Bewusster sehen

Visuelle Wahrnehmung lässt sich trainieren

D. Lenz

Mit Training bewusster Sehen. )ed.oilexipkroB arteP(Foto: © 

Das menschliche Gehirn verarbeitet weit aus mehr Reize oder Sinneseindrücke, als uns bewusst ist. Viele visuelle Informationen gelangen dabei aber nicht in unser Bewusstsein. Nun belegen Wissenschaftler, dass sich die bewusste Aufnahme visueller Informationen trainieren lässt.

Frankfurt (Deutschland). Zahlreiche Reize und Sinneseindrücke überfluten regelrecht unser Gehirn. Dabei werden zahlreiche Bilder unbemerkt von unserem Gehirn aufgenommen, aber nicht bewusst verarbeitet. Wissenschaftler des Max Planck Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main konnten in Experimenten belegen, dass sich die bewusste und unbewusste visuelle Wahrnehmung durch gezieltes Training verändern lässt. Die Studie ist nicht nur Grundlagenforschung, denn die Wissenschaftler hoffen zukünftig mit den neuen Erkenntnissen Patienten mit Wahrnehmungsdefiziten, wie beispielsweise nach einem Schlaganfall, besser behandeln zu können.

Wie das Fachportal für Fernstudien im Bereich Psychologie ausführlich beschreibt, gibt es verschiedene Arten der Wahrnehmung. Neben der visuellen Wahrnehmung gibt es noch die auditive Wahrnehmung, die gustatorische Wahrnehmung, die taktile Wahrnehmung, die kinästhetische Wahrnehmung, die vestibuläre Wahrnehmung und die trigenimale Wahrnehmung. Wie die Forscher herausgefunden haben, durchlaufen Reize auf dem Weg ins Gehirn eine Reihe unterschiedlicher Verarbeitungsstufen. Welcher Vorgang dabei allerdings die Aktivität der Neuronen beeinflusst, damit der Reiz in das Bewusstsein gelangt, wollen die Forscher des Max Planck Institut für Hirnforschung klären. "Wir wissen heute, dass die Verarbeitung von Reizen in der Hirnrinde auch noch im Erwachsenenalter hochgradig plastisch, also anpassungsfähig ist", erläutert Caspar Schwiedrzik, der mit seinen Kollegen Wolf Singer und Lucia Melloni die unterschiedlichen Wahrnehmungsprozesse im Gehirn erforscht. In ihrer aktuellen Studie haben die Forscher untersucht, ob sich die visuelle Wahrnehmung durch langfristiges und systematisches Training beeinflussen lässt.

Aus älteren klinischen Studien ist bekannt, dass einige Schlaganfallpatienten, die durch eine Schädigung der Sehrinde in einem Teil des Gesichtsfeldes erblindet sind, visuelle Reize mit dem erblindetem Teil anders wahrnehmen als mit dem gesunden. Spezielle Lernübungen verbessern die optische Wahrnehmung des geschädigten Gesichtsfeldes. Dieser Anreiz stellte die Forscher vor die Frage, ob es erlernbar ist, bewusst zu sehen.

Für Ihre Studie haben die Forscher einen Versuchsaufbau entwickelt, bei denen sich verschiedene Lerneffekte an gesunden Personen messen lassen. Den Versuchsgruppen wurde auf einem Bildschirm für einen ganz kurzen Moment entweder ein Quadrat oder eine Raute gezeigt. Dabei haben die Wissenschaftler die Sichtbarkeit der Bilder eingschränkt, indem sie kurz nach dem Erscheinen des Bildes eine Maske auftauchte, welche die geometrische Figur unsichtbar machte.

In den ersten Veruchen wurden die Bilder so eingeblendet, dass diese für den Betrachter subjektiv unsichtbar waren. Die Versuchgruppen wurden in den darauf folgenden Tagen von den Forschern trainiert. In einem Betrachtungsdurchgang wurde jeweils ein Bild gezeigt und kurz darauf wieder von einer Maske versteckt. Sobald die Versuchpersonen durch einen Knopfdruck anzeigten, welche geometrische Figur sie gesehen haben, lösten sie den nächsten Reiz - eine erneute Maske aus. Diese Übungen wurden bis zu 600 mal pro Tag wiederholt. Bereits nach wenigen Tagen konnten die Versuchpersonen die Zielreize besser auseinanderhalten. Die Bilder drangen stärker ins Bewusstsein. So erwies sich das bewusste Sehen als lernfähig.

"Unsere Versuche haben gezeigt, dass die neuronalen Prozesse, die der bewussten Wahrnehmung zugrunde liegen, sehr flexibel sind", fasst Schwiedrzik die Studienergebnisse zusammen. Die Grundlagenforschung liefert wichtige Informationen für die Medizin, insbesondere für die Rehabilitation von Patienten, die unter Wahrnehmungsdefiziten nach Hirnläsionen leiden.

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