Unterwasserruine

Forscher entdecken 7.000 Jahre alte Granitmauer im Atlantik

 Dennis L.

(KI Symbolbild). Eine Steinmauer im Atlantik wirkt wie ein Widerspruch zur Naturformung von Küsten. Gerade Linien und wiederkehrende Abstände lenken den Blick sofort auf menschliche Planung. Ob Schutzbau, Fischwehr oder etwas Drittes, erst Messdaten und Proben können den Zweck eingrenzen. )IKnessiW dnu gnuhcsroF(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Geradlinige Steinmauer wirft Fragen zur Küstentechnik auf
  • Laserkarten und LIDAR Bathymetrie machen versunkene Strukturen sichtbar
  • 60 Tauchgänge prüfen, ob Natur oder Mensch gebaut hat

Unter weniger als 10 m Wassertiefe erscheint eine Steinmauer, so geradlinig, als hätte jemand ein Lineal auf den Meeresboden gelegt. Bathymetrie und gezielte Tauchgänge zeigen, dass hier nicht nur eine Kante im Sand liegt, sondern eine organisierte Barriere aus großen Blöcken. Die zeitliche Einordnung führt an das Ende des Mesolithikum, als der Meeresspiegelanstieg ganze Landschaften umformte. Ob Schutzbau, Fischwehr oder etwas Drittes, die Daten zwingen zu neuen Tests und zu unabhängigen Datierungen wie der Lumineszenzdatierung.

Küstenregionen gehören zu den dynamischsten Archiven der Menschheitsgeschichte. Wo heute Brandung und Tiden strömen, lagen in früheren Jahrtausenden feste Böden, flache Lagunen und nutzbare Übergänge zwischen Land und Meer. Genau dort ist die Archäologie jedoch besonders herausgefordert, weil Sedimente wandern, Stürme Spuren verwischen und Salzwasser viele Materialien schneller abbaut als an Land. Um trotzdem Strukturen zu erkennen, arbeiten Forscher mit Fernerkundung, präziser Positionsmessung und physikalischen Modellen, die Strömung, Wellenenergie und Erosion zusammenführen. Treffen diese Daten auf den Meeresboden, entstehen Karten, die wie topografische Pläne wirken, nur dass jede Unebenheit im Wasser verborgen liegt. Wenn in diesem Rauschen aus Rinnen, Rippen und Felsbuckeln plötzlich geometrische Linien oder auffällig regelmäßige Reihen auftauchen, greift ein Grundreflex: Geradheit und Wiederholung gelten als Signatur von Planung. Gerade deshalb sind unter Wasser gefundene Mauern und Walllinien so faszinierend, denn sie stellen die Frage nach Absicht, Technik und Zweck, bevor überhaupt feststeht, ob das Objekt wirklich gebaut wurde.

Viele solcher Hinweise hängen mit dem seit dem Ende der letzten Kaltzeit ansteigenden Meeresspiegel zusammen. Selbst kleine Änderungen von wenigen Metern entscheiden an flachen Küsten darüber, ob ein Areal begehbar bleibt, zeitweise trockenfällt oder dauerhaft überflutet wird. Der Meeresspiegelanstieg verschiebt deshalb nicht nur Küstenlinien, sondern auch die Orte, an denen Menschen Fische fingen, Boote anlandeten oder Rohstoffe sammelten. Besonders spannend sind steinerne Anlagen, weil sie hydrodynamische Prozesse nutzen können, etwa um Wasser in Gezeitenbecken zu lenken. Eine Fachstudie zu Stein-Fischwehren 2018 zeigt, dass solche Konstruktionen über sehr lange Zeiträume angepasst und immer wieder erneuert werden konnten, ohne dass sie an Land als monumentale Bauten sichtbar gewesen wären. Gerade an Orten mit starkem Tidenhub reicht oft eine geringe Höhendifferenz aus, um Strömung zu beschleunigen oder Beute in flachen Kammern zu konzentrieren. Wenn dann eine massive, geradlinige Struktur im Meer auftaucht, liegt ein Verdacht nahe: Hier könnte eine unbekannte Schnittstelle zwischen Landschaft, Meer und frühen Wirtschaftsformen konserviert sein.

