In einem engen Tal am Rand der japanischen Alpen steigen seit Jahrhunderten Dampf- und Schwefelgeruch aus Felsen, während Gäste durch dieselbe Eingangshalle schreiten wie Samurai, Mönche und moderne Städtetouristen. Hier steht das Nishiyama Onsen Keiunkan, ein Onsen-Ryokan, das im Jahr 705 gegründet wurde und bis heute ohne Unterbrechung Gäste beherbergt. Wer nach dem älteste Unternehmen der Welt sucht, landet unweigerlich bei diesem abgelegenen Haus, in dem heiße Quellen, Familiengeschichten und juristische Feinheiten der Unternehmenshistoriker aufeinandertreffen. Doch was macht die besondere Kontinuität dieses Betriebs aus, und wie fügt er sich in das Panorama anderer extrem alter Firmen in Europa und Deutschland ein?
Schon beim Blick auf die heutige Zufahrtsstraße wirkt die Szene wie ein verdichteter Ausschnitt japanischer Geschichte: Der Bus hält auf einem schmalen Streifen zwischen Flussbett und Berghang, der Kies vor dem Eingang ist frisch geharkt, und hinter den Schiebetüren aus Holz warten Yukata, Tatami-Matten und das leise Rauschen der Warmwasserleitungen. In den Thermalbecken des Nishiyama Onsen Keiunkan mischen sich Badewasser von über 1.300 Jahren Tradition mit LED-beleuchteten Armaturen und WLAN-Routern, die diskret hinter Wänden verborgen sind. Während Gäste das Tal heute in wenigen Stunden aus Tokio erreichen, war die Reise im 8. Jahrhundert eine mehrtägige Expedition in ein abgelegenes Grenzgebiet. Genau diese Überlagerung von jahrhundertealten Routinen und moderner Infrastruktur macht den Reiz solcher Traditionsbetriebe aus und stellt historische Forschung vor eine scheinbar einfache, in der Praxis aber komplexe Frage: Was bedeutet es, wenn ein Unternehmen über viele Jahrhunderte hinweg als „derselbe“ Betrieb gilt?
Die Suche nach dem älteste Unternehmen der Welt führt deshalb schnell in Detailfragen, die sonst eher in juristischen Kommentaren und wirtschaftshistorischen Studien verhandelt werden. Wird das Gründungsdatum nach der ersten urkundlichen Erwähnung, nach der Eintragung einer Firma oder nach dem Beginn einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt? Zählt eine Linie als durchgängig, wenn ein Familienbetrieb wie die japanische Bauunternehmung Kongo Gumi zwar bis ins Jahr 578 zurückreicht, aber im 21. Jahrhundert in einem Konzern aufgegangen ist und rechtlich als andere Einheit geführt wird? Oder ist ein abgeschiedenes Onsen-Hotel, das seit dem Jahr 705 am selben Ort unter demselben Namen Gäste empfängt, der klarere Kandidat? Offizielle Zertifizierungen wie der Eintrag des Nishiyama Onsen Keiunkan als „world’s most historical inn“ im Buch der Rekorde und regionale Tourismusbehörden setzen hier bewusst andere Akzente als Listen globaler Beratungsunternehmen. Gleichzeitig lassen sich diese japanischen Fälle nur einordnen, wenn man sie mit der älteste Firma Europas und der älteste Firma Deutschlands vergleicht, die beide in klösterlichen Wirtschaftshöfen verwurzelt sind.
Wer heute im Nishiyama Onsen Keiunkan ankommt, betritt ein Haus, dessen aktuelle Gebäudeplanung aus den 1990er-Jahren stammt, dessen Geschäftsmodell aber auf einer Entscheidung aus der frühen Nara-Zeit beruht. Das Ryokan liegt in der Gemeinde Hayakawa in der Präfektur Yamanashi, eingekeilt zwischen steilen Hängen der Akaishi-Berge und dem schmalen Lauf des Hayakawa-Flusses. Aus geologischer Sicht trifft hier tief zirkulierendes Grundwasser auf vulkanisch aufgeheizte Gesteinsschichten; das Wasser steigt mit Temperaturen von über 50 Grad Celsius an die Oberfläche und wird seit Jahrhunderten in Badebecken geleitet. Laut der englischsprachigen offiziellen Website des Ryokan stammt das Quellwasser unverändert aus denselben Hakuho-Quellen, die schon die Gründergeneration nutzte. Heute speist eine Pumpanlage rund 1.000 Liter pro Minute in mehrere Innen- und Außenbecken, während 37 Zimmer als klassische Tatami-Räume mit Futons, Schiebetüren und Blick auf Fluss und Wald gestaltet sind.
