Dennis L.
Gerüchte und Konzeptstudien zeigen ein Starship, das auf dem Mond nicht mehr senkrecht auf Landebeinen steht, sondern horizontal in eine vorbereitete Struktur eintaucht. Hinter dieser Idee steckt mehr als nur ein spektakuläres Bild: Eine niedrigere Einstiegshöhe, geringere mechanische Belastungen und ein engerer Zusammenhang mit einer dauerhaften Mondbasis sind zentrale Argumente. Zugleich stellt eine horizontale Mondlandung extrem hohe Anforderungen an Navigation, Strukturfestigkeit und die Kontrolle von Triebwerksplumen bei nur einem Sechstel der Erdgravitation.
Die Entwicklung von Starship als wiederverwendbare Rakete markiert bereits heute einen tiefen Einschnitt in die Raketentechnik. Das System von SpaceX besteht aus dem Super-Heavy-Booster und dem eigentlichen Raumschiff, das in der Mondversion als reiner Lander ohne Hitzeschild und Steuerklappen ausgelegt wird. Offizielle Visualisierungen zeigen bislang einen rund 50 Meter hohen Lander, der bei der Mondlandung auf relativ kurzen Landebeinen steht und Astronauten per Aufzug zur Oberfläche bringt. Parallel dazu kursieren inzwischen Entwürfe, in denen Starship nicht mehr wie ein Turm auf der Oberfläche steht, sondern in Seitenlage auf einer Art Andockgerüst ruht. Diese Konzepte reagieren auf die Frage, wie ein so großes Fahrzeug auf losem Regolith stabilisiert und gleichzeitig sinnvoll für Fracht und Besatzung genutzt werden kann; sie greifen die langfristige Vision einer modularen Mondbasis auf, in die das Raumschiff baulich eingebunden wird. Das Raumfahrtunternehmen SpaceX betrachtet Starship ohnehin als zentrales Transportmittel für Mond- und spätere Marsmissionen, sodass jede mögliche Verbesserung der Bodenoperationen große strategische Bedeutung erhält.
Parallel dazu rückt die grundlegende Frage in den Fokus, welche Art von Landekonfiguration bei wiederverwendbaren Systemen langfristig optimal ist. In der klassischen vertikal startenden und vertikal landenden Architektur muss ein erheblicher Anteil des Treibstoffs allein für Brems- und Landemanöver vorgehalten werden, was die Nutzlast mindert. Dem gegenüber stehen vertikal startende, aber horizontal landende Konzepte, bei denen Tragflächen oder Körperauftrieb die Abbremsung übernehmen und das Fahrzeug wie ein Flugzeug auf einer Bahn aufsetzt. Eine Studie im Fachjournal Aerospace untersucht ein solches vertikal-startend–horizontal-landendes Zwei-Stufen-System mit multidisziplinärer Optimierung und zeigt, dass sich damit Treibstoff einsparen lässt, allerdings um den Preis höherer Strukturmassen und deutlich komplexerer Aerodynamik. Studie im Fachjournal Aerospace liefert damit einen physikalischen Rahmen, um auch für Starship die Vor- und Nachteile einer horizontalen Landung auf dem Mond zu diskutieren, obwohl es sich dort nicht um einen Gleitanflug in Atmosphäre, sondern um eine rein triebwerksgestützte Bodenphase im Vakuum handelt.
Die aktuell diskutierten Szenarien gehen meist davon aus, dass Starship den Mond weiterhin mit seiner Triebwerkssektion voran erreicht und in geringer Höhe über dem Boden schwebt. Erst in der Schlussphase würde das Fahrzeug leicht kippen, bis der Rumpf mit speziell verstärkten Kontaktpunkten in eine vorbereitete Struktur einsinkt. Diese Struktur könnte aus einem ringförmigen Stahl- oder Regolithverbund bestehen, der den Zylinder entlang einer „Kiellinie“ trägt und das Gewicht großflächig verteilt. In einigen Konzepten dient dieser Träger zugleich als Andockpunkt für weitere Module, sodass das seitlich liegende Starship direkt zur Keimzelle einer Mondbasis wird. Während der eigentlichen Mondlandung müssten Steuertriebwerke rund um den Umfang des Rumpfs dafür sorgen, dass Rotationen und Seitenbewegungen im letzten Meter exakt kontrolliert werden, damit der Aufsetzpunkt innerhalb weniger Zentimeter getroffen wird.
