Dennis L.
Riesige Teppiche treibender Braunalgen haben den tropischer Atlantik in den vergangenen Jahren mehrfach mit bis zu 38 Millionen Tonnen Biomasse überzogen und Küstenregionen der Karibik massiv belastet. Neue Analysen von Korallenisotopen, Strömungsdaten und Satellitenbeobachtungen legen nun nahe, dass nicht Flussdünger oder Saharastaub, sondern ein gezielter Phosphor-Auftrieb entlang des Äquators den entscheidenden Impuls für die Sargassumblüte liefert. Entscheidend ist dabei eine enge Cyanobakterien-Symbiose auf den Algen, die gasförmigen Stickstoff in verwertbare Nährstoffe verwandelt. Die Studie eröffnet einen Blick auf den Nährstoffkreislauf Ozean über mindestens 120 Jahre und verknüpft ihn mit großräumigen Klimaschwankungen. Gleichzeitig bleibt offen, wie sich dieser Mechanismus unter weiterer Erwärmung der Meere verändern wird.
Braunalgen umfassen eine vielfältige Gruppe mehrzelliger Meeresalgen, die in küstennahen Wäldern wie auch als frei treibende Matten große Mengen Kohlenstoff und Nährstoffe binden. Im tropischer Atlantik hat sich seit 2011 ein zusammenhängendes Band pelagischer Golftange etabliert, das als Great Atlantic Sargassum Belt bezeichnet wird und saisonal über mehrere tausend Kilometer Länge reicht. Solche Algenteppiche bieten zwar Lebensraum für Fische, Schildkröten und wirbellose Tiere, erzeugen beim massenhaften Anlanden an Stränden jedoch erhebliche ökologische und ökonomische Belastungen. Beim Zerfall fallen im Extremfall mehrere Kilogramm organische Biomasse pro Quadratmeter Strand an, setzen Schwefelwasserstoff frei und entziehen dem Küstenwasser Sauerstoff. Parallel wächst das wissenschaftliche Interesse an Algen im Allgemeinen, von ressourcensparenden Nahrungsinnovationen bis zu technischen Nutzungskonzepten, wie sie in der Algen-Themenübersicht bereits in unterschiedlichen Kontexten beschrieben sind.
Lange galt die Vermutung, dass vor allem Nährstoffeinträge aus großen Flusssystemen und landbasierte Überdüngung die Sargassumblüte speisen. Für Braunalgen, die im offenen Ozean treiben, sind jedoch nicht nur die Gesamtmenge an Nährstoffen, sondern deren stöchiometrische Verhältnisse entscheidend. Wachstum wird vor allem durch die Verfügbarkeit von Stickstoff und Phosphor bestimmt, die im offenen Atlantik typischerweise in einem Verhältnis nahe der Redfield-Relation von 16 zu 1 auftreten. Schon kleine Abweichungen von diesem Verhältnis, etwa ein Phosphorüberschuss im Vergleich zu fixiertem Stickstoff, können Arten bevorzugen, die über spezielle Anpassungen verfügen. Dazu gehören mutualistische Partnerschaften mit Mikroorganismen, die gasförmigen Stickstoff aus der Luft aufnehmen und in Ammonium umwandeln, sowie Strategien der Algen, die in Geweben höhere Stickstoffkonzentrationen speichern als frei im Wasser gelöst sind.
Die heute beobachtete Sargassumblüte unterscheidet sich deutlich von den natürlichen Algenteppichen der Sargassosee, die schon seit Jahrhunderten bekannt sind. Seit 2011 wird mit Fernerkundungsdaten eine nahezu jährlich wiederkehrende Hochphase der Biomasse im tropischer Atlantik dokumentiert, in der einzelne Jahre Spitzenwerte erreichen. In massereichen Jahren wie 2015, 2018, 2021 oder 2022 registrieren Satelliten mehrere zehntausend Quadratkilometer hoher Sargassumdichte, die in Summe auf rund 30 bis 40 Millionen Tonnen Trockengewicht geschätzt werden. Solche Großereignisse führen in Küstenregionen der Karibik und am Golf von Mexiko zu Abräumarbeiten im Umfang von mehreren Hundert Kilogramm Braunalgen pro laufendem Strandmeter. Während die Algen auf hoher See als Lebensraum fungieren, kippt das System an der Küste rasch in einen Stresszustand, in dem Sauerstoffmangel, veränderte Lichtbedingungen und Schwefelwasserstoff die Riffe und Seegraswiesen unter den Teppichen schädigen.
