Auf alten Karten, in Karl-May-Romanen, auf Kostümen und Spielverpackungen taucht der Begriff Indianer überall auf und wirkt zugleich vertraut und aus der Zeit gefallen. Zwischen romantisierenden Bildern vom Lagerfeuer und Berichten über Kolonialkriege stellt sich die Frage, was dieses Wort tatsächlich bezeichnet und welche Wirklichkeit es verdeckt. Wer genauer hinschaut, entdeckt hinter dem Sammelbegriff hunderte Gesellschaften mit eigenen Sprachen, Geschichten und Selbstbezeichnungen. Der Weg von den ersten Berichten aus der sogenannten Neuen Welt bis zu heutigen Debatten über respektvolle Sprache erzählt daher immer auch von Macht, Klischees und Sprachwandel. Der Begriff selbst wird so zum Spiegel der Geschichte indigener Völker Amerikas und ihrer Wahrnehmung in Europa.
Im Kinderzimmer liegt ein aufgeschlagenes Bilderbuch, in dem eine Lagerfeuerszene mit Federkopfschmuck, Tipis und einer Büffelherde dahinter gezeigt wird, daneben steht in großer Schrift das Wort Indianer. Im Fernsehen läuft ein klassischer Western, in dem die Figuren mit diesem Namen auftauchen, im Supermarkt hängt ein Karnevalskostüm unter derselben Bezeichnung. Auf einem Stadtplan findet sich zur gleichen Zeit der Name eines Stadtteils, der auf einen indigenen Stamm verweist, den dort kaum jemand kennt. Der Ausdruck wirkt für viele deutschsprachige Leser wie ein eindeutiger Begriff, der klar umrissene Menschen in Amerika bezeichnet. Gleichzeitig tauchen immer häufiger alternative Formulierungen auf, die von indigenen Völkern Amerikas, Native Americans oder First Nations sprechen und den vertrauten Namen indirekt in Frage stellen. Zwischen diesen Alltagsszenen stellt sich die nüchterne wissenschaftliche Frage, was der Begriff Indianer tatsächlich sagt, welche historischen Schichten sich in ihm überlagern und welche Wirkungen er bis heute entfaltet.
Ein Blick in historische Berichte, Kolonialarchive, Sprachleitfäden und aktuelle Studien zeigt schnell, dass es sich nicht um ein neutrales Etikett handelt, sondern um ein Produkt aus Entdeckererzählungen, Missionsberichten, Verwaltungssprache und Populärkultur. Hinter dem Sammelbegriff stehen Hunderte von Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen sozialen Ordnungen, mit mehr als fünfzig Sprachfamilien und rund tausend dokumentierten Sprachen, von denen viele nur noch von wenigen Sprechern genutzt werden. Die Bilder, die im deutschsprachigen Raum mit Indianer verknüpft werden, stammen jedoch häufig aus Romanen, Filmen und Völkerschauen, in denen einzelne Gruppen zu einer vermeintlich einheitlichen Figur verschmolzen wurden. In der Forschung wird deshalb zunehmend untersucht, wie Kolonialismus und Sprache zusammenhängen, wie Fremdbezeichnungen als Machtinstrument wirken und wie Sprachwandel bei Ethnonymen abläuft. Leitfäden für eine rassismuskritische Sprache und terminologische Hilfen aus Nordamerika ordnen den Begriff in größere Zusammenhänge ein und bieten Alternativen an, die näher an den Selbstbezeichnungen der betreffenden Gesellschaften liegen.
Als europäische Seefahrer im späten 15. Jahrhundert auf Inseln in der Karibik landeten, glaubten sie, den Seeweg nach Indien oder zumindest in dessen Vorfeld erreicht zu haben. In spanischen Quellen taucht für die neu angetroffenen Menschen daher der Ausdruck Indios auf, der auf diese vermeintliche geografische Einordnung verweist. Aus dem englischen Indians und verwandten Formen entwickelte sich in mehreren europäischen Sprachen ein Sammelname, der im Deutschen zu Indianer wurde. Der Begriff blieb bestehen, obwohl sich die geographische Fehleinschätzung schnell korrigieren ließ, und er übertrug eine irrtümliche Deutung der Region auf all jene, die dort lebten. Im Ergebnis bezeichnet Indianer keine in sich geschlossene Kultur, sondern eine aus europäischer Perspektive gebildete Großkategorie für sehr unterschiedliche indigene Völker Amerikas, die vor der Ankunft der Europäer keinen übergreifenden Namen für sich alle gemeinsam verwendeten. Der Begriff markiert damit weniger eine präzise ethnologische Ordnung als vielmehr eine Sichtweise der Entdecker, Missionare und Kolonialverwaltungen, die aus Europa heraus auf die Amerikas blickten.
