Seefahrt

Gelbe Flotte sitzt acht Jahre im Suezkanal fest

(KI Symbolbild). Im stillen Wasser des Großen Bittersees liegen mehrere Frachtschiffe eng vertäut nebeneinander, ihre Aufbauten von gelbem Wüstensand überzogen. Acht Jahre lang bildete die Gelbe Flotte hier einen Schiffskonvoi im Suezkanal, der durch Krieg und Minenfelder von der Außenwelt abgeschnitten war. Zwischen Antennen und Ladebäumen entstehen Sportplätze, Wäscheleinen und kleine Beiboote, die wie Busse in einem schwimmenden Dorf pendeln. Die Szene zeigt, wie sich eine provisorische Gemeinschaft zwischen den Fronten entwickelt, während die Weltwirtschaft ihre Routen weit um Afrika herum verlagert. )IKnessiW dnu gnuhcsroF(Foto: © 

Die Mittagssonne steht über dem Wüstensaum Ägyptens, als im Juni 1967 ein Schiffskonvoi im Suezkanal den Großen Bittersee erreicht. Für die Besatzungen der Frachter ist der Ankerplatz nur eine planmäßige Zwischenstation, doch plötzlich kreuzen Kampfjets über den Masten, Explosionen hallen von den Ufern zurück und der Funkverkehr wird hektisch. Wenige Tage später sind beide Enden des Kanals gesperrt, Wracks liegen quer in der Fahrrinne und die Schiffe im Bittersee erhalten den Befehl, auf unbestimmte Zeit vor Anker zu bleiben. Aus dieser Zwangslage entsteht die Gelbe Flotte, ein Verbund von 15 Handelsschiffen, die fast acht Jahre lang zu einem schwimmenden Dorf werden – mit eigener Organisation, Freizeitkultur und einem Alltag im Schatten des Nahostkonflikts.

Die Geschichte der Gelben Flotte verbindet konkrete Szenen an Deck mit globalen Folgen. Ein Schiffskonvoi im Suezkanal sitzt fest, während der Sechstagekrieg und spätere Gefechte die Ufer in eine militärische Zone verwandeln. Gleichzeitig ist der Kanal eine Schlüsselroute des Welthandels, wodurch jede Suezkanal Blockade die Fahrzeiten von Tankern und Frachtern um Tausende Kilometer verlängert. Die Episode wirft zeitlose Fragen auf: Wie organisieren Seefahrer ihren Alltag, wenn Heimathäfen unerreichbar sind, wie wirken sich Engpässe wie der Suezkanal auf weltweite Lieferketten aus und welche Spuren hinterlässt ein achtjähriger Stillstand in Technik, Wirtschaft und Erinnerungskultur?

Nach außen wirkt die Gelbe Flotte auf den ersten Blick wie eine Reihe gewöhnlicher Frachtschiffe, die in der Hitze des Großen Bittersees vor Anker liegen. Auf den Brücken stehen Radarantennen, Ladebäume ragen schräg in den Himmel, an den Bordwänden zeichnen sich Wasserlinien ab. Doch wer sich mit einem Beiboot nähert, erkennt schnell, dass hier keine normale Warteposition vorliegt. Auf Decks hängen Wäscheleinen, improvisierte Sportplätze aus Spannnetzen und Markierungen sind zu sehen, zwischen den Schiffen fahren kleine Boote mit Besatzungsmitgliedern hin und her. Im Funkverkehr taucht immer öfter der Begriff Gelbe Flotte auf, der sich auf den feinen Wüstensand bezieht, der Schiff für Schiff mit einer gelblichen Schicht überzieht und den Konvoi optisch zusammenbindet.

