Digitaler Overkill

Geringe Resilienz bei der Nutzung digitaler Medien

Dennis L.

Nachrichten über Pandemie, Krieg, Inflation & Klimawandel schlagen bei immer mehr Menschen auf die Psyche. )kcotS ebodAlanodoht(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Pandemie, Krieg, Inflation & Co. sorgen für einen digitalen Overkill
  • Immer mehr Menschen leiden unter digitalem Stress und medienbedingter Angst
  • Weniger Medienkonsum wirkt sich positiv auf das allgemeine Wohlbefinden aus

Eine aktuelle Studie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz kommt zu dem Schluss, dass in der gegenwärtigen Krise ein digitaler Overkill zu beobachten ist. Psychologisch gesehen sind Stress und Angst als indirekte Nebenwirkung der Krise immer häufiger anzutreffen.

Hamburg (Deutschland). Im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung der Mediennutzung hat eine aktuelle Studie des VOCER-Instituts für digitale Resilienz ergeben, dass Nutzer qualifizierte Informationen oft nicht erkennen und mit ungeprüften oder unseriösen Quellen verwechseln.

Die Studie zeigt zudem, dass psychische Belastungen durch die Krisen- und Kriegssituation immer häufiger werden. Ein zentrales Ergebnis ist, dass sich viele Befragte angesichts von Pandemie, Krieg, Inflation und Klimawandel Sorgen um ihre Zukunft machen; sie sind überfordert oder in einigen Fällen emotional ausgebrannt. Die Forscher betonen die Wichtigkeit der Resilienz, um unter anderem mit Ängsten und Stress umgehen zu können.

Die Autoren bieten eine Reihe von Vorschlägen, wie ein gutes Gleichgewicht zwischen der Online- und der Offline-Welt erreicht werden kann. In ihren qualitativen Umfrageergebnissen zeigten sich die Befragten besorgt über das wachsende Suchtpotenzial, Desinformation und die allgemeine Vernachlässigung des Diskurses in den sozialen Medien. Die Autoren fordern eine ernsthaftere Diskussion über die übermäßige Nutzung von Online-Medien.

Digitaler Overkill ist eine immense Belastung

Die Studie Digitale Resilienz in der Mediennutzung von Forschungskoordinator am Zentrum für Medienforschung der Universität Bremen Dr. Leif Kramp und Leiter des VOCER-Instituts für digitale Resilienz Dr. Stephan Weichert untersucht, wie es den Mediennutzern in diesen krisengeschüttelten Zeiten geht und ob sie es schaffen, dem digitalen Overkill zu entkommen und trotzdem auf dem Laufenden zu bleiben. Mittels qualitativer Leitfadeninterviews und Medientagebüchern befragten die renommierten Digitalexperten ausgewählte Bundesbürger aus ganz Deutschland zu ihrer digitalen Mediennutzung.

„Angesichts der Krisen- und Kriegssituation treiben diese Menschen Ängste und Sorgen um. Wir erkennen in ihrer digitalen Mediennutzung ein doppeltes Dilemma, das sich in ganz unterschiedlicher Ausprägung mit Begriffen wie News Avoidance, News Burnout und News Shaming beschreiben lässt.“

Auf der einen Seite wollen die Nutzer aktuelle Nachrichten lesen, aber sie wollen davon nicht überfordert werden. Auf der anderen Seite versuchen journalistische Redakteure, die Menschen über die Nachrichtenlage zu informieren, aber nicht so sehr, dass sie überfordert werden, kommentiert Weichert die Studienergebnisse.

