Robert Klatt
Konkurrenzdruck, etwa in der Schule oder am Arbeitsplatz, schadet der Atmosphäre, reduziert soziales Verhalten und verändert die Persönlichkeit des Menschen
Würzburg (Deutschland). Anreizsysteme ähneln oft einem Wettbewerb, etwa für die höchsten Verkaufszahlen. Sie sollen in einem Unternehmen die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter erhöhen, indem für das Erreichen eines bestimmten Ziels oder einer Platzierung innerhalb des Teams eine Prämie vergeben. Studien zeigen, dass diese Systeme die Produktivität erhöhen können, aber aufgrund der internen Konkurrenz auch die Kooperation zwischen Kollegen verschlechtern.
In der Psychologie besteht deshalb seit Langem die Frage, ob sich Menschen langfristig an den Konkurrenzdruck gewöhnen und ob dieser ihre f beeinflusst. Forscher der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben nun eine Studie publiziert, die sich erstmals mit diesen Fragen beschäftigt hat.
„Wir haben an Schulen untersucht, wie eine länger andauernde Konkurrenzsituation das prosoziale Verhalten von Jugendlichen beeinflusst, also ihre Hilfsbereitschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen.“
Laut einer Publikation im Fachmagazin Journal of the European Economic Association basiert die Studie auf Daten von Schulen in Chile. Die ausgewählten Schulen nehmen am Programa de Acceso a la Educación Superior (PACE) teil, das das Ziel hat, mehr Schulabgänger aus sozial schwachen Familien an die Universitäten zu bringen. Dazu erhalten die besten 15 Prozent der Schüler einen garantierten Studienplatz und die normalerweise nötige zentrale Aufnahmeprüfung für Universitäten muss nicht absolviert werden.
An den Schulen entsteht dadurch vor allem bei Jugendlichen aus ärmeren Familien, die normalerweise nur schwer einen Studienplatz über das zentrale Zulassungssystem erhalten, ein hoher Konkurrenzdruck. Um die besten 15 Prozent der Schüler zu ermitteln, werden die Noten von zwei Schuljahren verwendet. Es besteht somit ein lang anhaltender Wettbewerb zwischen den Schülern.
Um die Auswirkungen des Konkurrenzdrucks zu analysieren, haben die Forscher rund 5.000 Schüler befragt. Diese stammen sowohl von Schulen, die am PACE teilnehmen, als auch von Schulen, die dies nicht tun. Die Fragen behandeln sowohl die Schulatmosphäre, etwa „Wie sehr stimmen Sie folgender Aussage zu: Es herrscht großer Wettbewerb um die besten Noten in meiner Klasse?“, als auch das soziale Verhalten der Schüler, etwa „Wie sehr sind Sie bereit, anderen zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?“.
Die Antworten zeigen deutlich, dass die lang anhaltende starke Konkurrenz den Charakter der Schüler beeinflusst und ihre Hilfsbereitschaft und das Vertrauen in ihre Mitschüler deutlich senkt. Die beobachteten Effekte bestehen nicht nur im Wettbewerb, sondern noch mehrere Jahre danach.
„Der dauerhafte Wettbewerb verändert also nicht nur das situative Verhalten. Er beeinflusst auch die Persönlichkeitsentwicklung.“
Angesichts der Ergebnisse sprechen sich die Forscher dafür aus, die Regeln des Wettbewerbs zu verändern, um die negativen Auswirkungen abzumildern. Es ist laut ihnen denkbar, dass der Wettbewerb um die Studienplätze nicht mehr zwischen Schülern einer Schule ausgetragen wird, sondern zwischen bestimmten Schulen. Diese Maßnahme würde den schulinternen Konkurrenzdruck senken und könnte dazu führen, dass die Schüler sich mehr unterstützen, um ihre Schule möglichst gut zu positionieren.
Journal of the European Economic Association, doi: 10.1093/jeea/jvaf030