Trotz dieser baulichen Erneuerungen bleibt der Ablauf für Gäste erstaunlich konstant: Nach der Ankunft werden Straßenkleidung und Schuhe gegen Yukata und Haussandalen getauscht, der Tag strukturiert sich um Badezeiten, saisonale Kaiseki-Menüs und den Blick auf wechselnde Berge. Für Historiker ist weniger die aktuelle Fünf-Sterne-Bewertung interessant als die Tatsache, dass dieselbe juristische und wirtschaftliche Einheit – ein familiengeführtes Onsen-Gasthaus mit Landrechten an denselben Quellen – über mehr als zwölf Jahrhunderte hinweg nachweisbar ist. In touristischen Beschreibungen wie dem offiziellen Reiseführer der Präfektur Yamanashi wird betont, dass das Nishiyama Onsen Keiunkan über 1.300 Jahre hinweg berühmte Kriegsherren, Händler und Gelehrte beherbergt hat und damit als Verdichtung japanischer Badekultur gilt. Die Kombination aus geologisch stabiler Ressource, religiöser Konnotation und politischer Randlage erklärt, warum das Haus historische Krisen von Bürgerkriegen bis zur Industrialisierung überstehen konnte.
Die Gründungsfigur des Betriebs, Fujiwara no Mahito, entstammt einer Adelsfamilie, die eng mit dem Kaiserhof verbunden war. Überliefert ist, dass sein Vater als Vertrauter des 38. Kaisers Tenji diente und Mahito selbst im 8. Jahrhundert ein abgelegenes Tal mit besonders ergiebigen heißen Quellen auswählte, um dort ein Badehaus zu etablieren. In der frühen Nara-Zeit waren Onsen nicht nur Orte körperlicher Reinigung, sondern wurden in Hof- und Klostertradition als Stationen spiritueller Läuterung verstanden. Die ersten Bäder des Nishiyama Onsen Keiunkan bestanden vermutlich aus einfachen Vertiefungen in Felsnischen oder grob gezimmerten Becken an der Felswand, gespeist von frei aus dem Gestein austretendem Wasser. Aus Sicht der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte ist bemerkenswert, dass hier kein temporäres Pilgerbad, sondern von Beginn an ein dauerhaft angelegter Beherbergungsbetrieb mit Landrechten an den Quellen entstand. Dieser frühe Zugriff auf eine klar abgegrenzte Ressource wirkt bis heute fort und ist in der historischen Selbstdarstellung des Hauses ebenso präsent wie in touristischen Beschreibungen der Region.
Im Verlauf der japanischen Geschichte tritt das Ryokan immer wieder als Schauplatz symbolträchtiger Begegnungen auf. Quellen aus der frühen Neuzeit nennen den daimyō Takeda Shingen, einen der einflussreichsten Kriegsherren des 16. Jahrhunderts, als regelmäßigen Gast; auch Tokugawa Ieyasu, der spätere Begründer des Tokugawa-Shogunats, soll die abgelegenen Bäder genutzt haben, um sich zwischen Feldzügen zu erholen. Moderne Darstellungen berichten zudem, dass der heutige Kaiser Naruhito das Onsen besucht hat, was die symbolische Kontinuität zwischen höfischer Badekultur und zeitgenössischem Tourismus unterstreicht. Über weite Strecken der Geschichte war das Nishiyama Onsen Keiunkan nicht nur Gasthof, sondern auch Kommunikationsknotenpunkt an einer schwer zugänglichen Route durch die Berge, an dem Abgesandte, Händler und religiöse Spezialisten Informationen austauschten. Die lange Liste prominenter Gäste wird von der regionalen Tourismusbehörde und vom Haus selbst gepflegt und dient heute weniger der Werbung als der Einordnung in ein dichtes Geflecht aus politischer, religiöser und wirtschaftlicher Geschichte.