Vermessung im Atlantik

Der erste Schritt ist meist die Vermessung, bevor ein Taucher überhaupt ins Wasser geht. Für flache Schelfbereiche werden aus Luft oder Schiffen dichte Punktwolken und Raster erzeugt, die Höhenunterschiede im Dezimeterbereich abbilden können. Bei LIDAR Bathymetrie dringen Laserimpulse durch die Wasseroberfläche, werden am Grund reflektiert und liefern zusammen mit GPS und Trägheitsnavigation ein digitales Geländemodell des Meeresbodens. Solche Modelle, wie sie auch bei LiDAR üblich sind, machen Linien sichtbar, die im trüben Wasser unsichtbar bleiben würden, und erlauben es, natürliche Formen wie Sandwellen, Felsrücken oder Strömungsrinnen von potenziell gesetzten Strukturen zu unterscheiden. Entscheidend ist dabei nicht nur die Form, sondern auch der Kontext: Orientierung zur Küstenlinie, Lage relativ zu Rinnen, und die Frage, ob die Struktur in Bereichen liegt, die bei niedrigem Wasserstand einst trockenfallen konnten. Je geradliniger und kontinuierlicher eine Kante erscheint, desto stärker wächst der Prüfbedarf.

  • Datensätze unterschiedlicher Jahre werden geometrisch exakt überlagert
  • Filter entfernen Wellenrauschen und isolieren stabile Strukturen im Relief
  • Profile quer zur Linie quantifizieren Höhe, Breite und Flankensteigung
  • Geologische Karten prüfen, ob Felsbänke ähnliche Formen erzeugen könnten
  • Strömungsmodelle testen, wie Wasser bei Ebbe und Flut umgelenkt würde
  • Zielpunkte werden als Raster geplant, damit Tauchgänge systematisch abdecken

Auf diese Karten folgt die unangenehme, aber entscheidende Kontrolle vor Ort. Mehrere Dutzend Tauchgänge sind nötig, um zu prüfen, ob eine Linie nur eine optische Kante im Relief ist oder tatsächlich aus gesetzten Blöcken besteht. Vor der Île de Sein bedeutet das Arbeiten im atlantischen Schwell oft kurze Sichtweiten, starke Strömung und ein Zeitfenster, das von Tide und Wetter diktiert wird. Dokumentiert werden Material, Blockgrößen, Lagerung und Kontaktflächen, außerdem Spuren von bewusster Ausrichtung. Erst wenn die Beobachtungen auf dem Meeresboden mit den Messrastern übereinstimmen, kann eine Struktur als anthropogen diskutiert werden. Für das Gebiet Toul ar Fot sind dazu auf der Projektseite Murs de Toul ar Fot Fotos, Lagekarten und Arbeitsberichte zusammengeführt, sodass sich die Datengrundlage über einzelne Expeditionen hinweg vergleichen lässt.

Größe und Geometrie als wissenschaftlicher Stresstest

Die nun beschriebene Steinmauer wirkt deshalb so irritierend, weil sie mehrere Kriterien erfüllt, die selten zusammen auftreten: Sie verläuft rund 120 m geradlinig über eine flache Senke, liegt etwa 9 m unter der Wasseroberfläche und bildet an der Basis eine Barriere von ungefähr 20 m Breite. Auf dem abgeflachten Rücken stehen 62 Monolithen und große Platten in zwei parallelen Reihen, einzelne ragen bis zu 1,7 m über den Mauerkranz hinaus. Die gesamte Struktur erreicht damit eine Höhe von etwa 2 m, was in einem hochenergetischen Küstenraum ohne bewusste Stabilisierung ungewöhnlich lange erhalten bleiben dürfte. Für zufällig zerbrochene Felsbänke sind lineare Kanten zwar möglich, doch die Kombination aus Länge, Breite, wiederkehrender Blockgeometrie und Doppelreihe verlangt eine besonders strenge geologische Gegenprüfung. Das Alter wird derzeit vor allem indirekt eingegrenzt, indem die heutige Tiefe mit rekonstruierten früheren Meeresspiegeln verglichen wird. Diese Abschätzung deutet auf das späte Mesolithikum und damit auf etwa 5800 bis 5300 v Chr, also auf eine Zeit, in der Küstenräume intensiv genutzt wurden, ohne dass vergleichbare Großanlagen häufig belegt sind.