Gleichzeitig stehen die Schiffe buchstäblich Zwischen den Fronten. Auf dem westlichen Uferabschnitt des Kanals hält Ägypten Stellungen, auf der Ostseite kontrolliert Israel nach wenigen Kriegstagen große Teile der Sinai-Halbinsel. Artillerie und Beobachtungsposten richten sich über den Kanal hinweg aus, während der Bittersee als neutraler Ankerplatz gilt, den keine Seite militärisch nutzen soll. Die Besatzungen erleben die ersten Tage der Blockade in einer Mischung aus Anspannung und Improvisation: Ausguckposten beobachten Rauchwolken und Leuchtsignale, Maschinenräume halten sich in Bereitschaft, während Offiziere versuchen abzuschätzen, ob die Lage sich in Wochen, Monaten oder vielleicht erst in Jahren klären wird. Viele der an Bord befindlichen Männer wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ihre Reise sich um mehr als acht Jahre verlängern wird und dass der eigene Schiffskonvoi im Suezkanal zu einem der ungewöhnlichsten Kapitel der Schifffahrtsgeschichte wird.

Was die Gelbe Flotte im Suezkanal zusammenführte

Unter dem Begriff Gelbe Flotte werden 15 Handelsschiffe zusammengefasst, die im Juni 1967 mit einem Nordkonvoi in den Suezkanal einliefen und nach dem Ausbruch des Sechstagekriegs nicht mehr auslaufen konnten. Vierzehn Frachter ankerten im Großen Bittersee, einem breiten Seeabschnitt in der Mitte des Kanals, ein weiterer Tanker verblieb im nördlicheren Timsahsee. Die Schiffe stammten aus acht Ländern, darunter Westdeutschland, Schweden, Großbritannien, Frankreich, die USA, Polen, Bulgarien und die Tschechoslowakei. Zu den bekanntesten Einheiten zählen die westdeutschen Frachter Münsterland und Nordwind, der britische Frachter Melampus und mehrere schwedische und polnische Stückgutschiffe, die Ladungen von Stahl und Maschinen bis hin zu Obst, Baumwolle und Konsumgütern transportierten.

Vor der Blockade galt die Route durch den Suezkanal als ökonomisch günstiger Standardweg zwischen Europa und Asien. Ein Schiffskonvoi im Suezkanal wurde streng getaktet: Lotsen übernahmen die Führung, Abstände waren genau geregelt, und wartende Schiffe nutzten den Großen Bittersee als Sammelraum, bevor sie weiter nach Norden oder Süden geleitet wurden. Mit dem Krieg ändert sich diese Routine abrupt. Ägypten lässt mehrere ausgediente Einheiten im Kanal versenken, legt Minenfelder an und erklärt die Wasserstraße aus militärischen Gründen für geschlossen. Damit entsteht eine Sechstagekrieg Schifffahrt, in der zivile Frachter plötzlich Teil eines strategischen Sperrriegels werden, ohne dass sie das Gebiet rechtzeitig verlassen konnten. Das längere Festliegen der Gelben Flotte ist also nicht geplant, sondern unmittelbare Folge einer politischen Entscheidung, den Kanal als Hebel im Konflikt einzusetzen.

Alltag auf dem Großen Bittersee: Improvisierte Normalität

Als deutlich wird, dass der Stillstand länger andauert, organisieren die Besatzungen ihr Leben an Bord neu. Bereits 1967 schließen sich Offiziere zu einer Gemeinschaft zusammen, die sie Great Bitter Lake Association nennen. Dieses lose Gremium koordiniert gemeinschaftliche Aufgaben: medizinische Versorgung, die Verteilung knapper Ersatzteile, Absprachen über Funkkanäle und die Nutzung von Werkstätten. Schiffe mit Bordärzten übernehmen kompliziertere Behandlungen, andere stellen ihre Funkräume für Nachrichtenverbindungen zur Verfügung. So entsteht ein Netz gegenseitiger Hilfe, das weit über normale Hafenkooperationen hinausgeht. Eine anschauliche Rekonstruktion dieser Zeit liefert die Radioreportage Great Bitter Lake Association, die auf Interviews mit ehemaligen Besatzungsmitgliedern basiert und die improvisierte Selbstverwaltung detailliert beschreibt.

