Tiermigration

Alle Europäische Aale schwimmen zum Laichen in das Bermudadreieck

(Symbolbild). Ein einzelner Europäischer Aal liegt halb verborgen zwischen Steinen in einem klaren Flussbett und wirkt wie ein typischer heimischer Fisch. Erst die Forschung zur Aalwanderung zeigt, dass genau solche Tiere später tausende Kilometer bis in die Karibik und in das Gebiet des Bermudadreiecks schwimmen, dort laichen und danach sterben. )kcotS ebodAotohP SLR(Foto: © 

Auf den ersten Blick wirkt der Europäische Aal wie ein unscheinbarer Bewohner von Flüssen, Seen und Küstengewässern, der sich im Schlamm versteckt und nur nachts aktiv wird. Doch genetische Analysen, Satellitensender und Ozeanmodelle zeigen, dass diese Tiere eine der spektakulärsten Tiermigrationen der Erde durchführen: Eine einzige Aalwanderung führt sie aus Binnengewässern in Norwegen, Deutschland oder Marokko bis in ein abgelegenes Gebiet im Nordatlantik, das mit dem Bermudadreieck und der Sargassosee verknüpft ist. Dort laichen die Aale vermutlich in mehreren Hundert Metern Tiefe, sterben nach der Fortpflanzung und hinterlassen Larven, die über Jahre hinweg mit Meeresströmungen nach Europa zurückdriften.

Der Europäische Aal gehört zu den katadromen Fischen: Er wächst im Süßwasser oder in Küstengewässern heran, wandert als ausgewachsenes Tier jedoch in den Ozean, um sich fortzupflanzen. Jahrzehntelang wussten Forscher zwar, dass winzige, blattförmige Leptocephalus Larven im offenen Atlantik vorkommen und mit dem Golfstrom Richtung Europa treiben, doch es fehlte der Nachweis, wo genau die erwachsenen Tiere laichen. Expeditionsdaten aus dem frühen 20. Jahrhundert deuteten darauf hin, dass die kleinsten Larven ausschließlich in der Sargassosee gefunden werden, einem von Meeresströmungen eingefassten Warmwasserwirbel südlich der Insel Bermuda. Moderne Satellitentelemetrie und Ozeanografie verdichten dieses Bild: Die Daten sprechen dafür, dass alle europäischen Aale ihren Lebenszyklus in einem begrenzten Gebiet beginnen, das geographisch in den Randbereich des populären Bermudadreieck-Begriffs fällt und mehr als 5000 Kilometer von den meisten europäischen Flusssystemen entfernt liegt.

Während dieser Reise wechseln die Tiere mehrfach ihre Gestalt. Aus der durchsichtigen Glasaalphase werden zunächst gelblich gefärbte Flussaale, die mehrere Jahre in Seen und Flüssen verbringen und Längen von 40 bis über 80 Zentimeter erreichen. Sobald sie zur Fortpflanzung bereit sind, verwandeln sie sich in sogenannte Silberaale: Die Augen vergrößern sich, der Körper wird silbrig, Fettreserven steigen und die Fortpflanzungsorgane reifen. Dann setzt die eigentliche Aalwanderung ein: Ein stilles, aber hochorganisiertes Massenereignis, bei dem viele Millionen Tiere zeitlich überlappend in Richtung Atlantik aufbrechen, ohne dass je ein ausgewachsener Aal lebend wieder nach Europa zurückkehrt.

Von Europas Flüssen in das Bermudadreieck

Messdaten aus Fangstatistiken und Telemetrie zeigen, dass die meisten Silberaale zwischen August und Dezember in ihren Heimatgewässern aufbrechen. In den Mündungsbereichen von Donau, Rhein oder Themse sammeln sie sich, passieren Schleusen, Turbinen und Staustufen und erreichen schließlich den Kontinentalschelf. Von dort aus schwimmen sie in mehreren Hundert Metern Tiefe in den offenen Atlantik. Satellitensender, die an große Weibchen angebracht wurden, dokumentieren Wanderstrecken von mehr als 2500 Kilometern innerhalb weniger Monate und mittlere Migrationsgeschwindigkeiten um etwa 6 bis 7 Kilometer pro Tag. Auf dieser Basis ergibt sich eine Gesamtreise von 5000 bis 7000 Kilometern, bis die Tiere das Laichgebiet im südlichen Abschnitt der Sargassosee erreichen, der sich mit der populären Definition des Bermudadreieck-Seegebiets überschneidet.