Auffällig ist, dass diese extremen Ereignisse erst seit gut einem Jahrzehnt systematisch auftreten, obwohl Braunalgen wie Sargassum schon lange Teil der Ozeanflora sind. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass die räumliche Verteilung der Algenteppiche eng mit Oberflächenströmungen, der Position der innertropischen Konvergenzzone und Temperaturmustern im Atlantik verknüpft ist. In Jahren, in denen westliche Winde im Nordatlantik besonders stark sind, gelangt Sargassum aus der Sargassosee in Regionen mit intensiveren Auftriebsprozessen und veränderter Nährstoffversorgung. Die Algenteppiche laufen dadurch nicht nur größere Distanzen entlang des Äquators ab, sondern verbringen auch mehr Zeit in Zonen, in denen ein Phosphorüberschuss entsteht. Gerade diese Kombination aus Transport, Nährstoffangebot und Licht steuert, ob die Sargassumblüte moderat bleibt oder in eine außergewöhnliche Massenentwicklung umschlägt.
Um den zugrunde liegenden Mechanismus zu quantifizieren, haben Forscher Bohrkerne aus massiven Riffkorallen im gesamten karibischen Raum untersucht und deren Korallenisotope ausgewertet. Korallen wachsen jährlich einige Millimeter bis Zentimeter und lagern dabei organisch gebundenen Stickstoff in ihr Kalkskelett ein. Wird das Verhältnis der stabilen Stickstoffisotope in diesen Schichten bestimmt, lassen sich Änderungen im Stickstoffkreislauf über mehr als 120 Jahre rekonstruieren. Für die aktuelle Studie wurden Kerne von mehreren Standorten zwischen etwa 9 und 32 Grad nördlicher Breite analysiert und die Zeitreihen mit hoher zeitlicher Auflösung von Monaten bis Jahren ausgewertet. Parallel dazu wurden während moderner Ozeanexpeditionen Wasserproben in Tiefen von rund 200 Metern gewonnen, um die dort herrschenden Nährstoffverhältnisse zu charakterisieren und die geochemischen Signaturen der Korallen mit heutigen Bedingungen zu verknüpfen.
Die Korallenisotope zeigen deutliche Schwankungen im δ¹⁵N-Wert des gebundenen Stickstoffs, die sich mit Phasen erhöhter oder verringerter Stickstofffixierung im westlichen tropischer Atlantik in Verbindung bringen lassen. Wenn Mikroorganismen atmosphärischen Stickstoff aufnehmen, senkt dies typischerweise den mittleren δ¹⁵N-Wert des gelösten Stickstoffpools, was sich mit etwas Verzögerung im Skelett der Korallen abbildet. Die Forscher kombinierten mehrere solcher Zeitreihen zu einer Masterkurve, die die regionale Intensität der Stickstofffixierung über das 20. und frühe 21. Jahrhundert beschreibt. Überlagert wurde diese Kurve mit unabhängigen Rekonstruktionen der Sargassum-Biomasse aus Satellitendaten und mit Indizes großräumiger Klimamuster. Dadurch ließ sich prüfen, ob auffällige Maxima im Algenvorkommen mit Phasen verstärkter Stickstofffixierung und veränderter Nährstoffverhältnisse im Ozean zusammenfallen.
Eine aktuelle Studie zu Sargassumblüten im Atlantik zeigt, dass die stärksten Abweichungen in den Korallenisotopen seit 2011 eng mit den Jahren korrelieren, in denen die Sargassumblüte Rekordwerte erreichte. In den Jahren 2015 und 2018 etwa fällt ein deutlicher Rückgang der δ¹⁵N-Werte in den Korallen mit einer kräftigen Zunahme der Algenteppiche zusammen, was auf besonders intensive Stickstofffixierung schließen lässt. Vor 2011 sind derartige Muster weniger ausgeprägt, was die Hypothese stützt, dass die jüngsten Ereignisse Ausdruck eines neu etablierten Nährstoffregimes sind. Auf diese Weise liefern Korallenkerne eine integrierte Sicht auf den großräumigen Stickstoffhaushalt der Region, die sich nicht allein aus punktuellen Wasserproben oder kurzfristigen Messkampagnen ableiten lässt.