Mit der Zeit wandelt sich die Gelbe Flotte zu einem schwimmenden Dorf. Es gibt Bordschulen, in denen Offiziere jüngeren Seeleuten Navigation oder Maschinentechnik beibringen, und regelmäßige Gottesdienste, die auf verschiedenen Schiffen im Wechsel stattfinden. Für die Freizeit organisieren die Männer Sportturniere, Konzerte und Filmabende. Ein Höhepunkt ist die Bittersee Olympiade im Jahr 1968, die bewusst parallel zu den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt organisiert wird. Auf Decks werden Laufbahnen markiert, schwimmende Bojen dienen als Wendepunkte für Regatten mit Rettungsbooten, und Mannschaften treten in Disziplinen wie Fußball, Volleyball oder Schwimmen gegeneinander an. Sogar eigene Briefmarken entstehen: Die Great Bitter Lake Association gestaltet handgemalte Marken mit Schiffs- und Seemotiven, die von der ägyptischen Post offiziell abgestempelt und weltweit befördert werden. Eine Übersicht dieser seltenen Ausgaben findet sich auf der philatelistischen Seite Post vom Grossen Bittersee.

Routine entsteht aber nicht nur in der Freizeit, sondern auch in den technischen Abläufen. Die Maschinenbesatzungen halten ihre Anlagen trotz Stillstand regelmäßig in Betrieb, um Rost und Ablagerungen zu begrenzen: Schmieröl wird gewechselt, Kühlwassersysteme durchgespült, Dieselgeneratoren im Intervall gestartet. Auf vielen Schiffen entstehen detaillierte Wartungspläne, die selbst kleinste Ventile und Pumpen erfassen. Der Aufwand lohnt sich, denn nur durch konsequente Instandhaltung bleibt ein Teil der Flotte später überhaupt noch fahrtüchtig. Die Erfahrungen dieser Jahre werden in Reedereiakten und Lehrgängen aufgegriffen und stehen in der Tradition technischer Entwicklungen, die bis zu modernen Konzepten einer emissionsarmen Schifffahrt reichen, über die zum Beispiel im Zusammenhang mit einem Schiff zur CO₂-Abscheidung aus Abgasen berichtet wird.

Zwischen den Fronten: Risiken, Kriege und politische Blockade

Trotz improvisierter Normalität bleibt die Lage der Gelben Flotte fragil. Der Kanal bildet eine militärische Kontaktlinie, und die Schiffe liegen in Reichweite von Artillerie und Luftangriffen. Während des Abnutzungskrieges zwischen Ägypten und Israel kommt es wiederholt zu Beschuss entlang der Ufer, und im Oktoberkrieg 1973 verstärken sich die Gefechte. Zwar versuchen beide Seiten, die im Großen Bittersee liegenden Schiffe zu schonen, dennoch hören die Besatzungen Einschläge, sehen Rauchwolken und erleben Fliegeralarme. In einem besonders dramatischen Fall wird der US-Frachter African Glen getroffen und sinkt, nachdem er von militärischer Seite als Beobachtungsplattform genutzt worden sein soll. Dieses Ereignis zeigt, wie schnell zivile Infrastruktur in Konfliktgebiete hineingezogen wird.

Politisch wird der Suezkanal über Jahre als Druckmittel genutzt. Ägypten hält ihn geschlossen, um die eigene Position in Verhandlungen über besetzte Gebiete zu stärken. Für die Weltwirtschaft bedeutet dies, dass ein erheblicher Teil des Öl- und Containerverkehrs den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung nehmen muss. Schätzungen zufolge verlängert sich die typische Route zwischen Europa und Ostasien dadurch um mehrere Tausend Kilometer, was Treibstoffverbrauch, Transitzeiten und Frachtraten deutlich erhöht. Fachverbände wie das Institute of Marine Engineering, Science & Technology analysieren die Folgen dieser Suezkanal Blockade bis heute, weil sie zeigt, wie stark globale Handelsnetze von wenigen Engpässen abhängen. Die Episode lässt sich auch mit anderen maritimen Anomalien vergleichen, etwa mit Geisterschiffen oder ungewöhnlichen Wrackfunden, wie sie im Zusammenhang mit einem elisabethanischen Schiffswrack in einem Steinbruch beschrieben werden.

