Menschen handeln auf Befehl

Warum man Menschen dazu bringen kann, Böses zu tun

D. Lenz

Beispiel für Folter durch Elektroschocks. )gro.aidepikiwsreteP keraM(Foto: © 

Ein interessantes Experiment haben Forscher vor über 50 Jahren durchgeführt, um den Unterschied zwischen freier Entscheidung und Befehl festzustellen. Dieses Experiment wurde vom US-amerikanischen Psychologen Stanley Milgram durchgeführt und machte weltweit Schlagzeilen.

London (England). Um den Gehorsam gegenüber einer autoritären Person zu testen, ließ Stanley Milgram 1.961 Probanden einen vorgegebenen Elektroschock auslösen, wenn Personen im Nebenraum die gestellten Aufgaben nicht lösen konnten. Was die Probanden nicht wussten: Der Schmerzempfänger im Nebenraum war ein Schauspieler und simulierte starke Schmerzen durch Schreien. Für die Probanden gab es kein Limit. Der Schmerzempfänger konnte noch so laut schreien, der Proband machte weiter, obwohl er mit seinem Gewissen rang.

Warum fügen Menschen anderen Menschen schaden zu?

Das Hauptergebnis der Studie zeigte, dass ein erwachsener Mensch eine extreme Bereitschaft hat, einer Autorität zu folgen. Diese Tatsache verlangte für Milgram eine Erklärung. Die Arbeit, die er 1964 publizierte, gilt bis heute als klassisches Experiment der Psychologie. Sein Ergebnis zeigte, warum im Dritten Reiche viele Menschen bereit waren, am Tod und an der Folter ihrer Mitmenschen mitzuwirken.

Handeln auf Befehl

Das Experiment wurde ethisch und methodologisch kritisiert. Trotzdem hat es viele Wissenschaftler dazu bewogen, eine solche Handlung detaillierter zu erforschen. Die aktuellste Studie auf den Spuren von Milgram führte das belgisch-britische Team von Patrick Haggard durch. Als Ansatzpunkt bezogen sich die Kognitions- und Neurokognitionsforscher auf Angeklagte, die bei den früheren Nürnberger Prozessen ausgesagt hatten, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten.

In diesem Fall fragten sich die Wissenschaftler, ob die Personen mit ihren Aussagen nur vermeiden wollten, dass sie zur Verantwortung gezogen wurden oder ob doch mehr hinter diesem Verhalten steckt. Wo ist der Unterschied zwischen einer freiwilligen Entscheidung, jemandem zu schaden und dem tatsächlichen Ausführen eines Befehls?

Die Wahrnehmung von negativen Konsequenzen

Das indirekte Maß, dass sich Haggard und die Kollegen zu Nutze machten, ist das Autonomieempfinden. Wenn ein Mensch etwas Positives verursacht, zum Beispiel das Licht anmacht, in dem er auf einen Lichtschalter drückt, dann wird das Autonomieempfinden bewusst wahrgenommen. Anders ist das bei negativen Handlungen. Diese Handlungen, die beispielsweise einen Ekel oder Schmerz hervorrufen, werden von den Menschen anders wahrgenommen. Sie scheinen in keinem Bezug mit einer aktiven Handlung der Person zu stehen.

Im Fachblatt Current Biology ist eine neue Studie erschienen, in dem der Unterschied zwischen einem Befehl und der freien Entscheidung zu einer Handlung untersucht wurde. Der Test fand mit zwei Probanden statt. Der erste erhielt Geld wenn er den Anderen verschonte und noch mehr Geld, wenn er ihn mit Elektroschocks quälte. Die Entscheidung wurde per Knopfdruck bestätigt und der erste Proband musste schätzen, wie lange die Entscheidung und ein danach erfolgter Bestätigungston auseinanderlagen. Bei einem zweiten Experiment erhielt der erste Proband eine klare Ansage und schätzte die danach folgende Dauer zwischen Druck und Ton wesentlich höher ein. Die Autoren vermuteten, dass das auf ein reduziertes Autonomieempfinden zurückzuführen ist.

Die Studie soll keine Legitimation für derartige Verteidigungstaktiken sein, sondern jeder Täter ist für seine eigene Handlung verantwortlich.

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