar zu machen. Entscheidend sind wiederholte Aufgabenblöcke von 15 bis 30 Sekunden und robuste Vergleichsmuster aus Kontrollgruppen. Die Daten verschieben die Frage, wie verlässlich eine klinische Einschätzung im Koma wirklich ist.
Wenn ein Mensch im Koma liegt, bleibt der Kontakt zur Umwelt oft aus: keine gezielte Blickfixation, keine verständliche Sprache, keine verlässliche Bewegung auf Aufforderung. Klinisch beschreibt Koma zunächst einen Zustand stark eingeschränkter Wachheit und Reaktionsfähigkeit, typischerweise nach schwerer Hirnverletzung, Schlaganfall, Sauerstoffmangel oder Vergiftung. Entscheidend ist, dass fehlende Bewegung nicht automatisch fehlende Informationsverarbeitung bedeutet. Zwischen tiefer Bewusstlosigkeit, Sedierung, Lähmung, Hörverlust, Aphasie oder wechselnder Aufmerksamkeit liegen große diagnostische Grauzonen. Für Ärzte zählt deshalb nicht nur, ob ein Patient reagiert, sondern wie stabil und reproduzierbar ein Signal über Zeit entsteht. Gerade in den ersten Tagen und Wochen können Kreislauf, Medikamente und Hirnschwellung die Beobachtung verzerren und ein Patient kann zwischen scheinbar reglos und kurzzeitig ansprechbar schwanken. Hinzu kommt, dass verschiedene Zustände ähnlich aussehen können, obwohl sie neurobiologisch unterschiedlich sind.
Die moderne Medizin versucht, diese Unsicherheit mit standardisierten Skalen zu reduzieren, doch auch strukturiertes Testen hängt an sichtbaren Ausgängen wie Blick, Gestik oder Lauten. Bei Patienten, die kognitiv verstehen, aber motorisch nicht umsetzen können, entsteht eine kognitive motorische Dissoziation. Dann wirkt ein Patient unansprechbar, obwohl er intern Aufgaben verarbeitet. Solche Fälle sind für Prognose, Schmerztherapie und Rehabilitationsplanung relevant, weil Entscheidungen häufig unter Zeitdruck fallen. Genau hier setzt die Idee an, über Hirnaktivität statt über Bewegung nach Zeichen von Bewusstsein zu suchen, ohne dass der Patient sprechen oder die Hand heben muss. Technisch rücken dabei Hirnscans in den Fokus, die Reaktionen auf einfache Sprachkommandos objektivieren sollen. Damit wird Diagnostik zu einer Messfrage, nicht nur zu einer Beobachtungsfrage.
Im klinischen Alltag wird Koma oft als Sammelbegriff verwendet, doch die Diagnosen unterscheiden sich nach Wachheit und nach Inhalt des Erlebens. Im klassischen Koma fehlen sowohl Wachheit als auch zielgerichtete Reaktionen, meist sind Augen geschlossen und Schlaf Wach Rhythmen noch nicht aufgebaut. Beim Wachkoma, häufig auch als vegetativer Zustand bezeichnet, sind die Augen zeitweise geöffnet, es gibt Zyklen von Ruhe und Aktivität, aber keine konsistenten Zeichen eines bewussten Kontakts. Dazwischen liegt der minimal bewusste Zustand, in dem einzelne Reaktionen auftreten können, jedoch unregelmäßig und schwer zu reproduzieren. Diese Grenzbereiche sind anfällig für Fehlklassifikationen, weil kleine Bewegungen, Spastik oder Reflexe leicht überinterpretiert werden, während echte, aber seltene Willkürzeichen übersehen werden können. Zusätzlich schwankt die Vigilanz über Minuten und Stunden, und eine einzelne Untersuchung kann deshalb ein verzerrtes Bild liefern.
