Atomic City

Atombomben-Tourismus in Las Vegas

Damals ganz normal: Aus wenigen Kilometern Entfernung der Explosion einer Atombombe zusehen. )moc.ebutuoy(Foto: © 

Noch bis Anfang der 1960er Jahre lockten zahlreiche Atombombentests in der Wüste von Nevada, gerade einmal rund 100 Kilometer von Las Vegas entfernt, abertausende Touristen aus dem ganzen Land an. Es war üblich eine alkoholreiche „Dawn Bomb Party“ auf einer der vielen Dachterrassen der Casinos und Hotels in Las Vegas mit dem Knall, dem unvorstellbaren Beben in der Erde und dem grellen Lichtblitz einer Atombombe ausklingen zu lassen.

Der zweite Weltkrieg war vorbei und durch Hiroshima und Nagasaki wusste man, welche unglaubliche Zerstörungskraft Atombomben besaßen. Es war die Zeit des kalten Krieges. Die USA und die Sowjetunion waren dabei immer größere und zerstörerische Atombomben zu entwickeln um im atomaren Wettrüsten vorne zu liegen. Zwar wusste man damals schon von der gefährlichen Strahlung, die bei einer Kernwaffenexplosion freigesetzt wird, jedoch unterschätzte man ihre Tragweite gewaltig.

Nachdem man die ersten US-Atombombentests aus verschiedenen Gründen aus Los Alamos in New Mexico und dem 8.000 Kilometer entfernten Bikini-Atoll im Pazifik in die Wüste von Nevada verlegte, änderte die Atomic Energy Commission (AEC) ihre PR-Strategie: Man wollte der Welt zeigen, wie mächtig die USA sind und lud aus diesem Grund zahlreiche namenhafte Reporter von ABC, CBS, NBC und Co. ein um live vor Ort von den Atombombentests zu berichten. Man richtete dazu zahlreiche Tribünen nur wenige Kilometer vom Detonationsort entfernt ein. Von hier hatte man einen direkten Blick auf die imposanten Explosionen der Atombomben.

Die Medien machten einen riesen Wirbel aus den militärischen Tests und so dauerte es nicht lange, bis die nahegelegene Stadt Las Vegas, die zu dieser Zeit nicht einmal 50.000 Einwohner besaß, zum Hot-Spot des Atom-Tourismus wurde. Der Name Atomic City war geboren.

Atom-Cocktails, Miss Atomics und Dawn Bomb Partys

Zahlreiche Hotels warben damit, dass ihre Zimmer einen direkten Blick auf die Atombombenexplosionen hätten, in den Bars der Stadt gab es Atom-Cocktails, bestehend aus Champagner, Cognac, Sherry und Wodka, es gab Schönheitswettbewerbe wo man die Miss Atomic gekürte und in der ganzen Stadt gab es sogenannte Dawn Bomb Partys. Das ganze Leben der Stadt drehte sich um die Atombombentests in der unmittelbaren Nähe. Die Atombomben gehörten fest zum Alltag: Frauen ließen sich beim Friseur ihre Haare in Form eines Atompilzes frisieren, Casinos passten ihre Hausregeln an, für den Fall dass durch die Detonationen Kugeln oder Würfeln verspringen sollten und es gab zahlreiche Produkte, Lieder in der Pop-Kultur und Comics, welche das atomare Thema im positiven Sinne aufgriffen.

War es endlich wieder soweit, konnte man den Lichtblitz der Atombombe, der etwa zehnmal heller als die Sonne war, sowie die Erschütterung im Boden nicht nur in Las Vegas, sondern auch im rund 400 Kilometer entfernten Los Angeles wahrnehmen. In Las Vegas konnte man damals tatsächlich zusehen, wie eine Atombombe explodiert. Viele Touristen fuhren sogar weiter nördlich in die Berge um einen noch besseren Blick auf die nuklearen Explosionen zu haben.

Bis auf drei Kilometer am Atompilz

Neben geladenen Gästen, Reportern und den hochrangigen Militärs waren es jedoch vor allem einfache Soldaten, die am nächsten am Explosionsort der Atombomben waren. In nur drei Kilometern Entfernung suchten sie in Gräben während der Detonationen der immer größeren Atombomben Schutz und marschierten nach der rund 800 km/h schnellen Druckwelle, die nur wenige Zentimeter über ihren Köpfen hinweg fegte, direkt zum Zentrum des Explosionsortes.

Dass fast alle dieser Soldaten, die man heute als Atom-Veteranen bezeichnet, später an Krebs erkrankten, ist heute naheliegend. Damals jedoch unterschätzte man die radioaktive Strahlung der Atombomben, sonst hätte man die Tests vermutlich anders durchgeführt.

Verlagerung auf unterirdische Atombombentests

Nachdem man nicht nur die Auswirkungen auf Gebäude und Autos genauestens untersucht hatte, analysierte man die Folgen der nuklearen Explosion bei Tieren. Dazu positionierte man vor allem Schweine, aber auch Hühner, Schafe und Ziegen, in verschiedenen Abständen zum Explosionsort. Die Tiere, die der Explosion am nächsten waren, verdampften in Bruchteilen von Sekunden. Bei den anderen stellten Wissenschaftler gravierende körperliche Schäden durch Strahlenbelastungen fest. Erst jetzt begann man langsam zu verstehen, wie gefährlich Atombomben wirklich waren.

Zudem wurden die Atombomben mit der Zeit immer größer, bis die Sowjetunion am 30. Oktober 1961 die AN602 oder auch ZAR-Bombe – die größte Atombombe der Welt – testeten. Während die Bomben über Hiroshima und Nagasaki die Sprengkraft von nur 12 bis 16 Kilotonnen TNT besaßen, kam die ZAR-Bombe auf eine Sprengkraft von 50 bis 60 Megatonnen TNT. Die Explosion war so gewaltig, dass die Druckwelle bei der zweiten Erdumrundung immer noch messbar war. Sie zerstörte sogar noch Fensterscheiben im Norden Norwegens und Finnlands und selbst in 270 Kilometer Entfernung konnte man noch die Hitze der Explosion auf der Haut spüren.

Man einigte sich mit der Sowjetunion, die ihre Atombomben ebenfalls oft in der Nähe größerer Städte explodieren ließen, nur noch unterirdisch zu testen um so den radioaktiven Niederschlag, der mittlerweile in zahlreichen Ländern messbar war und bereits in der Milch stillender Mütter nachgewiesen wurde, zu unterbinden.

Dies führte auch zum Ende des Atom-Tourismus in Las Vegas. Heute erinnern nur noch wenige Relikte an diese atomare Zeit: Die Bar Atomic Liquor Cocktails, bei der man heute immer noch einen Drink bestellen kann, die alten Tribünen in der Wüste, von denen man den besten Ausblick auf die Explosionen hatte und natürlich die neueren Sperrzonen-Schilder, die vor der verstrahlten Erde in dem ehemaligen Testgelände warnen.

Es war eine Zeit, in der alle Amerikaner von der Atombombe begeistert waren und jeder die gewaltigen Explosionen live sehen wollte und konnte. Es war eine Zeit, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann.

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