„Digitale Medien können inspirieren und emotional erfüllend sein, aber auch Stress und psychisches Unwohlsein befördern. Dies zeigt sich in besorgniserregendem Maße gerade bei jüngeren Menschen, die ihren Alltag und ihre sozialen Bezüge zu wesentlichen Teilen digital vernetzt leben. Wir haben mit Nutzerinnen und Nutzern gesprochen, die ihren Medienkonsum inzwischen auf ein Minimum reduziert haben und beispielsweise Nachrichten komplett meiden, um nicht andauernd mit Krisen und Problemen konfrontiert zu sein.“

Dies wird laut Kramp für die redaktionellen Medien zunehmend problematisch: Das Nachrichten- und Informationsverhalten der Bevölkerung verlagert sich zum Teil in die sozialen Medien, in private Messenger-Gruppen oder in geschlossene Chat-Foren, und dort erkennt man verlässliche Informationen oft nicht oder verwechselt sie mit ungeprüften Quellen.

Psychische Überlastung, Suchtverhalten und kreative Bewältigungsstrategien

In Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa wurden rund 1.000 Personen in Deutschland ab 14 Jahren befragt, von denen 60 Personen identifiziert und für eine Folgebefragung ausgewählt wurden. Die Intensivinterviews zur Nutzung digitaler Medien geben Einblicke in unterschiedliche Muster der Erschöpfung und Verarbeitung in Krisenzeiten sowie in die teils kreativen Bewältigungsstrategien der Nutzer.

Die Ergebnisse der Umfrage belegen, dass die Befragten neben der psychischen Überlastung und dem Suchtverhalten durch den digitalen Medienkonsum mit kreativen Bewältigungsstrategien (z.B. Ruhepausen in der Natur, häufigerer persönlicher Austausch mit Familie und Freunden, Einschränkung der Aktivitäten in sozialen Netzwerken und Schutz durch gezielte Auswahl von Inhalten) versuchen, sich von den Online-Ablenkungen zu distanzieren, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Es sei gut, so Kramp und Weichert, dass gerade die journalistischen Online-Angebote einen hohen Stellenwert einnehmen und Vorteile in der professionellen Medienberichterstattung zu beobachten sind:

„Im Journalismus erkennen viele Menschen die Funktion, konstruktive Diskurse anzuregen, neue Erkenntnisse über Themen zu liefern sowie die Mächtigen in Gesellschaft und Politik zu kontrollieren.“

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Lokaljournalisten genießen ein deutlich höheres Vertrauen als private Nachrichtenunternehmen. Dieser Vertrauensvorschuss gilt insbesondere für die journalistischen digitalen Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Regionalzeitungen, heißt es von den Studienautoren.

Trotz der allgemein sehr hohen Beliebtheit von Medienangeboten zeigt die Studie, dass digitale Medien verschiedene Stressoren verstärken: „Die Forschung des VOCER-Instituts für Digitale Resilienz liefert viele fundierte Hinweise auf die Resilienzstrategien von Mediennutzern gegen digitale Stressauslöser“, sagt Julia Rotherbl, Co-Chefredakteurin der Apotheken Umschau. „Für die Apotheken Umschau als erste Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen ist es zentral, dass gesundheitliche Aspekte der digitalen Gesellschaft mehr Beachtung finden und wir über die psychischen Risiken der Mediennutzung aufklären und im besten Fall konkrete Hilfestellungen geben können“, so Rotherbl.

Debatte über die Insuffizienz und Unzulänglichkeiten digitaler Mediennutzung zum Wohle der Demokratie

Die Studienergebnisse würden damit auf die Notwendigkeit eines neuen Krisenbewusstseins hinweisen und zentrale Anhaltspunkte für eine wissenschaftlich fundierte Resilienzbildung im digitalen Raum liefern. "Auch wenn viele Menschen digitale Medien bereits selbstbestimmt nutzen, gelten insbesondere Hass und Hetze im Internet als die Geißel der Digitalisierung, die eine gesamtgesellschaftliche Polarisierung in atemberaubendem Tempo vorantreibt“, schreiben Kramp und Weichert. Sie fordern daher eine vielschichtige Debatte über die Insuffizienz und Unzulänglichkeiten digitaler Mediennutzung zum Wohle der Demokratie.

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