Denkleistung

Geistige Geschwindigkeit bleibt bis zum 60. Lebensjahr hoch

Robert Klatt

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Die geistige Geschwindigkeit nimmt beim Menschen erst ab etwa 60 Jahren ab. Ältere Menschen haben jedoch eine höhere Vorsicht bei der Entscheidungsfindung und scheinen dadurch langsamer zu denken.

Heidelberg (Deutschland). Die Annahme, dass ältere Menschen langsamer denken als jüngere, ist weit verbreitet. Auch die Wissenschaft hat dies bereits anhand unterschiedlicher Studien belegt. Diese basierten meist darauf, wie schnell die Probanden auf simple Entscheidungsaufgaben antworten. Im Mittel haben Menschen Anfang 20 in diesen Tests am besten abgeschnitten. Im Alter nahm die Reaktionszeit kontinuierlich ab.

„Doch die mittlere Reaktionszeit ist kein direkter Messwert für die mentale Geschwindigkeit, sondern stellt die Summe unterschiedlicher kognitiver Prozesse dar. Zur mittleren Reaktionszeit tragen außerdem unterschiedliche Kompromisse zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit bei, die sogenannte Reaktionsvorsicht sowie die Zeit, die für die Kodierung der motorischen Prozesse benötigt wird. Beide Faktoren beeinflussen die Reaktionszeit, obwohl sie nicht mit der mentalen Geschwindigkeit in Verbindung stehen“, erklärt Mischa von Krause von der Universität Heidelberg.

Geschwindigkeit und Genauigkeit beim Denken

Studien, die die für die Reaktionsvorsicht verantwortlichen Prozesse getrennt untersucht haben, kamen hingegen zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede zwischen jungen und alten Menschen beim Denktempo deutlich kleiner sind als überwiegend angenommen wird. Diese Aussagekraft dieser Studien ist jedoch nur gering, weil nur wenige Probanden an ihnen teilnahmen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Auswertung der Daten eine so hohe Rechenleistung benötigt, dass die statistischen Modelle herkömmliche Computer schnell überfordern.

Künstliche Intelligenz zur Datenanalyse

Die Wissenschaftler der Universität Heidelberg haben laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Human Behaviour deshalb eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die mit einem Deep-Learning-Ansatz auch von Millionen von Probanden die benötigten Daten auswerten kann. Anschließend analysierten die Wissenschaftler um von Krause mithilfe der KI einen entsprechend großen Datensatz, der eigentlich erfasst wurde, um implizit rassistische Assoziationen zu untersuchen. Probanden mussten bei diesen Tests Begriffe wie „Hass“, „Versagen“, „Glück“ und „Freude“ sowie Gesichter in die Kategorien Gut oder Schlecht unterteilen.

Reaktionszeit der Antworten

Die aktuelle Studie untersuchte jedoch nicht die unbewussten Vorurteile der Probanden, sondern betrachtete lediglich deren Reaktionszeit. Insgesamt analysierten die Wissenschaftler Daten von knapp 1,2 Millionen Menschen zwischen zehn und 80 Jahren. Die Reaktionsvorsicht ermittelten sie anhand des Verhältnisses aus richtigen und falschen Antworten und der Reaktionszeit.

Sie konnten so ermitteln, dass die Reaktionszeiten bei Menschen mit Anfang 20 tatsächlich am kürzesten und dann mit zunehmendem Alter ansteigt. „Aber diese Verlangsamung war eher auf eine zunehmende Vorsicht bei der Entscheidungsfindung und auf langsamere Nicht-Entscheidungsprozesse zurückzuführen als auf Unterschiede in der geistigen Geschwindigkeit. Eine Verlangsamung der geistigen Geschwindigkeit wurde erst ab einem Alter von etwa 60 Jahren beobachtet“, so die Autoren. Die kognitiven Prozesse des Menschen verlangsamen sich also deutlich später im Leben, als es bisherige Studien gezeigt haben.

Geistige Geschwindigkeit nimmt zu

Im Gegensatz zu vorherigen Studien zeigt das aktuelle Ergebnis sogar, dass die  geistige Geschwindigkeit bis etwa zum 30. Lebensjahr zunimmt und dann während des Erwachsenenlebens stabil bleibt. Dies trifft auf Frauen und Männern, unabhängig vom Bildungsniveau zu. Die Vorsicht bei der Entscheidungsfindung steigt hingegen schon ab etwa 20 Jahren deutlich an.

„Für große Teile der menschlichen Lebensspanne und typische Berufskarrieren stellen unsere Ergebnisse also die weit verbreitete Vorstellung einer altersbedingten Verlangsamung der geistigen Geschwindigkeit in Frage. Unsere Analyse deutet darauf hin, dass der Rückgang viel später im Leben einsetzt, als bisher angenommen wurde“, konstatieren die Forscher.

Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-021-01282-7

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