Ein zentrales Element in diesen Überlegungen ist die bereits etablierte Architektur des Artemis Programms. Die NASA sieht vor, dass zwei Astronauten aus der Orion-Kapsel in der Mondumlaufbahn in die Landefähre wechseln, mit dieser landen und am Ende der Mondlandung wieder zur Umlaufbahn zurückkehren. Offizielle Unterlagen zur Entwicklung der Human Landing Systems beschreiben Starship HLS bislang als senkrecht stehenden Lander mit Aufzug, der als temporärer Lebensraum auf der Oberfläche dient und in mehreren Missionen wiederverwendet werden soll. Die Beschreibung betont die Notwendigkeit, in unterschiedlichen Geländetypen sicher landen und als Habitat fungieren zu können, was bei einer horizontalen Variante zusätzliche Anforderungen an die Geometrie der Andockstruktur und die Lage der Schotts und Leitungen in der Fahrzeughülle erzeugen würde. In den Entwicklungsunterlagen zum Human Landing System Programm wird zudem hervorgehoben, dass Starship HLS rund 50 Meter hoch sein wird und einen Aufzug zwischen Plattform und Mondoberfläche nutzt, was die Voraussetzung für alle bisher veröffentlichten vertikalen Designs schafft.
Eine horizontale Landung auf dem Mond benötigt daher zusätzliche Infrastruktur, die der vertikale Ansatz nicht verlangt. Vorstellbar sind vorgefertigte Träger, die unbemannt abgesetzt werden, oder aus vor Ort verfügbarem Regolith additive gefertigte Strukturen, die wie eine Wiege wirken. Der Ansatz erinnert konzeptionell an Vorschläge für kraftstoffsparende, horizontal landende Erststufen, bei denen die eigentliche Landeeinrichtung – etwa eine Bahn mit Fangvorrichtung – die Strukturbelastung reduziert. Im luftleeren Raum des Mondes gibt es jedoch keine aerodynamische Stabilisierung, und das Fahrzeug müsste seine horizontale Lage allein über Triebwerke und Reaktionskontrollsysteme halten. Fehler im Timing könnten dazu führen, dass Starship seitlich über die Struktur hinausgleitet oder mit ungünstigem Winkel aufsetzt, was starke Biegemomente in den Tanks erzeugen würde.
Die Befürworter einer horizontalen Mondlandung verweisen zunächst auf den deutlich niedrigeren Schwerpunkt nach dem Aufsetzen. Ein 50 Meter hoher Zylinder, der auf vergleichsweise schmalen Landebeinen steht, reagiert empfindlich auf Bodenunebenheiten, lokale Regolithtaschen oder Kraterränder. In der Seitenlage verteilt sich die Kontaktfläche über mehrere Meter, was die Flächenpressung reduziert und das Risiko eines Kippens praktisch eliminiert. Für längere Aufenthalte lässt sich die Struktur mehrfach abstützen, sodass auch Druckschwankungen in den Tanks oder lokale thermische Spannungen besser abgefangen werden. Die Mondgravitation von etwa 1,62 m/s² führt außerdem dazu, dass selbst ein massereiches System auf der Oberfläche nur einen Bruchteil seines Gewichts auf der Erde ausübt, was den notwendigen Sicherheitsfaktor für eine derartige Trägerstruktur senkt.