Die geochemischen Signaturen in Korallen und Tiefenwasser deuten darauf hin, dass ein gezielter Phosphor-Auftrieb im äquatorialen Atlantik den entscheidenden Anstoß zur Intensivierung der Stickstofffixierung liefert. Wenn Winde Oberflächenwasser entlang des Äquators wegschieben, strömt aus Tiefen um etwa 100 bis 200 Meter phosphorreiches Wasser nach oben, in dem das Verhältnis von Phosphor zu Nitrat im Vergleich zur Redfield-Relation erhöht ist. Dieses Wasser mit positivem P* wird von Strömungen in den tropischer Atlantik und weiter in karibische Becken transportiert. Dort trifft es auf Sargassumteppiche, die bereits als schwimmende Plattformen für verschiedene Mikroorganismen dienen. Die Cyanobakterien-Symbiose auf der Oberfläche der Braunalgen nutzt den zusätzlichen Phosphor, um die Energieversorgung für Enzyme der Stickstofffixierung zu sichern, die molekularen Stickstoff der Luft in Ammonium umwandeln.
Damit verschiebt sich das Nährstoffangebot zugunsten der Algen, ohne dass von außen große Mengen gelösten Stickstoffs zugeführt werden müssen. Die Kombination aus Phosphor-Auftrieb und Cyanobakterien-Symbiose erzeugt lokal hohe Stickstoffkonzentrationen in unmittelbarer Umgebung der Braunalgen, was deren Wachstum gegenüber anderen Planktonorganismen beschleunigt. Die resultierende Sargassumblüte ist damit weniger ein direktes Produkt von Düngerzuflüssen aus Flüssen, sondern Ausdruck einer komplexen Rückkopplung im Nährstoffkreislauf Ozean. Während Braunalgen neue Biomasse bilden, speichern sie nicht nur Kohlenstoff, sondern verändern auch die Verteilung von Phosphor und Stickstoff im Oberflächenwasser. Einige dieser Prozesse erinnern an andere Nutzungskonzepte für Meeresalgen, in denen Biomasse gezielt als Ressource angezapft wird, wie es etwa bei der in einem anderen Kontext beschriebenen Gewinnung von Protein aus Meeressalat in dem Beitrag Proteinkonzentrat aus Meeresalgen der Fall ist.
Die Stärke des Phosphor-Auftriebs und die Häufigkeit der Bedingungen, die eine extreme Sargassumblüte begünstigen, hängen eng mit großräumigen Klimamustern zusammen. Analysen zeigen, dass Phasen eines warmen Nordatlantiks im Vergleich zum Südatlantik häufig mit einer Verschiebung der innertropischen Konvergenzzone und veränderten Windmustern einhergehen. Diese Muster beeinflussen, wie intensiv Oberflächenwasser verdrängt wird und wie viel phosphorreiches Tiefenwasser an die Oberfläche gelangt. Gleichzeitig beeinflussen Schwankungen der Meeresoberflächentemperatur tropische Wirbelstürme, Niederschlagsmuster und die Durchmischung der oberen Ozeanschichten, sodass sich mehrere Prozesse überlagern. Dadurch entstehen Jahrzehnte, in denen die Voraussetzungen für eine starke Sargassumblüte deutlich häufiger auftreten als in anderen Zeitabschnitten, obwohl die langfristige Erwärmung nur wenige Grad Celsius beträgt.
Für Vorhersagemodelle bedeutet dies, dass neben kurzfristigen Wetterdaten auch Indizes großräumiger Klimamodi berücksichtigt werden müssen, um abzuschätzen, ob Braunalgen in einer Saison eher moderate oder extreme Biomassen erreichen. Erste Ansätze koppeln dazu Satellitenbeobachtungen der Algenteppiche, globale Ozeanmodelle und historische Korallenarchive mit statistischen Verfahren. Dennoch bleiben Unsicherheiten: Lokale Prozesse wie Küstenauftrieb, kleinräumige Strömungsänderungen oder menschliche Eingriffe in Küstenökosysteme können regional starke Effekte haben, die sich in großskaligen Datensätzen nur schwer auflösen lassen. Zudem ist offen, wie sich die Häufigkeit und Intensität des Phosphor-Auftriebs in einem weiter erwärmten Klima verändern werden. Die aktuelle Diagnose des Mechanismus macht deutlich, welche Stellschrauben überwacht werden sollten, erlaubt aber nur erste Abschätzungen der künftigen Entwicklung.
Nature Geoscience, Equatorial upwelling of phosphorus drives Atlantic N2 fixation and Sargassum blooms; doi:10.1038/s41561-025-01812-2