Wer an Indianer denkt, hat häufig keine statistischen Tabellen oder ethnografischen Karten vor Augen, sondern Szenen, die aus Romanen, Comics, Filmen oder Festumzügen bekannt sind. Karl-May-Figuren, Wildwestshows, frühe Fotografien inszenierter Lager und spätere Freizeitparks ordneten diese Bezeichnung in ein Repertoire aus Lagerfeuer, Jagd, Reitkunst und Kriegstänzen ein. In Europa entstanden regelrechte Bühnenwelten, in denen kleine Gruppen indigener Männer, Frauen und Kinder in nachgebauten Dörfern lebten, während Besucher sie betrachteten. Historische Berichte über sogenannte Völkerschauen und Menschenzoos zeigen, wie der Begriff Indianer mit Bildern von Exotik, Anderen und vermeintlich einfachen Kulturen verknüpft wurde und wie wenig Raum diese Inszenierungen für die Vielfalt und Eigenlogik der jeweiligen Gesellschaften ließen. In der Alltagssprache verschmolzen so sehr verschiedene Gruppen zu einer einzigen, stark typisierten Figur, deren Merkmale vor allem aus den Medien stammten.
In der Forschung wird zunehmend untersucht, wie solche Bilder zur Ausbildung von Rassismus in Sprachbildern beitragen und welche Rolle der Begriff bei der Stabilisierung von Stereotypen spielt. Anstatt konkrete Völker, Sprachen oder politische Situationen zu benennen, verschiebt die Bezeichnung den Blick auf eine stereotype Figur und blendet Unterschiede zwischen sesshaften Ackerbaugesellschaften, mobilen Jägern, Stadtbewohnern oder heutigen Akademikern und Aktivisten aus. Auf diese Weise verstellt der Sammelbegriff oft den Zugang zu den historischen Erfahrungen einzelner Nationen, etwa zu Vertragsbrüchen, Enteignungen oder kultureller Revitalisierung. Gleichzeitig ist er in vielen europäischen Lebensläufen mit Kindheitserinnerungen verknüpft, was Debatten um seine Bewertung emotional auflädt.
Aus der Perspektive der betroffenen Gesellschaften steht im Vordergrund, wie Menschen sich selbst benennen und welche Begriffe sie in politischen, rechtlichen und kulturellen Zusammenhängen verwenden. In den heutigen USA werden in Gesetzen und Statistiken Formulierungen wie American Indian und Alaska Native genutzt, während sich viele Gruppen in öffentlichen Debatten lieber als Native Americans oder mit dem Namen ihrer Nation bezeichnen. Terminologieleitfäden wie Indigenous Foundations empfehlen, wann Sammelbegriffe sinnvoll sind und wann präzise Nationennamen vorzuziehen sind, etwa Navajo, Diné, Haudenosaunee oder Lakota. In Kanada hat sich parallel dazu eingebürgert, von First Nations und Inuit zu sprechen; offizielle Dokumente und historische Übersichten der kanadischen Behörden erläutern, wie diese Kategorien entstanden sind und wie sie sich zum älteren Begriff Indian verhalten, der im Indian Act weiterhin eine juristische Rolle spielt.
Viele Leitfäden betonen, dass Bezeichnung Native Americans und andere Sammelwörter immer nur ein Annäherungsversuch sind und im Alltag möglichst durch die konkreten Namen der Nationen ergänzt werden sollten. In der Praxis existiert ein Nebeneinander von rechtlichen Kategorien, politisch bevorzugten Sammelbegriffen und Selbstbezeichnungen auf der Ebene einzelner Gemeinschaften, die häufig schlicht mit einem Wort für Mensch oder Leute übersetzt werden. Unter indigene Völker Amerikas fallen zudem nicht nur Gruppen aus Nordamerika, sondern auch zahlreiche Gesellschaften in Mittel- und Südamerika, deren Sprachen und Traditionen noch einmal eigene Begriffsgeschichten aufweisen. Der deutschsprachige Begriff Indianer greift in dieses vielschichtige Feld von außen ein und überblendet Unterschiede, die in den jeweiligen Sprachen durch eigene Wörter, Ehrentitel oder Clanbezeichnungen markiert werden. Wenn im Deutschen von First Nations und Inuit die Rede ist, spiegelt sich darin bereits ein Versuch, näher an die in Kanada etablierten Kategorien anzuknüpfen und den Abstand zu kolonialen Sammelwörtern zu vergrößern.