Die entscheidende Beobachtung, die das lange vermutete Szenario stützt, stammt aus einer Studie, in der Forscher 26 Europäische Aale auf den Azoren mit archivierenden Satellitensendern ausstatteten. Die Geräte zeichneten Tiefe, Temperatur und Position für bis zu 366 Tage auf, bevor sie automatisch an die Oberfläche stiegen. Die so rekonstruierten Routen zeigen, dass die Aale zielgerichtet in ein Gebiet zwischen etwa 65 und 48 Grad westlicher Länge schwimmen, also genau dorthin, wo zuvor die kleinsten Larven gefangen wurden. Ein Teil der Sender ging unterwegs verloren, einige signalisieren vermutlich den Fraß durch Räuber, doch mehrere Geräte tauchten im Kern der postulierten Laichregion auf. In populärwissenschaftlichen Darstellungen wird dieses Seegebiet häufig mit dem Bermudadreieck gleichgesetzt, doch physikalische Analysen zur Unfallstatistik, etwa in Beiträgen über das Rätsel des Bermudadreiecks, belegen, dass es sich dabei eher um ein medial überhöhtes als um ein naturgesetzlich außergewöhnliches Gebiet handelt.

Larven Drift und die unsichtbare Straße im Ozean

Nach dem Laichen entstehen aus den Eiern nur wenige Millimeter große Leptocephalus Larven, deren Körper wie eine flache, durchscheinende Weidenblattstruktur aussieht. Ozeanographische Modelle und historische Planktonfänge zeigen, dass diese Larven zunächst im Warmwasserwirbel der Sargassosee zirkulieren und anschließend von der großräumigen Zirkulation des Nordatlantiks erfasst werden. Der Golfstrom und die Nordatlantikdrift transportieren das Plankton, zu dem die Larven gehören, mit mittleren Geschwindigkeiten im Bereich von 10 bis 30 Zentimetern pro Sekunde nach Nordosten. Damit benötigen die Leptocephalus Larven in typischen Szenarien ein bis drei Jahre, um Längen von 60 bis 90 Millimetern zu erreichen und die europäischen Kontinentalschelfe zu erreichen.

In dieser Phase spricht man oft von Larven Drift, weil die Fortbewegung der Tiere im Vergleich zur Kraft der Großströmungen gering ist. Dennoch zeigen Analysen, dass die Larven aktiv vertikal wandern und so Tageslicht, Temperaturgradienten und Nahrungsverfügbarkeit nutzen. Im Mittel steigen sie nachts in die oberen 50 Meter des Wassers auf und sinken tagsüber in Tiefen von 100 bis 300 Metern, was ihre horizontale Verdriftung in Strömungsschichten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten beeinflusst. Sobald die Larven die Schelfmeere erreichen, verwandeln sie sich in Glasaale, verlieren ihre blattartige Form und gewinnen den typischen aalähnlichen Körperbau. Diese Glasaale wandern in Küstengewässer und Flussmündungen ein, wo sie sich je nach Salzgehalt zu reinen Süßwasserbewohnern, Brackwasserspezialisten oder Küstenfischen entwickeln. Analysen der otolithären Mikrochemie zeigen, dass selbst Aale aus weit entfernten Flusssystemen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem gleichen Laichgebiet in der Sargassosee stammen.

Magnetischer Kompass und Mondlicht als Navigationshilfe

Wie gelingt es einem Europäischer Aal, im Dunkel der Tiefsee über Tausende Kilometer hinweg ein relativ kleines Zielgebiet im Atlantik zu finden? Labor- und Feldstudien deuten darauf hin, dass ein Magnetischer Kompass eine Schlüsselrolle spielt. In Versuchen mit jungen Aalen, die in künstlichen Magnetfeldern gehalten wurden, änderten die Tiere ihre Schwimmrichtung vorhersehbar, sobald die Forscher das Magnetfeld der Erde simuliert verschoben. Daraus lässt sich schließen, dass die Tiere Magnetfeldinformationen registrieren und später abrufen können. Eine PLOS ONE Studie zur Magnetkompass-Orientierung beschreibt, dass der Magnetsinn temperaturabhängig ist: Bei wärmeren Bedingungen dominieren Futtersuchstrategien, während bei kühleren Temperaturen gerichtete Wanderbewegungen ausgelöst werden, wie sie für die Ozeanpassage typisch sind. PLOS ONE Studie zur Magnetkompass-Orientierung berichtet, dass Aale in entsprechenden Versuchen systematisch die Richtung beibehalten, die sie unmittelbar vor einer erzwungenen Ortsverlagerung eingeschlagen hatten.