Standardisierte Tests wie die Coma Recovery Scale Revised, oft CRS-R genannt, sollen die Beobachtung objektivieren, indem sie definierte Reize setzen und Antworten nach festen Kriterien bewerten. Trotzdem bleibt ein strukturelles Problem: Der Test misst Verhalten, nicht direkt die Verarbeitung im Gehirn. Wenn ein Patient versteht, aber keine motorische Ausgabe liefern kann, wird er in einem rein verhaltensbasierten Schema zwangsläufig unterschätzt. Dass solche Diskrepanzen möglich sind, zeigen auch ältere Befunde, bei denen ein Wachkoma im Hirnscan Reaktionsmuster erzeugen kann, die eher an gesunde Verarbeitung erinnern. Klinisch bedeutet das nicht automatisch, dass Kommunikation gelingt, aber es verschiebt die Frage von ja oder nein hin zu wie viel, wie stabil und unter welchen Bedingungen.
Ein Hirnscan kann zwei sehr unterschiedliche Signale messen. Die funktionelle Magnetresonanztomografie fMRT nutzt starke Magnetfelder im Bereich mehrerer Tesla und erfasst indirekt Änderungen der Sauerstoffbindung im Blut, die sich innerhalb von Sekunden an aktive Nervennetze koppeln. Das Verfahren ist räumlich präzise, aber zeitlich träge, weshalb Aufgaben meist in Blöcken von einigen Dutzend Sekunden präsentiert werden. Die Elektroenzephalografie EEG misst elektrische Spannungsänderungen an der Kopfoberfläche mit einer Zeitauflösung im Millisekundenbereich und kann so schnelle Verarbeitungsschritte sichtbar machen, liefert aber weniger eindeutige Ortsinformation. Beide Methoden lassen sich als Kommando Test nutzen: Der Patient hört eine klare Instruktion, soll sie mental ausführen und danach wieder stoppen, während Algorithmen prüfen, ob die erwarteten Muster wiederholt auftreten. So entsteht ein Kommunikationsprinzip, das ohne Blickkontakt, Sprache oder Muskelkraft auskommt.
Wichtig ist die Statistik hinter dem scheinbar einfachen Ablauf. Einzelne Aktivierungskarten können zufällig entstehen, deshalb verlangen Protokolle eine wiederholte, über Minuten anhaltende Übereinstimmung zwischen Aufgabe und Signal. Bei der fMRT wird geprüft, ob die zeitliche Kurve der BOLD Antwort mit dem Aufgabendesign korreliert, beim EEG wird nach spezifischen Frequenz und Musterwechseln gesucht, die mit der Instruktion synchron laufen. Seriöse Auswertungen legen Schwellenwerte vorab fest und berichten Unsicherheiten, etwa über Konfidenzintervalle. Ebenso wichtig ist die Frage nach Fehlklassifikationen: Ein fehlendes Signal kann fehlende Verarbeitung bedeuten, aber auch schlechten Schlaf, zu hohe Sedierung oder technische Störungen. Darum gilt in der Praxis oft, dass wiederholte Messungen über Tage aussagekräftiger sind als ein Einzeltest. Wenn beide Verfahren gleichzeitig eingesetzt werden, lässt sich zusätzlich prüfen, ob zwei unabhängige Sensoren zu einem konsistenten Urteil kommen.
Wie groß die Lücke zwischen äußerer Regungslosigkeit und innerer Verarbeitung sein kann, hat eine große multizentrische Kohorte systematisch geprüft. In der Studie Cognitive Motor Dissociation in Disorders of Consciousness wurden Daten von 353 Erwachsenen mit Bewusstseinsstörungen gesammelt und mit der Coma Recovery Scale Revised zeitnah am Untersuchungstag klassifiziert. Entscheidend war der Vergleich zweier Gruppen: 241 Teilnehmer ohne beobachtbare Reaktion auf verbale Kommandos und 112 Teilnehmer mit sichtbarer Reaktion. Je nach Zentrum lagen fMRT Daten, EEG Daten oder beides vor, sodass sich die Befunde über verschiedene Messprinzipien prüfen ließen. Bei den nicht reagierenden Patienten fand sich bei 60 Personen eine kognitive motorische Dissoziation, also ein reproduzierbares Kommando Signal trotz fehlender Bewegung. Das entspricht etwa einem Viertel der Gruppe und zeigt, dass Koma Kategorien im Alltag nicht immer trennscharf sind.