Die spannendste Frage bleibt der Zweck, weil eine gerade Linie im Relief allein noch kein Nutzungsszenario beweist. Diskutiert wird unter anderem eine großskalige Fischwehr, die Strömung und Tide ausnutzt, um Fische bei ablaufendem Wasser in einem Becken zu konzentrieren. Für diese Deutung spricht, dass vergleichbare Fangsysteme an atlantischen Küsten bekannt sind und dass die Steinmauer zusammen mit kleineren Anschlusslinien ein geschlossenes Areal gebildet haben könnte. Ebenso plausibel ist eine Funktion als Schutzbau, der bei Sturmfluten eine flache Zone abschirmt oder Erosion bremst, als der Meeresspiegelanstieg die Küste Schritt für Schritt veränderte. Die Rahmenbedingungen wirken dabei paradox: In den flachen Rinnen westlich der Île de Sein können Strömungen mehrere Meter pro Sekunde erreichen, sodass Bau und Nutzung nur in engen Zeitfenstern möglich gewesen wären. Gerade deshalb wird die Dimension zum Argument, denn eine Gesamtmasse von etwa 3300 t und einzelne Blöcke um 2 t deuten auf koordinierte Logistik und klare Planung. Um zwischen Hypothesen zu unterscheiden, sind Kernbohrungen, Sedimentanalysen und unabhängige Datierungen nötig, etwa über Lumineszenzdatierung an geeigneten Mineralkörnern, weil erst dann die Bauphase und spätere Umbauten getrennt werden können.

Meeresspiegelanstieg und die Logik versunkener Landschaften

Dass eine solche Struktur heute unter der Wasseroberfläche liegt, ist ein direktes Ergebnis langfristiger Küstenprozesse. Der Meeresspiegel stieg im Holozän nicht gleichmäßig, sondern in Phasen, und lokal kann zusätzlich die Landhebung oder Landsenkung das relative Niveau verändern. Der Begriff Meeresspiegelanstieg beschreibt diese Verschiebung, unabhängig davon, ob sie global oder regional getrieben ist. In einer Region mit starkem Tidenhub reicht schon ein Höhenunterschied von 1 m, um die Nutzbarkeit eines Küstenstreifens grundlegend zu verändern, weil Ebbe und Flut andere Flächen freilegen. Wenn eine Anlage in einem ehemals sehr flachen Bereich gebaut wurde, kann sie innerhalb weniger Jahrtausende in eine Tiefe von mehreren Metern geraten, ohne dass sie jemals aktiv versenkt wurde. Für die Interpretation bedeutet das, dass jede Hypothese zur Nutzung mit einer Rekonstruktion der damaligen Wasserstände verbunden sein muss. Erst aus der Kombination von Höhenmodell, Sedimentgeschichte und Datierung lässt sich abschätzen, ob die Steinmauer in der Bauzeit als trockene Barriere, als Gezeitenfalle oder bereits als Unterwasserstruktur funktionierte.

Solche Funde verschieben nicht nur Datenpunkte auf Karten, sondern auch die Vorstellung davon, wie viel prähistorische Infrastruktur bereits an Küsten existierte. Unter Wasser fehlt der gewohnte Maßstab, und eine geradlinige Kante auf dem Meeresboden wirkt intuitiv wie ein Signal, das nicht dorthin gehört. Genau diese Irritation ist produktiv, weil sie zu neuen Tests zwingt: Welche Formen kann die Geologie erzeugen, welche Formen verlangen Planung, und welche Spuren bleiben nach 7000 Jahren überhaupt erhalten. Je mehr Daten aus unterschiedlichen Sensoren zusammenkommen, desto eher lassen sich seltene Sonderfälle von wiederkehrenden Bautraditionen trennen. Ein breiter Vergleich mit anderen Regionen und mit Berichten über versunkene Städte zeigt, dass spektakuläre Unterwasserformen schnell mythisch aufgeladen werden, während die wissenschaftlich relevante Frage oft nüchterner ist: Welche ökonomische oder ökologische Funktion rechtfertigte den Aufwand, und wie reagierten Gemeinschaften auf wechselnde Küstenlinien. Gerade weil der Zweck der Steinmauer noch nicht eindeutig ist, kann sie zum Testfall werden, wie moderne Vermessung, Modellierung und gezielte Beprobung zusammen ein plausibles Nutzungsszenario eingrenzen.

International Journal of Nautical Archaeology, The Stone Tidal Fish Weirs of the Molène Archipelago, Iroise Sea, Brittany, Western France: a long-term tradition with early megalithic origins; doi:10.1111/1095-9270.12277

Spannend & Interessant
VGWortpixel