Speziell Glasaale scheinen darüber hinaus Elemente einer magnetischen Karte zu nutzen. In Experimenten mit variierenden Magnetfeldkombinationen, die verschiedenen Regionen des Nordatlantiks entsprechen, richteten sich Jungtiere so aus, dass ihre Schwimmrichtung die erwartete Drift in das europäische Schelfmeer begünstigt. Modelle, die dieses Verhalten in Ozeanströmungen einbetten, sagen höhere Ankunftswahrscheinlichkeiten für Regionen mit geeigneten Wachstumsbedingungen voraus. Zusätzlich weisen Laboruntersuchungen darauf hin, dass der Mondzyklus die Orientierung beeinflusst: Die Tiere reagierten sensibel auf Unterschiede zwischen Neumond und Vollmond und koppeln vertikale Wanderungen an das Wechselspiel aus Mondlicht und Gezeiten. Ähnliche Mechanismen wurden für wandernde Schmetterlinge und andere Tiere beschrieben, etwa bei Experimenten zu Magnetfelder zur Orientierung von Monarchfaltern, was darauf hindeutet, dass die Nutzung des Erdmagnetfeldes als Navigationshilfe in der Tiermigration weit verbreitet ist.

Eine Panmiktische Population am Rand des Aussterbens

Genetische Studien zeichnen ein überraschend einheitliches Bild: Unabhängig davon, ob Aale aus Norwegen, Spanien oder Marokko untersucht wurden, fanden Genomforscher praktisch keine stabilen Unterschiede in der DNA-Struktur. Das spricht dafür, dass alle Tiere zu einer einzigen Panmiktische Population gehören, in der sich die Gene von Individuen aus unterschiedlichen Regionen bei jeder Fortpflanzung mischen. Eine in den Proceedings of the National Academy of Sciences publizierte Studie zeigt, dass populationsgenetische Analysen auf Basis von Ganzgenomsequenzen keine geographische Differenzierung erkennen lassen und dass die Anpassungsfähigkeit des Europäischer Aal stattdessen auf phänotypischer Plastizität beruht. Mit anderen Worten: Die Tiere passen sich an eine große Bandbreite von Temperaturen, Salzgehalten und Nahrungsangeboten an, ohne dass sich stabile Unterarten herausbilden.

Diese biologische Besonderheit macht die Art zugleich anfällig für globale Störungen. Seit den 1980er Jahren ist der Nachwuchs, der als Glasaale an die europäischen Küsten gelangt, um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Ursachen sind Fangdruck, Querbauwerke in Flüssen, Parasiten, Schadstoffe, Veränderungen der Ozeanströmungen und möglicherweise klimabedingte Verschiebungen der Sargassosee. Langfristige Messreihen dokumentieren, dass späte Larvenstadien entlang der europäischen Kontinentalschelfkante deutlich seltener geworden sind als in den 1970er Jahren. Bewirtschaftungspläne versuchen, die Sterblichkeit der abwandernden Silberaale zu senken, doch jede Einschränkung wirkt sich auf denselben gemeinsamen Genpool aus. Indem Forscher die komplexe Aalwanderung, die Rolle des Bermudadreieck-Seegebiets und die empfindlichen Wechselwirkungen zwischen Larven Drift, Magnetischer Kompass und Ozeanchemie entschlüsseln, entsteht ein zunehmend klares Bild: Der Erhalt dieser Panmiktische Population hängt davon ab, dass entlang der gesamten 5000-Kilometer-Kette vom Binnengewässer bis zur Sargassosee ausreichend viele Tiere lebend durchkommen.

PLOS ONE, Magnetic Compass Orientation in the European Eel; doi:10.1371/journal.pone.0059212
Scientific Reports, First direct evidence of adult European eels migrating to their breeding place in the Sargasso Sea; doi:10.1038/s41598-022-19248-8

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