Hinzu kommt die praktische Handhabung von Fracht und Experimenten. In den vertikalen Konzepten wird häufig ein Aufzug beschrieben, der Container und Astronauten über mehrere Dutzend Meter Höhe transportiert. In einer horizontalen Konfiguration könnte die Luke direkt in Bodennähe liegen, ähnlich wie bei einem seitlich geöffneten Frachtflugzeug. Das senkt die mechanische Komplexität, erleichtert den Aufbau größerer Habitate und verringert die Abhängigkeit von einzelnen Hebesystemen. Langfristig wäre es denkbar, dass ein liegendes Starship teilweise mit Regolith überschüttet wird, um als abgeschirmter Modulbaukörper einer Mondbasis zu dienen. Frühere Diskussionen über eine künftige Mondbasis betonen ohnehin die Bedeutung großvolumiger Druckkörper, die mit begrenztem Aufwand vor Strahlung geschützt werden können, was die Integration eines Raumschiffs als vorgefertigte Hülle begünstigt. Eine geplante, schrittweise Erweiterung hin zu einer permanenten Mondbasis passt damit gut zur Idee, wiederkehrend liegende Starship-Hüllen als modulare Baugruppen zu nutzen.
Für die Missionsarchitektur bringt der horizontale Ansatz ebenfalls mögliche Vorteile. Fracht- und Crewkonfigurationen ließen sich trennen, indem einzelne liegende Starships als reine Frachtmodule dienen, während andere als Wohn- und Laborsegmente ausgelegt sind. Im Vergleich zu einer ausschließlich aufrecht stehenden Flotte könnten die Versorgungswege an der Oberfläche kompakter und besser gegen Staub geschützt gestaltet werden, weil Schnittstellen und Andockpunkte auf einer nahezu einheitlichen Höhe liegen. In der Summe eröffnet eine horizontale Mondlandung damit eine andere, stärker „infrastrukturelle“ Sicht auf das System: Nicht das einzelne Fahrzeug steht im Mittelpunkt, sondern ein Netzwerk aus wiederverwendbaren Hüllen, Trägern und Verbindungsmodulen, das sich iterativ zu einer komplexen Mondbasis ausbauen lässt.
Die physikalischen Risiken einer horizontalen Mondlandung sind jedoch erheblich. Schon der Übergang von einem stabilen Schwebeflug zu einer kontrollierten Kippbewegung erfordert eine extrem präzise Steuerung der Triebwerke, da kleinste Asymmetrien in der Schubverteilung das Fahrzeug in Rotation versetzen können. Anders als bei einer klassischen Mondlandung mit strikter vertikaler Achse wirken hier starke Querkräfte auf Struktur und Tanks. Der Tankzylinder und die innere Versteifung von Starship sind bislang darauf ausgelegt, Lasten in Längsrichtung aufzunehmen; bei einem seitlichen Aufsetzen kommen neue Lastpfade hinzu, die möglicherweise zusätzliche Ringstruktur oder Rippen erforderlich machen. Analysen zu horizontallandenden Erststufen zeigen, dass die Massenbilanz durch solche Verstärkungen deutlich beeinflusst wird, was die Nutzlastkapazität reduziert. Die Frage, ob dieser Verlust durch Vorteile bei Zugang und Infrastruktur aufgewogen wird, ist derzeit offen und hängt stark vom Ausmaß der geplanten Mondbasis ab.
Hinzu kommt das Problem des Regoliths. Triebwerksplumen können beim Aufsetzen Gesteinsfragmente mit hoher Geschwindigkeit beschleunigen und damit sowohl die Landeeinrichtung als auch andere Elemente der Mondbasis beschädigen. Während vertikale Konzepte versuchen, dieses Risiko durch hochgelegene, seitliche Triebwerke und eine begrenzte Brenndauer in Bodennähe zu reduzieren, verteilt eine horizontale Landung die Ablagerung von Staub und Geröll möglicherweise ungleichmäßig entlang der Fahrzeugseite. Jede langfristig genutzte Struktur müsste deshalb so ausgelegt sein, dass wiederholte Landungen den Untergrund nicht in eine von Kratern durchsetzte, schwer kontrollierbare Landschaft verwandeln. Bereits erste Tests der Starship-HLS-Andocksysteme zeigen, wie viel Aufwand nötig ist, um allein das präzise Koppeln von Raumfahrzeugen in der Mondumlaufbahn zu qualifizieren; die Übertragung vergleichbarer Präzisionsanforderungen auf eine komplexe Bodenstruktur wäre ein weiterer großer Entwicklungsschritt.
