Dennis L.
Parkinson verändert nicht nur Bewegungen, sondern auch die elektrische Aktivität im Gehirn. In den Basalganglien entstehen charakteristische Schwingungen und ein breitbandiges Gehirnrauschen, das sich mit Implantaten direkt messen lässt. Eine neue Studie wertet nun die Tiefenhirnsignale von 119 Patienten mit Tiefer Hirnstimulation systematisch aus und zeigt, dass gerade dieses Rauschen eine präzise elektrische Signatur für motorische Symptome enthält. Entscheidend ist die Kombination aus Beta Wellen und aperiodischer Breitbandleistung, die gemeinsam den Schweregrad der Erkrankung besser abbilden als bisherige Marker. Damit rückt das scheinbar zufällige Hintergrundsignal ins Zentrum der Parkinson-Forschung.
Die Parkinson-Krankheit ist eine chronisch fortschreitende neurodegenerative Störung, bei der nach und nach dopaminproduzierende Nervenzellen in bestimmten Hirnarealen zugrunde gehen. Betroffen sind vor allem die Basalganglien, ein Netzwerk tief im Inneren des Gehirns, das Bewegungen vorbereitet, filtert und koordiniert. Wenn in diesem System die Balance zwischen hemmenden und erregenden Signalen verloren geht, treten typische motorische Symptome auf: Verlangsamung von Bewegungen, Muskelsteifigkeit, Störungen der Feinmotorik und charakteristisches Zittern. Auf der Ebene der elektrischen Aktivität ist seit längerem bekannt, dass in den Basalganglien bestimmte Frequenzbänder verstärkt auftreten, insbesondere Beta Wellen im Bereich von etwa 13 bis 30 Hertz. Zugleich zeigen Messungen ein breites, scheinbar unstrukturiertes Gehirnrauschen, dessen biologische Bedeutung lange unklar blieb. Die Themenübersicht zu Parkinson verdeutlicht, dass sich viele aktuelle Ansätze auf neue Diagnosewege und individualisierte Therapien konzentrieren.
Ein besonders direkter Zugang zum erkrankten Netzwerk entsteht, wenn Elektroden für die Tiefe Hirnstimulation implantiert werden. Diese Implantate können nicht nur elektrische Impulse abgeben, sondern auch lokale Feldpotentiale im subthalamischen Nucleus aufzeichnen. Genau diese Kombination nutzt ein internationales Team, das in mehreren europäischen Zentren Daten von insgesamt 119 Patienten gesammelt hat. In einer Meldung der Max-Planck-Gesellschaft wird beschrieben, wie dieses Projekt im Rahmen des Konsortiums „Neuroscience of Electric Propagation in the Human Brain“ koordiniert wurde und wie aus den aufgezeichneten Spektren eine neue elektrische Signatur abgeleitet wurde, die eng mit der Ausprägung motorischer Symptome verknüpft ist. Der entsprechende Max-Planck-Forschungsbericht verbindet klinische Bewertungen, hochaufgelöste Hirnsignale und moderne Analysen zur Spektral-Parametrisierung.
Lokale Feldpotentiale, die im subthalamischen Nucleus bei wachenden Patienten gemessen werden, enthalten eine Mischung aus regelmäßigen Schwingungen und unregelmäßigem Hintergrundsignal. Klassischerweise interessierten sich Neurowissenschaftler vor allem für schmale Peaks im Frequenzspektrum, etwa Beta Wellen oder schnellere Gamma-Bänder, da diese mit synchronen Aktivitätsmustern von Neuronengruppen in Verbindung gebracht werden. Das breitbandige Gehirnrauschen, dessen Spektrum über viele Frequenzen hinweg kontinuierlich abfällt, wurde dagegen meist als unspezifischer Hintergrund eingeordnet. Die neue Arbeit stellt diese Sichtweise infrage, indem sie das Spektrum in eine aperiodische Breitbandkomponente und überlagerte Oszillationen zerlegt. Der aperiodische Anteil zeigt eine 1/f-ähnliche Struktur und lässt sich über Parameter wie Offset und Steigung beschreiben. Diese Größe soll Informationen darüber tragen, wie aktiv Neuronengruppen im Durchschnitt feuern und wie stark ihre Aktivität in verschiedenen Frequenzbereichen verteilt ist.
Entscheidend ist, dass sich in den Messungen bei Parkinson-Patienten systematische Verschiebungen dieser aperiodischen Breitbandleistung zeigen. Die Forscher analysierten, wie sich Offset und Steigung des Spektrums zwischen stärker und weniger betroffenen Hemisphären unterscheiden und wie sie sich durch Medikamente verändern. Der Offset kann dabei als Maß für die gesamte Energie im Frequenzspektrum verstanden werden, während die Steigung beschreibt, wie stark die Leistung zu höheren Frequenzen hin abfällt. Zusammen mit der Stärke der Beta Wellen und einem unteren Gamma-Band ergibt sich so eine mehrdimensionale elektrische Signatur, die weit über einfache Ein-Band-Marker hinausgeht. Damit rückt das Gehirnrauschen in die Nähe von strukturierten Kenngrößen, die sich als neurologische Biomarker eignen könnten, anstatt nur als störende Messgröße betrachtet zu werden.
