Wettlauf um den Code

Wie Blockchain die Forschung verändert

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Symbolbild: Die Blockchain sichert Daten unveränderbar - sofern sie dezentral ist. )kcotS ebodAOOP IOHC(Foto: © 

Wissenschaft steckt im Umbruch: Immer häufiger behindern geschlossene Daten, fehlende Transparenz und veraltete Publikationsmodelle den Fortschritt. Blockchain-Technologien eröffnen neue Wege, um Forschung nachvollziehbar, kollaborativ und unabhängig zu gestalten. Sie könnten die Regeln verändern – nicht nur technisch, sondern auch kulturell. Doch wie viel Dezentralität verträgt die Wissenschaft?

Wissenschaft lebt vom Austausch und von der Nachprüfbarkeit. Doch gerade in der medizinischen oder naturwissenschaftlichen Forschung geraten traditionelle Strukturen zunehmend an ihre Grenzen. Studienergebnisse werden zurückgehalten, Datensätze sind oft nicht frei zugänglich, und Reproduzierbarkeit bleibt vielerorts eine Herausforderung.

Blockchain-Technologien versprechen hier eine neue Art der Offenheit. Durch fälschungssichere und unveränderbare Einträge in dezentral geführten Netzwerken lassen sich Forschungsdaten dauerhaft speichern und jederzeit öffentlich einsehbar machen – ohne auf zentrale Server oder Institutionen angewiesen zu sein. Das erhöht nicht nur die Nachvollziehbarkeit, sondern auch das Vertrauen in die Ergebnisse.

Ein Beispiel: Bei klinischen Studien lassen sich Zeitpunkte von Dateneingaben, Patienteninformationen (pseudonymisiert) und Änderungen am Studienprotokoll blockchainbasiert protokollieren. Damit wird eine klare Prüfbarkeit geschaffen – für Ethikkommissionen, Drittgutachter und die Öffentlichkeit gleichermaßen.

Wissenschaftliche Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg

Ein zentrales Versprechen der Blockchain ist ihre Dezentralität – und genau diese Eigenschaft wird auch für die internationale Forschungslandschaft zunehmend interessant. In einem globalen Wissenschaftssystem mit verteilten Partnern, unterschiedlichen Regularien und sensiblen Inhalten schafft die Technologie eine neutrale technische Infrastruktur.

Decentralized Science, kurz „DeSci“, ist das Schlagwort einer Bewegung, die Forschungskooperation unabhängig von institutionellen Hürden denkt. Über dezentrale Protokolle können Forscher weltweit gemeinsam an Projekten arbeiten, ohne zwingend einer zentralen Autorität – etwa einem Verlag oder einer Universität – unterstellt zu sein. Smart Contracts regeln beispielsweise Zugriffsrechte auf Daten, die Vergabe von Rechenressourcen oder automatisierte Vergütungssysteme für Beitragende.

Gerade in der Umwelt- und Klimaforschung, wo Daten aus vielen Quellen – von Sensoren, Universitäten und NGOs – zusammengeführt werden müssen, wird der Einsatz von Blockchain zur Koordinationsplattform immer realistischer. Sie macht Datenquellen transparent, schützt Urheberrechte und ermöglicht ein faires Teilen von Ergebnissen.

Vertrauen durch fälschungssichere Dokumentation

Reproduzierbarkeit ist eine der größten Herausforderungen moderner Wissenschaft – und zugleich ein Bereich, in dem Blockchain eine wichtige Rolle spielen kann. Die genaue Dokumentation von Laborprozessen, Messwerten oder Auswertungsmethoden lässt sich in einer Blockchain so speichern, dass spätere Änderungen sichtbar und nachvollziehbar bleiben.

Laborjournale in digitaler Form, abgesichert über sogenannte Hash-Funktionen, könnten so zum neuen Standard werden. Auch in der Materialwissenschaft oder der Biotechnologie – wo kleinste Abweichungen große Auswirkungen haben – wäre diese lückenlose Rückverfolgbarkeit ein echter Fortschritt. Forscherteams wären damit in der Lage, ihre Experimente nicht nur zu beschreiben, sondern auch maschinenlesbar exakt zu belegen.