Kolonialismus und Sprache hängen dort besonders eng zusammen, wo Bezeichnungen juristische Folgen haben. In Kanada definierte der Indian Act im 19. Jahrhundert, wer als Indian im rechtlichen Sinn galt, wer Zugang zu bestimmten Rechten erhielt und wer als Schutzbefohlener des Staates behandelt wurde. Der Name ist damit nicht nur ein Wort, sondern ein Scharnier zwischen Verwaltung, Landrechten, Schulpflicht, Zwangsassimilation und Reservatspolitik. Ähnliche Mechanismen lassen sich in anderen Kolonialreichen beobachten, in denen ethnische Kategorien genutzt wurden, um Steuern zu erheben, Arbeitspflichten zu organisieren oder Bevölkerung zu kontrollieren. Terminologieleitfäden wie historische Übersichten der kanadischen Regierung zur indigenen Terminologie beschreiben, wie sich Rechtsbegriffe, Verwaltungssprache und Selbstbezeichnungen überlagert haben und warum bestimmte Wörter heute nur noch im Zusammenhang mit historischen Gesetzen oder in Eigennamen von Behörden auftauchen.
Wenn im deutschsprachigen Diskurs über Kolonialismus und Sprache gesprochen wird, richtet sich der Blick zunehmend auch auf Begriffe, die aus der Perspektive weißer Eroberer entstanden sind und bis heute fortwirken. Rassismuskritische Analysen weisen darauf hin, dass solche Bezeichnungen nicht nur vergangene Gewalt beschreiben, sondern Teil sozialer Ordnungen bleiben, in denen Machtverhältnisse über Bilder, Namen und Erzählungen stabilisiert werden. Der Ausdruck Indianer transportiert in dieser Sichtweise nicht nur geografische oder ethnische Informationen, sondern auch Vorstellungen von Rückständigkeit, Romantik oder Bedrohung, je nachdem, in welchem Kontext er verwendet wird. Gleichzeitig verweisen Forschungen zu aktuellen Formen von Diskriminierung darauf, dass Einstellungen gegenüber Minderheiten eng mit sprachlichen Mustern und Erzählungen verbunden sind, die in Medien, Witzen oder Redewendungen zirkulieren. Studien zu Vorurteilen, etwa über Rassismus im Polizeialltag oder in Verschwörungserzählungen, zeigen, wie tiefsprachliche Bilder in Wahrnehmung und Bewertung anderer Gruppen eingreifen können.
Sprachwandel bei Ethnonymen lässt sich selten von oben verordnen, sondern vollzieht sich in vielen kleinen Aushandlungen, in Redaktionen, Klassenzimmern, Vereinen und Familien. In deutschsprachigen Diskussionen über Indianer stehen sich grob zwei Tendenzen gegenüber: Auf der einen Seite stehen Menschen, die den Ausdruck als gewachsene, scheinbar neutrale Bezeichnung sehen, die vor allem mit Kindheitserinnerungen, Romanfiguren und fiktiven Welten verbunden ist. Auf der anderen Seite stehen indigene Aktivisten, Sprachforscher und rassismuskritische Initiativen, die auf koloniale Kontexte, stereotype Bilder und die Erfahrungen der Betroffenen verweisen. In Glossaren wie dem Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch wird empfohlen, auf allgemeinere Formulierungen wie indigene Völker oder auf konkrete Nationennamen zurückzugreifen und den alten Sammelbegriff sparsam und kontextbezogen zu verwenden. In einigen Medien, Schulmaterialien und Museen werden Bezeichnungen inzwischen angepasst, teilweise mit erläuternden Hinweisen zur historischen Verwendung des Wortes.
Parallel dazu tauchen Diskussionen über andere Ausdrücke auf, die in Redewendungen oder Witzen bestimmte Gruppen abwerten oder verzerren. Untersuchungen zu diskriminierenden Sprichwörtern und Metaphern im Deutschen zeigen, wie tief solche Bilder im Alltagswortschatz verankert sind und wie emotional Debatten um Veränderungen geführt werden. Beiträge, die etwa problematische Tiermetaphern oder Redewendungen mit Gewaltbezug thematisieren, wie in Analysen zu diskriminierenden Redewendungen, ordnen den Streit um den Begriff Indianer in eine breitere Auseinandersetzung über Rassismus in Sprachbildern und gesellschaftliche Sensibilität ein. Zugleich verweisen empirische Studien zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit darauf, dass bewusster Sprachgebrauch allein strukturelle Ungleichheiten nicht löst, aber als Teil eines Bündels von Maßnahmen wahrgenommen wird. Der Begriff bleibt damit ein Brennpunkt, an dem sich historische Verantwortung, wissenschaftliche Präzision und unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit in der Wortwahl kreuzen. Untersuchungen zu Rassismus in Institutionen verstärken die Frage, wie sensibel Gesellschaften mit Bezeichnungen umgehen, die aus kolonialen Kontexten stammen.