Auf den ersten Blick erinnert das heutige Gebäude eher an ein modernes Berghotel als an ein Jahrhunderte altes Badehaus: Mehrere Stockwerke, große Fensterflächen und Betonfundamente zeugen von Erdbebenschutz und Brandschutzauflagen des 20. Jahrhunderts. Im Inneren dominiert jedoch klassische Ryokan-Architektur mit Tatami-Böden, Schiebetüren, Tokonoma-Nischen und Ausblicken auf die umliegenden Berge. Jedes Zimmer verfügt über ein eigenes Becken mit heißem Quellwasser, das ohne Umwälzung aus den Hakuho-Quellen in die Wannen fließt. Die technische Infrastruktur – Pumpen, Wärmetauscher, Filter – bleibt im Hintergrund, während aus Sicht der Gäste das Element Wasser selbst als Konstante über Jahrhunderte wahrgenommen wird. Reiseberichte und offizielle Informationsseiten wie der Reiseführer der Präfektur Yamanashi betonen, dass das gesamte Haus auf das Erleben dieser Quellen ausgerichtet ist: von offenen Felsbecken am Flussufer bis zu gedeckten Steinbädern mit Blick in den Wald.
Der Alltag im Betrieb zeigt, wie historische Kontinuität in konkrete Arbeitsprozesse übersetzt wird. Über 52 Generationen hinweg wurde das Nishiyama Onsen Keiunkan innerhalb derselben Familie weitergegeben, oft mithilfe der in Japan verbreiteten Praxis der Erwachsenenadoption (mukoyoshi), bei der geeignete Nachfolger in die Familienlinie aufgenommen werden. Erst 2017 übernahm mit einem langjährigen Manager erstmals ein nicht verwandter Präsident die Leitung, während die Besitzverhältnisse in eine neue Holding überführt wurden. Für die Frage nach der Identität des Unternehmens ist entscheidend, dass Name, Standort, Ressource und Funktionsweise des Betriebs erhalten blieben. Konzepte aus der Finanzwelt wie der Lindy-Effekt beschreiben, dass die erwartete Restlebensdauer eines Systems mit seinem bisherigen Alter wächst; Traditionsbetriebe wie dieses Ryokan liefern anschauliche Beispiele dafür, wie solche abstrakten Modelle in der Realität aussehen. Gleichzeitig erfordern sie laufende Anpassungen an Brandschutzvorschriften, Hygieneauflagen und Tourismusströme, ohne die Kernstruktur aus Familienritualen, Badeabläufen und saisonaler Küche aufzugeben.
Wer in Suchmaschinen nach älteste Unternehmen der Welt recherchiert, stößt auf sehr unterschiedliche Listen: Mal steht die Bauunternehmung Kongo Gumi in Osaka, deren Wurzeln bis ins Jahr 578 zurückreichen, an erster Stelle, mal wird das Nishiyama Onsen Keiunkan als älteste Firma Japans geführt, weil es als eigenständige Einheit weiterbesteht und nicht in einem Konzern aufgegangen ist. Die Differenz zeigt, wie stark historische und wirtschaftliche Definitionen auseinandergehen können. Kongo Gumi ist heute Teil eines größeren Baukonzerns, dessen juristische Struktur sich deutlich von der ursprünglichen Familienfirma unterscheidet, auch wenn Name und Spezialisierung teilweise weiterleben. Das Onsen-Ryokan hingegen blieb über zwölf Jahrhunderte an derselben Quelle und unter demselben Betriebsmodell aktiv, was es für viele Beobachter zum anschaulichsten Beispiel für ein extrem langlebiges Unternehmen macht. Internationale Rankings und die Tourismuswerbung Japans nutzen diese Eindeutigkeit, um die Besonderheit des Betriebs hervorzuheben, während Fachliteratur eher die Spannbreite aller Firmen betrachtet, die auf eine ähnlich lange Tradition verweisen können.