Ein weiterer Punkt sind Sicherheits- und Notfallstrategien. Bei einer senkrechten Mondlandung kann ein Teil der Missionsrisiken durch redundante Landebeine und alternative Schubprofile abgefangen werden; im Extremfall bleibt ein beschädigtes Bein, während die restliche Struktur das Umkippen verhindert. In der horizontalen Variante ist die Landefläche zwar größer, doch ein Versagen der Trägerstruktur könnte große Teile des Rumpfs betreffen. Notfallkonzepte müssten vorsehen, wie die Besatzung ein teilweise beschädigtes Fahrzeug verlassen und von der Mondbasis aus evakuiert werden kann, falls die Hülle sich durch Verformung nicht mehr druckhaltig betreiben lässt. Auch die Frage, ob im Notfall ein liegendes Starship wieder gestartet werden kann oder ob die Missionsplanung von vornherein nur einen einmaligen Einsatz zulässt, beeinflusst die Architektur des Artemis Programms und die Nutzung von Starship als wiederverwendbare Rakete.
Offizielle Dokumente beschreiben Starship HLS nach wie vor als senkrecht landenden Lander, der über einen Aufzug und vergleichsweise kurze Landebeine verfügt. Die NASA betont, dass für Artemis III zunächst eine unbemannte Demonstrationsmission vorgesehen ist, bevor Astronauten in der Nähe des lunaren Südpols landen. In dieser Phase sollen vor allem die kritischen Elemente der Missionskette – Treibstofftransfer im All, präzise Mondlandung und sichere Rückkehr zur Umlaufbahn – unter realen Bedingungen getestet werden. Eine Abweichung von der bereits qualifizierten vertikalen Geometrie hin zu einer horizontalen Konfiguration würde zusätzliche Entwicklungszyklen und Testkampagnen erfordern, was angesichts ohnehin verschobener Zeitpläne für bemannte Mondlandungen als erhebliches Risiko gilt.
Gleichzeitig zeigt die Diskussion um horizontale Mondlandungen, wie dynamisch die Raumfahrtplanung geworden ist. Schon jetzt arbeiten mehrere Industriepartner an unterschiedlichen Landekonzepten, die von klassischen Landebeinen bis zu ausgefeilten Katapult- und Abwurfmechanismen reichen. Kreative Ansätze, etwa eine Mondlandung per Katapult, verdeutlichen, wie groß der Spielraum für unkonventionelle Ideen ist, wenn das Ziel eine langfristig betriebene Mondbasis ist. Auch bei SpaceX selbst haben Testflüge und Explosionen einzelner Prototypen gezeigt, wie stark sich Entwürfe im Verlauf der Entwicklung verändern können. Frühere Berichte über das SpaceX Starship und die Explosion eines Starship-Prototyps illustrieren, wie stark Erfahrungen aus früheren Testkampagnen spätere Designentscheidungen beeinflussen. Ob eine horizontale Mondlandung jemals über spekulative Entwürfe hinausgeht, hängt daher nicht nur von technischen Berechnungen ab, sondern auch von Zeitplänen, Budgets und der Frage, wie schnell eine tragfähige Infrastruktur auf dem Mond aufgebaut werden kann.
Aerospace, Preliminary Sizing of a Vertical-Takeoff–Horizontal-Landing TSTO Launch Vehicle Using Multidisciplinary Analysis Optimization; doi:10.3390/aerospace12070567