Die Datenbasis der Studie besteht aus Feldpotentialen, die während chirurgischer Eingriffe zur Implantation von Elektroden für die Tiefe Hirnstimulation oder im Rahmen anschließender Anpassungen des Stimulators aufgezeichnet wurden. Alle Patienten litten an fortgeschrittener Parkinson-Krankheit und hatten trotz medikamentöser Therapie relevante motorische Symptome. Die Elektroden wurden in den subthalamischen Nucleus implantiert, ein kleines, aber zentral gelegenes Kerngebiet, das in vielen Modellen als Verstärker pathologischer Aktivität innerhalb der Basalganglien gilt. Dort werden die Signale mit hohen Abtastraten aufgezeichnet und anschließend in einzelne Frequenzbänder zerlegt. Parallel dazu bewerteten Neurologen die motorische Symptomatik mit standardisierten Skalen, etwa Varianten der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale, um den klinischen Zustand quantitativ zu erfassen.
Besonders wichtig war die Größe und Heterogenität der Stichprobe. In kleineren Studien hatten sich Zusammenhänge zwischen Beta Wellen und motorischen Symptomen oft als instabil erwiesen, weil zufällige Schwankungen einzelne Effekte überdecken oder verstärken können. Durch die Kombination der Daten aus fünf Zentren ließen sich solche Zufallseffekte deutlich reduzieren. In der zugrunde liegenden EBioMedicine-Studie wurde zudem mit Simulationsrechnungen geprüft, ab welcher Patientenzahl die Korrelationen zwischen Spektralparametern und motorischer Symptomstärke zuverlässig geschätzt werden können. Das Ergebnis: Erst ab etwa 100 Patienten lassen sich stabile Zusammenhänge nachweisen, was die Relevanz großer Multicenter-Datensätze für künftige Studien unterstützt.
Aus den aufgezeichneten Spektren bestimmten die Forscher mehrere Kenngrößen gleichzeitig: die aperiodische Breitbandleistung, die Stärke der Beta Wellen, die Aktivität in einem unteren Gamma-Band sowie die Steigung des aperiodischen Spektrums. Diese Parameter wurden in lineare Modelle eingespeist, die erklären sollten, wie stark die motorischen Symptome eines Patienten ausgeprägt sind. Es zeigte sich, dass Beta Wellen zwar wie erwartet positiv mit motorischer Beeinträchtigung korrelieren, aber allein nur einen Teil der Varianz erklären können. Wenn jedoch auch die aperiodische Breitbandleistung einbezogen wird, steigt der erklärte Anteil spürbar an. Je höher der Offset des Gehirnrauschens im subthalamischen Nucleus, desto klarer lassen sich die motorischen Symptome abbilden. In Kombination mit Gamma-Aktivität entsteht so eine mehrteilige elektrische Signatur, die deutlich mehr Information enthält als ein einzelnes Frequenzband.
Der klinische Mehrwert dieser elektrischen Signatur wird besonders deutlich, wenn man die beidseitige Organisation der Basalganglien berücksichtigt. Die Studie zeigt, dass sich zwischen den beiden Hemisphären eines Patienten systematische Unterschiede in der aperiodischen Breitbandleistung finden, die zu den unterschiedlich ausgeprägten motorischen Symptomen auf der rechten und linken Körperseite passen. Dieser Zusammenhang besteht sowohl im medikamentenfreien Zustand als auch unter dopaminerger Therapie. Damit liefert das Gehirnrauschen Anhaltspunkte für pathologische Aktivitätsmuster, die direkt mit der täglichen Beeinträchtigung der Patienten verknüpft sind. Parallel dazu entstehen an anderer Stelle völlig andere diagnostische Ansätze, etwa ein Algorithmus, der Netzhautbilder auswertet und in einer früheren Studie auf Parkinson im Frühstadium schließen konnte.
Langfristig könnten solche Spektralparameter als Baustein für adaptive Formen der Tiefenhirnstimulation dienen. Moderne Neurostimulatoren sind prinzipiell in der Lage, nicht nur Impulse abzugeben, sondern auch kontinuierlich die lokale Aktivität im subthalamischen Nucleus zu erfassen. Wenn sich die aperiodische Breitbandleistung und die Kombination aus Beta Wellen und Gamma-Aktivität als stabile elektrische Signatur bewährt, könnten künftige Systeme ihre Stimulationsstärke dynamisch an diese Parameter koppeln. Ziel wäre eine Therapie, bei der die Basalganglien selbst anzeigen, wann motorische Symptome zunehmen und wann sie zurückgehen, sodass die Impulse automatisch angepasst werden. Das Konzept ähnelt einem geschlossenen Regelkreis, in dem neurologische Biomarker als Rückmeldung dienen, um Über- und Unterstimulation zu vermeiden und Nebenwirkungen zu reduzieren.
Trotz dieser Perspektiven bleibt die Implementation in den klinischen Alltag eine Herausforderung. Die Analyse von Gehirnrauschen und komplexen Spektralparametern verlangt standardisierte Messprotokolle, robuste Signalverarbeitung und Geräte, die solche Funktionen zuverlässig im Alltag übernehmen können. Zudem muss geklärt werden, wie spezifisch die elektrische Signatur für Parkinson ist und ob ähnliche Muster bei anderen Bewegungsstörungen auftreten. Ergänzend werden pharmakologische und nichtmedikamentöse Ansätze weiterentwickelt, etwa der Einsatz bestimmter Substanzen zur Linderung nichtmotorischer Symptome, wie sie in Studien zu einem Cannabis-Medikament bei Parkinson untersucht wurden. Aus neurophysiologischer Sicht markiert die neue Arbeit einen wichtigen Schritt hin zu objektiven, im Gehirn direkt messbaren Größen, die den Verlauf der Krankheit feiner abbilden, als es allein aus klinischen Beobachtungen möglich ist.
EBioMedicine, Beyond beta rhythms: subthalamic aperiodic broadband power scales with Parkinson's disease severity-a cross-sectional multicentre study; doi:10.1016/j.ebiom.2025.105988