Auch für Prüfungs- und Zertifizierungsprozesse innerhalb der Forschung, etwa bei medizinischen Geräten oder pharmazeutischen Studien, bietet die Technologie Vorteile. Durch die Unveränderbarkeit der Einträge wird sichergestellt, dass keine nachträglichen Manipulationen möglich sind – ein Aspekt, der auch für die Akzeptanz bei Aufsichtsbehörden zunehmend wichtig wird.

Tokenisierung wissenschaftlicher Arbeit

Ein besonders dynamisches Feld entsteht rund um die Frage, wie wissenschaftliche Beiträge in digitalen Umgebungen vergütet oder sichtbar gemacht werden können. Klassische Publikationssysteme kranken häufig an Intransparenz, hohen Zugangshürden und einem starken Einfluss großer Verlage. Blockchain-basierte Netzwerke setzen hier an – mit Modellen, bei denen wissenschaftliche Leistungen über Token vergütet oder bewertet werden.

Immer mehr wissenschaftliche Plattformen testen eigene Blockchain-Systeme, um Forschungsdaten sicher zu speichern oder Zugriff über Token zu steuern. Dadurch entstehen regelmäßig neue Coins, die nicht in erster Linie als Wertspeicher dienen, sondern als funktionale Bausteine in digitalen Wissenschaftsökosystemen. Nutzer, die Daten beisteuern, Analysen validieren oder Peer-Reviews durchführen, können mit Token belohnt werden – ein Anreizsystem, das über zentrale Plattformen bislang nur schwer realisierbar war.

Zudem ermöglicht die Tokenisierung neue Formen der Crowdfinanzierung von Forschung: Projekte können gezielt Mittel einsammeln, die an digitale Beteiligungsrechte geknüpft sind. So werden auch kleinere Forschungsteams unabhängig von großen Geldgebern und können ihre Themen direkt mit der Community abstimmen.

Zwischen Technik und Ethik: Der menschliche Faktor bleibt entscheidend

Trotz aller technologischen Möglichkeiten bleibt die Frage, wie solche Systeme verantwortungsvoll gestaltet und genutzt werden können. Eine Blockchain kann zwar Daten transparent machen – aber nicht automatisch für Qualität, Fairness oder ethische Korrektheit sorgen. Gerade im Umgang mit sensiblen Informationen, etwa aus der Genomforschung oder psychologischen Studien, ist eine sorgfältige Regulierung erforderlich.

Entscheidend ist daher nicht nur die Infrastruktur, sondern auch der institutionelle und gesellschaftliche Rahmen, in dem Blockchain-Anwendungen in der Forschung zum Einsatz kommen. Datenschutz, Inklusion und wissenschaftliche Integrität müssen weiterhin im Mittelpunkt stehen. Die Technologie ist Werkzeug – kein Selbstzweck.

Zudem braucht es Interoperabilität: Nur wenn Systeme über Institutionsgrenzen hinweg funktionieren und keine isolierten Datensilos schaffen, kann der volle Mehrwert einer dezentralen Forschung entstehen. Erste Pilotprojekte zeigen, dass dies technisch möglich ist – es bleibt jedoch eine Herausforderung, Standards zu etablieren, die weltweit akzeptiert werden.

Neue Perspektiven für eine offene Wissenschaft

Die Integration von Blockchain-Technologie in wissenschaftliche Prozesse steht zwar noch am Anfang, bringt aber bereits jetzt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und internationale Kollaboration lassen sich durch dezentrale Systeme besser realisieren als mit klassischen Mitteln.

Dabei geht es nicht um den Ersatz bestehender Forschungstraditionen, sondern um deren sinnvolle Erweiterung. Technische Offenheit, gerechte Teilhabe und digitaler Vertrauensaufbau werden zu Leitprinzipien, die nicht nur die Art zu forschen, sondern auch die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft verändern können.

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