Die auffällige Häufung japanischer Einträge in Listen zum älteste Unternehmen der Welt hängt mit mehreren kulturellen und institutionellen Faktoren zusammen. Zum einen gibt es in Japan eine lange Tradition sogenannter shinise, also „alteingesessener Geschäfte“, die bewusst gepflegt und gesellschaftlich hoch angesehen werden. Dazu zählen Gasthäuser, Süßwarenhersteller, Sake-Brauereien und Handwerksbetriebe, deren Identität über Generationen hinweg eng mit einem bestimmten Ort, Produkt oder Ritual verbunden bleibt. Zum anderen erleichtern Rechtsformen wie Familiengesellschaften und die erwähnte Erwachsenenadoption den Übergang zwischen Generationen, ohne die Kontinuität der Marke zu unterbrechen. In der Forschung zu Unternehmensgeschichte und Kulturökonomie wird betont, dass solche Strukturen nicht automatisch Stabilität garantieren, aber die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Betrieb Krisen übersteht. Japanische Rituale rund um Glück, Reinheit und Schutz – wie sie etwa in Beiträgen zu Glücksritualen aus aller Welt beschrieben werden – spielen auch in Onsen eine Rolle, etwa wenn Quellen als heilige Orte markiert und mit Schreinen versehen werden. In diesem Spannungsfeld aus Spiritualität, Recht und Ökonomie entsteht ein Umfeld, in dem mehrere Betriebe über mehr als ein Jahrtausend hinweg dokumentiert sind.
Auch außerhalb Japans existieren Unternehmen, deren Wurzeln über ein Jahrtausend zurückreichen. In Europa gilt das St. Peter Stiftskulinarium im Zentrum von Salzburg als älteste Firma Europas, weil es bereits im Jahr 803 in schriftlichen Quellen auftaucht und seitdem als gastronomischer Betrieb mit wechselnden Formen von Klosterschänke bis Fine-Dining-Restaurant existiert. Die historische Einbettung in das Benediktinerstift St. Peter und die kontinuierliche Nutzung der Räume als Ort für Bewirtung machen das Haus zu einem Sonderfall europäischer Wirtschaftsgeschichte. Auf der offiziellen Seite des St. Peter Stiftskulinarium wird die Kombination aus mehr als 1.200 Jahren Gastlichkeit und moderner Küche hervorgehoben, wobei die Mauern des Klosters und die Lage in der Altstadt eine ähnlich verdichtete Zeitschichtung erzeugen wie die steilen Berghänge rund um das japanische Ryokan. Unter dem Namen St. Peter Stiftskulinarium ist der Betrieb damit nicht nur das älteste Restaurant Europas, sondern ein häufig zitierter Kandidat, wenn über die älteste Firma Europas gesprochen wird.
In Deutschland führt das Weingut und Gästehaus Staffelter Hof in Kröv an der Mosel viele Ranglisten an, wenn nach der älteste Firma Deutschlands gefragt wird. Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Gut im Jahr 862, als König Lothar II. Weinberge und Ländereien an die Abtei Stavelot-Stablo schenkte; aus dieser Schenkung entwickelte sich ein klösterlicher Wirtschaftshof, der über die Säkularisation hinweg in private Hände überging. Die offizielle Website des Bio-Weinguts Staffelter Hof betont, dass die Weinproduktion seit über 1.160 Jahren ohne Unterbrechung am selben Ort gepflegt wird, heute ergänzt um Ferienwohnungen und Kulturveranstaltungen. In wirtschaftshistorischen Darstellungen wird der Betrieb daher als älteste Firma Deutschlands und zugleich als eines der ältesten Weingüter der Welt geführt. Gemeinsam mit dem St. Peter Stiftskulinarium und japanischen Häusern wie Nishiyama Onsen Keiunkan und Kongo Gumi bildet der Staffelter Hof ein kleines, aber aussagekräftiges Ensemble von Unternehmen, deren Existenz über Zeiträume hinweg dokumentiert ist, die normalerweise eher mit Staatsgründungen, Klosterreformen oder geologischen Prozessen verbunden werden. Solche Beispiele ergänzen aktuelle Analysen zu Unternehmen und Wirtschaft um eine historische Dimension, die sonst leicht übersehen wird.