Heimkehr, Schiffsschicksale und technische Veränderungen

Nachdem ein internationales Räumungsprogramm Minen, Wracks und andere Hindernisse aus dem Kanal entfernt hat, kann die Schifffahrt 1975 wieder aufgenommen werden. Für die Gelbe Flotte bedeutet dies allerdings keine einfache Rückkehr in den Normalbetrieb. Viele Schiffe sind durch die lange Zeit im Stillstand so stark gealtert, dass sie nur noch mit erheblichem Aufwand in Fahrt gebracht werden könnten. Prüfungen ergeben, dass lediglich einige wenige Einheiten, darunter die westdeutschen Schiffe Münsterland und Nordwind, ausreichend gut gepflegt wurden, um aus eigener Kraft nach Europa zurückzukehren. Als die Münsterland nach über acht Jahren erstmals wieder in einem deutschen Hafen festmacht, säumen Tausende Menschen die Kaimauern, und die Heimkehr gilt als symbolischer Abschluss einer außergewöhnlichen Reise.

Ein großer Teil der übrigen Schiffe wird dagegen in den Jahren nach der Freigabe aus dem Kanal geschleppt und relativ bald abgewrackt. Während sie im Großen Bittersee lagen, hat sich die Schifffahrt stark verändert. Die Containerisierung setzt sich durch, neue Häfen mit leistungsfähigen Terminalanlagen entstehen, und traditionelle Stückgutfrachter geraten wirtschaftlich ins Hintertreffen. Für Reedereien lohnt sich die umfassende Modernisierung alter Schiffe kaum noch. Damit markiert die Episode nicht nur einen geopolitischen Sonderfall, sondern auch eine Grenze zwischen zwei Epochen der Technikgeschichte: Auf der einen Seite klassische Frachter mit Ladebäumen und Luken, auf der anderen Seite hochspezialisierte Container- und Tankschiffe, wie sie auch in Beiträgen zum Thema Geisterschiffe auf den Weltmeeren eine Rolle spielen.

Erinnerungskultur und Bedeutung der Gelben Flotte heute

Nach der Heimkehr verschwinden die Schiffe der Gelben Flotte nach und nach aus den Flottenlisten, doch ihre Geschichte lebt in Logbüchern, Fotos und Erinnerungen weiter. Ehemalige Besatzungsmitglieder berichten von Bordzeitungen, die mit Schreibmaschinen und Matrizen hergestellt wurden, von improvisierten Seemannskirchen auf Achterdecks und von Konflikten, die in der Enge mehrerer Jahre zwangsläufig entstehen. Bei Treffen Jahrzehnte später spielen noch immer die gleichen Themen eine Rolle: der Lärm entfernter Gefechte, die ersten selbst gestalteten Briefmarken, die Freude über Post aus der Heimat und der Moment, als die Anker endlich gelichtet werden durften. Solche individuellen Erinnerungen ergänzen technische und politische Analysen und machen deutlich, wie sich außergewöhnliche Situationen in der Biografie eines Menschen verankern.

Für Forschung und Praxis liefert die Geschichte der Gelben Flotte mehrere Lehren. Sie zeigt, wie wichtig Redundanzen in globalen Verkehrsnetzen sind, wenn zentrale Engpässe über Jahre ausfallen. Sie verdeutlicht, dass Seefahrer in der Lage sind, in einer isolierten Umgebung komplexe Selbstorganisation zu entwickeln, solange Kommunikation und minimale Versorgung gesichert sind. Und sie weist darauf hin, dass technische Systeme während langer Stillstandsphasen andere Anforderungen stellen als im Dauerbetrieb. Institutionen, die sich mit Seerecht und Sicherheit auf See befassen, wie die International Maritime Organization, nutzen solche historischen Fälle, um Richtlinien für den Umgang mit Sperrzonen, Neutralität und dem Schutz ziviler Schiffe zu schärfen. Gleichzeitig bleibt die Gelbe Flotte ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eng Weltpolitik, Technikgeschichte und der Alltag einzelner Besatzungen miteinander verbunden sind.

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