Die Studie macht auch die Grenzen solcher Biomarker sichtbar. Selbst bei Patienten, die am Bett klar auf Kommandos reagieren, zeigte sich in den Messungen nicht durchgehend ein passendes Signal: In der Gruppe mit beobachtbarer Reaktion traten taskbasierte Antworten nur bei 43 von 112 Personen auf. Das deutet auf hohe Fehlraten in beide Richtungen hin, je nachdem, ob Sedierung, Müdigkeit, Artefakte oder methodische Schwellenwerte ein Muster verschieben. Die Übereinstimmung zwischen Verhaltensdiagnose und Hirnantwort lag entsprechend im niedrigen Bereich, Kappa Werte um 0,1 sprechen für geringe Konkordanz. Gleichzeitig zeigten Assoziationsanalysen, dass kognitive motorische Dissoziation häufiger bei jüngeren Patienten, bei längerer Zeit seit der Verletzung und nach traumatischer Hirnschädigung beobachtet wurde. Für die einzelne Person bleibt dennoch offen, wie stabil ein Signal über Tage ist und ob es sich zu einer verlässlichen Kommunikation ausbauen lässt.
Für die Bewusstseinsdiagnostik ergeben sich daraus zwei unmittelbare Konsequenzen. Erstens sollte ein fehlendes Bewegungszeichen nicht automatisch als fehlendes Verstehen interpretiert werden, wenn klinischer Kontext und Bildgebung widersprüchlich wirken. Zweitens braucht es klare Standards, wann und wie häufig fMRT oder EEG eingesetzt werden, damit Ergebnisse zwischen Kliniken vergleichbar sind. Eine klinisch orientierte Einordnung liefert der Mass General Brigham Bericht zu unresponsiven Patienten und beschreibt, warum wiederholte Tests und multimodale Daten entscheidend sind. Praktisch bedeutet das, dass Teams vor einer folgenreichen Prognoseentscheidung eher mehrere Messzeitpunkte ansetzen, Sedierung kritisch prüfen und die Ergebnisse gemeinsam mit Reha und Ethikstrukturen interpretieren. Technisch wird ebenfalls sichtbar, dass ein zuverlässiger Kommunikationskanal nur entsteht, wenn Signal und Instruktion in mehreren Durchgängen stabil gekoppelt sind.
In der Versorgung kann ein positives Signal helfen, Ziele realistischer zu setzen, ohne falsche Sicherheit zu erzeugen. Es kann begründen, warum Schmerzerfassung, Hörtests oder rehabilitative Stimulation nicht als zweitrangig behandelt werden sollten, auch wenn der Patient äußerlich still bleibt. Umgekehrt schützt ein negatives Ergebnis nicht vor Fehlschlüssen, weil Wachheit schwankt und Messbedingungen variieren. Deshalb diskutieren viele Gruppen, ob einfachere Verfahren wie EEG häufiger am Bett eingesetzt werden könnten, während fMRT als präziser, aber aufwendiger Referenztest dient. Langfristig geht es darum, Biomarker nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zur klinischen Beobachtung zu etablieren, damit Entscheidungen im Koma auf mehreren unabhängigen Informationsquellen beruhen. Erst wenn Protokolle standardisiert sind, lassen sich auch Therapieeffekte in kontrollierten Studien sauber messen.
New England Journal of Medicine, Cognitive Motor Dissociation in Disorders of Consciousness; doi:10.1056/NEJMoa2400645